Vorhofflimmern – in 10 Minuten

Vorhofflimmern ist eine der häufigsten Rhythmusstörungen. Sie begegnet uns im Rettungsdienst und in der Notaufnahme – und wir stellen uns die wirklich wichtigen Fragen: Wie erkennt man Vorhofflimmern? Und: Was sollen wir tun – und was lieber nicht?

Was ist das?

Chaotische Erregungen in den Vorhöfen – total unregelmäßige Überleitung durch den AV-Knoten.

Wie erkennt man es?

Fehlende P-Wellen und absolute Arrhythmie der QRS-Komplexe.

af2.jpg
Quelle: Lifeinthefastlane.com

Gefahren

  • Schlaganfall / Embolie -> Thromben insbesondere aus dem Vorhofohr
  • Tachykardes VHFli -> häufigstes Problem (im Verlauf zunehmende Dekompensation)
  • (Bradykardes VHFli)

Formen

  • Primäres Vorhofflimmern (unklare Genese, idiopathisch)
  • Sekundäres Vorhofflimmern (durch Risikofaktoren wie Diabetes, Adipositas, Alter oder Erkrankungen ausgelöst), Akronym z.B.:

Ursachen? Merkspruch „PIRATES”

  • Pulmonale Erkrankung
  • Ischämie
  • Rheumatische Herzerkrankung
  • Anämie
  • Thyroid (Schilddrüse)
  • Ethanol (“Holiday Heart”)
  • Sepsis (bzw. Infekt)

Therapie:

  • Frequenz- oder Rhythmuskontrolle
  • ggf. Behandlung der Grundkrankheit

Präklinik:

  • Meist keine Therapie nötig!
  • Erstdiagnose: Frequenzkontrolle (wenn nötig), a.e. mit Betablocker z.b. Metoprolol
    • Vermeiden: Amiodaron, Kardioversion, Antikoagulation
    • Wenn hämodynamisch instabil: Strom = Kardioversion
  • Bekanntes Vorhofflimmern + (zu) schnell:
    • länger bekannt: Frequenzkontrolle a.e. mit Betablocker
    • Im Notfall: Kardioversion (Strom) kann versucht werden, häufig nicht erfolgreich
  • Vorhofflimmern + (zu) langsam und Patient instabil: Strom/Pacing
  • Unbedingt RHYTHMUSSTREIFEN dokumentieren!!

In der Klinik:

Co-Erkrankungen?

  • Elektrolyte
  • TSH
  • Kardiale Dekompensation?
  • Echo? (Hinweis auf strukturelle Herzerkrankung? Klappenvitium?)

Rhythmuskontrolle?

Wie lange schon VHFli?

  • Antikoagulation
  • ggf. TEE und Kardioversion (bis zu TEE/KV: Frequenzkontrolle falls belastende Symptomatik/Dekompensation)
    • nach Kardioversion mind. 4 Wochen OAK
    • danach nach CHA2DS2-VASC-Score und ggf. HAS-BLED
  • ev. „Pill in the Pocket“ Konzept (Flecainid / Propafenon) – hier bei CHA2DS2-VASC-Score 0+1 keine OAK nötig (siehe Kommentar unten, vielen Dank für die Ergänzung!)
  • Ablationstherapie

Frequenzkontrolle?

  • Betablocker (z.b. Metoprolol)
    • Achtung: Bei Tachykardie/Hypotonie „probatorisch“: Esmolol (da kurzwirksam). Betablockergabe (= Frequenzsenkung) gefährlich, falls tachykardes Vorhofflimmern Ausdruck einer Bedarfstachykardie ist, z.B. nach einem subakuten Myokardinfarkt und nun hochgradig eingeschränkter Pumpfunktion)
  • Magnesium 2g Kurzinfusion

  • Falls Betablocker kontraindiziert: Verapamil erwägen. CAVE: Kontraindiziert falls parallele Betablocker-Therapie!!
  • Amiodaron wg. Nebenwirkungen zunächst zurückhaltend (sonst ggf. auch zur Aufsättigung und Kardioversion im Verlauf)
  • Digitoxin primär sehr zurückhaltend (V.a. erhöhte Mortalität)

Therapieoptionen im Detail (nach neuen ESC Leitlinien 2020)

4S-Vorgehen

  • Stroke Risk (CHA2DS2-VASc)
  • Symptom Severity (EHRA Score)
  • Severity of AF burden (“Arrhythmielast”)
  • Substrate severity (funktionelle, strukturelle oder anatomische Basis)

ABC-Schema

  • Anticoagulation / Avoid Stroke
  • Better Symptom Management
  • Cardiovascular / comorbidity optimisation

Mehr dazu in der deutschen Zusammenfassung der neuen Leitlinie.

Fazit:

  • Totale Arrhythmie, meist eher schnell als langsam
  • Präklinisch meist keine Therapie nötig, wenn dann eher Frequenzkontrolle
  • Klinik: Überlegung Ursache (Sepsis?!); Frequenzkontrolle vs Rhythmuskontrolle

Einteilungen:

  • Erstdiagnose VHFli
  • Paroxysmales VHFli (selbstlimitierend, meist 48h – bis zu 7 Tagen)
  • Persistierendes VHFli (länger als 7 Tage)
  • Lang anhaltendes VHFli (länger als 1 Jahr)
  • Permanentes VHFli (VHFli und Frequenzkontrolle akzeptiert)

Beispiele

(EKGs von lifeinthefastlane.com):AF-2.jpg

af3.jpg

Quellen und mehr Infos:

ESC Guidelines Atrial Fibrillation (neue Version 2020)

Deutschsprachige Zusammenfassung inkl. “ABC-Vorgehen”

Life in the Fast Lane ECG Library – AFib

CHA2DS2-VASc-Score (Wikipedia)

HAS-BLED-Score (Doccheck)

Autor: Martin Fandler

I like EM, critical care, prehospital EM, medical education and #FOAMed too.

19 Gedanken zu „Vorhofflimmern – in 10 Minuten“

  1. Hallo, kann man bei Patienten, bei denen es neu diagnostiziert wird und eher Paroxysmal auftritt und die tachykard sind, auch ein Valsalver Manöver durchführen, sodass der Parasympathikus auf die Vorhöfe einwirken kann? Ist zwar nur kurzzeitig, aber dürfte doch auch ähnlich wie betablocker wirken (natürlich vermutlich nicht so potent wie Medikamente)? Geeignet für die präklinik?

  2. Moin, lerne gerade fürs Examen.
    Wenn der Pat. jetzt ein neu aufgetretenes VHF Flimmern hat und er soweit stabil ist würdet ihr dann primär trotzdem ne Rhythmuskontrolle anstreben?
    Also in meinen Unterlagen steht Betablocker + Heparin, dann per TEE Thrombenausschluss und dann je nach Hämodynamischer Stabilität Elektrisch (wenn instabil) oder medikamentös mit Flecainid/Propafenon bzw Amiodaron wenn Herz Vorerkrankung.
    Ist das noch aktuell bzw. macht man das bei jedem VHF mind. einmal proabtorisch? Oder würde man gleich mit Frequenzkontrolle und ggf. OAK reingehen?
    Danke!

    1. Hallo Mario,
      bei deiner Frage verlassen wir etwas die Notfallmedizin – die wir vertreten – und betreten den Bereich der Inneren Medizin bzw. spezieller Kardiologie. Verzeih mir daher die Zurückhaltung.
      Kurz gesagt (abgesehen von individuell speziellen Erkrankungen und Umständen) würde ich bei neuem Vorhofflimmern, vor allem bei jüngeren Patient:innen oder vermutlich erst kurz bestehendem Flimmern, meist eine Rhythmuskontrolle anstreben bzw. zumindest versuchen. Das bedeutet aber NICHT sofort in der Notaufnahme mit Antiarryhthmikum oder Kardioversion vorzugehen, sondern – wie du schreibst – üblicherweise eine Antikoagulation, Frequenzkontrolle wenn nötig (z.B. mit Betablocker), stationäre Aufnahme, TEE zum Ausschluss von Thromben und dann eine elektrische Kardioversion im stationären Verlauf.

      Die sofortige (Notfall)kardioversion – elektrisch oder mit Medikation – bezieht sich auf den Notfall v.a. bei hämodynamischer Instabilität.

  3. Hallo Martin,
    habe gerade das Video VHF angeschaut, da ich seit 3 Jahren permanent flimmere, Ursache unbekannt.Blutdruck regelrecht, Puls zu hoch.
    Nehme Lixiana und Biso, wobei ich letzteres nicht wirklich vertrage.Kardiologe verschrieb jetzt Digitoxin 0,07 mg, ist in Deinem Video ja nicht so wirklich positiv weggekommen der Fingerhut.
    Gibt es Alternativen zur Frequenzkontrolle?
    Bin unsicher…
    Danke für die Zeit

    Annette

    1. Hallo Annette,
      leider dürfen und können wir hier im Internet keine ärztliche Beratung durchführen. Wir sind beide Notfallmediziner und beschäftigen uns mit der speziellen Therapie in der Akut- und Notfallsituation.
      Wenn du – wie ich voll nachvollziehen kann – noch Fragen hast und vielleicht spezialisierte Hilfe brauchst, würde ich mich an deiner Stelle an eine Rhythmologie-Ambulanz (Spezialambulanz für Herz-Rhythmusstörungen)an einem kardiologischen Zentrum / Klinikum in deiner Nähe wenden. Eventuell brauchst du da eine spezielle Überweisung, aber das kann dir das jeweilige Klinikum vorab sagen.
      Gute Besserung!

  4. Hallo an Alle
    Ich hatte vor ca. 5. Jahren das erstemal Herzrasen ,mit sehr starken Rückenschmerzen. War auch im Krankenhaus, wo man mich operieren wollte, was ich nicht zugelassen habe. Ein Jahr später wurde bei mir erfolgreich eine Pulmonalvenen verödung gemacht.
    Herzstolpern und Herzrasen kamen aber wieder. Nach drei Katheder Untersuchungen und in Behandlungen bei meinem Katiologen, sagte er mir er könne für mich nichts tun und sagt auch immer ich bin Herzgesund. Im gegebsatz zu vor 5 Jahren, ist es schon besser geworden aber nicht weg. Herzstoloern kommt öfter vor, Herzrasen nicht so oft. Ich nehme bei anhaltenden Herzrasen Flecainid Pill in the pocket. Komisch ist, das ich bei Auftreten immer Rückenschmerzen oder Brustschmerzen habe. Manchmal habe ich Wochenlang keine bis wenige Probleme und manchmal regelmäßige Probleme. Ich bin 48 Jahre und befürchte wenn ich das nicht in den Griff bekomme das ich im späteren Alter gravierende Probleme bekommen könnte. Was kann ich noch machen?

    1. Hallo Marcus,
      leider können wir im Internet keine Beratung zu individuellen Patientenfällen anbieten. Falls du mit deinem Kardiologen unzufrieden bist, bitte doch deinen Hausarzt um eine alternative Empfehlung. Oder wende dich an das Krankenhaus, wo deine Pulmonalvenenisolation durchgeführt wurde, in kardiologischen Zentren gibt es überlicherweise z.B. in einer Rhythmologie-Sprechstunde mit entsprechende Expertise.

    1. Hängt von Art der Rhythmusstörung ab.
      Vorhofflimmern z.B. mit 100J (ERC 2015 Empfehlung: 70-120J), VT eher mit 150J. (ERC 2015 Empfehlung: 120-150J).
      Ein “allgemeiner Mittelweg” wäre 120J. Sehr adipöse Patienten / ausgeprägter Fassthorax/Lungenemphysem eher am oberen Ende der Empfehlungs-Range.

      1. Moin!
        Kleine Korrektur: Cardioversion bei Vorhofflimmern nach ERC 2015 120-150 J biphasisch, die “kleinere Dosis” (70-120 J) gilt nur für die regelmäßigen Schmalkomplextachykardien.

  5. Hallo Martin, zunächst einmal vielen Dank für die tolle Seite, die Ihr ins Leben gerufen habt.
    Ich habe nur eine kleine Nerd-Anmerkung zu “pill in the pocket”. Wenn es sich hierbei um Patienten mit einem CHA2DS2-VASc von 0 bzw. 1 handelt benötigen diese Patienten keine Antikoaguklation, auch nicht im Rahmen der durch die Einnahme der oralen Klasse I-AA durchgeführten medikamentösen Cardioversion. Da dieser Punkt innerhalb der ESC-Leitlinie nicht klar beantwortet wird, wurde er in dem Kommentar der DGK explizit erwähnt.
    Siehe: https://leitlinien.dgk.org/2017/kommentar-zu-den-2016-leitlinien-der-europaeischen-gesellschaft-fuer-kardiologie-esc-zum-management-von-vorhofflimmern/

    Viele Grüße
    Daniel

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