Vergiftungen… da gibt es den Giftnotruf, Toxidrome, Antidote und noch vieles mehr! Was sind die wichtigsten Tipps vom Experten, auf was müssen wir unbedingt achten und wie gehen wir am Notfallort optimal vor?
Mehr dazu im Video mit Christoph Hüser von toxdocs.de!
Häufigkeit von Vergiftungen
Schaper et al. Intoxication-related fatalities in northern Germany. European Journal of Internal Medicine 17 (2006) 474 – 478 (Link)
- Eine Auswertung der Giftinformationszentrale Nord von 1996 – 2003
- 168000 Fälle wurden beraten und es gab 142 Tote, also weniger als einer von tausend Vergifteten (1/1000) stirbt
- Der Großteil der Vergifteten sind Kinder
- Der Großteil der tödlichen Vergiftungen ist bei Erwachsenen
- 60 % der Tode durch Suizide
- 56% der Tode durch Medikamente
- 14% Insektengifte
- Je 4% durch Pflanzen / Pilze sowie Kosmetika
Gefährliche Vergiftungen
- Die meisten Vergiftungen bei Kindern sind harmlos, es gibt aber wenige Medikamente, bei denen schon eine Tablette für Kleinkinder absolute Lebensgefahr bedeutet
- Allen voran sind das stark kreislaufwirksamen Medikamenten wie Clonidin oder Calcium-Antagonisten
- Auch bewusstseinstrübende Medikamente wie z.B. Methadon können gefährlich sein, lassen sich jedoch gut symptomatisch und bei Methadon mit Naloxon als Antidot behandeln
- Die Therapie von Hypotonie und Bradykardie bei Calcium-Kanal-Antagonisten kann hingegen eine Herausforderung sein.
- Einen ausführlichen Artikel zum „One Pill Kill“ gibt es hier: http://toxdocs.de/2018/der-one-pill-kill/
- Vorsicht auch bei der Einnahme einer ganzen Flasche Seife oder Shampoo durch demente Patienten, hier kann es schwere Aspirationspneumonien geben, die zum Tod führen
Diagnostik und Behandlung von Vergiftungen
Die drei Säulen der Behandlung sind:
- Supportive Therapie (ABCDE)
- Giftelimination (z.B. Aktivkohle-Gabe)
- Antidot-Gabe (nur bei wenigen Giften)
Wichtig ist, dass richtige Maß der Therapie zu wählen, um dem Patienten durch zu aggressive Therapie nicht zu schaden:
- Das richtige Therapiemaß hängt vom erwarteten Risiko einer Intoxikation ab, wird die Vergiftung vermutlich glimpflich ablaufen, ist die Therapie eher zurückhaltend, wird eine schwere oder gar lebensbedrohliche Vergiftung erwartet, ist auch die Therapie entsprechend aggressiver
- Hierzu hilft es frühzeitig mit einer Giftinformationszentrale Kontakt aufzunehmen (auch schon durch die Leitstelle oder auf der Anfahrt), die Experten dort können zu erwartende Beschwerden und das Risiko einschätzen und Tipps zum Vorgehen geben.
- Wichtig hierfür ist auch den Giftstoff und die Menge des Giftes vor Ort zu klären und die Blister einzupacken (eine Intoxikation mit 100 Tabletten Amitriptylin 10mg wird viel weniger aggressiv behandelt, als 100 Tabletten Amitriptylin 150 mg…)
- Auch der erste Eindruck vor Ort kann oft zur Risikoeinschätzung beitragen:
Als Faustregel ist eine akzidentielle Vergiftung im häuslichen Umfeld eher harmlos, bei einer Vergiftung im Rahmen eines Suizid ist meist mit schweren Symptomen zu rechnen - Vorsicht bei der Gabe von Aktivkohle bei bewusstseinsgetrübten Patienten oder Patienten, die diese nicht trinken wollen: Bei Aspiration kann Aktivkohle schwere Lungenentzündungen auslösen. Mehr dazu, wann Kohle sinnvoll ist und wann nicht, hier: http://toxdocs.de/2018/aktivkohle/
Toxidrome
Wenige Stoffe lösen ein typisches klinisches Bild, ein Toxidrom, aus. Dies kann hilfreich sein, um an Hand der Klinik auf den Giftstoff und die Behandlung zu schließen
Opioid-Syndrom:
- Miosis
- Bewusstseinstrübung bis Koma
- Atmung langsam und tief bis Apnoe
Cholinerges Toxidrom:
(Parasympathikus hoch reguliert, z.B. E 605)
- Rest & Digest
- Pupillen eng
- Speichelfluss hoch, Bronchorrhoe, Schwitzen
- Bardykardie
- Diarrhoe
- Bewusstseinstrübung und Atemstörungen
Anticholinerges Toxidrom:
(Parasympathikus herunter reguliert, z.B. TCA, Vomex, Atropin)
- Pupillen weit
- Schleimhäute und Haut warm und trocken
- Tachykardie
- Ileus & Harnverhalt möglich
- Verwirrung, Delir, Bewusstseinsstörungen
Sympathomimetisches Toxidrom:
(Sympathikus hoch reguliert, z.B. Amphetamine)
- Pupillen weit
- Haut warm und feucht
- Tachykardie und Hypertonie
- Unruhe, Agitiertheit, Aggression und Enthemmung
Trizyklika-Intoxikation
- Symptome: Bewusstseinsstörungen von Verwirrung bis Delir und Sedierung bis Koma, Sinustachykardie, Hypotonie, bei hohen Dosen auch Krampfanfälle und Herzrhythmusstörungen, vor allem Breitkomplextachykardien
- Therapie: Supportiv, Aktivkohlegabe bei großen Mengen und noch wachem Patient, Volumengabe, bei QRS-Verbreiterung Natrium-Bikarbonat 8.4%, präklinisch 0.5-1ml/kgKG aus der Hand möglich, Benzodiazepine bei Krampfanfall, bei anticholinergem Syndrom vorsichtige Physostigmin-Gabe erwägbar
- Further reading: http://toxdocs.de/2018/intoxikationen-mit-trizyklischen-antidepressiva/
Reanimation Intoxikierter
Intoxikation ist reversible Ursache eines Herz-Kreislaufstillstandes. In der Literatur gibt es immer wieder Fallberichte von hervorragendem Outcome, wenn Intoxikierte mit Arrest bis zum Abklingen der Intoxikation an ECLS angeschlossen worden.
Daher Abbruch der Reanimation gut überlegen.
Zusammenfassung
- Der Großteil der Intoxikationen bei Kindern verläuft glimpflich
- Auch bei schweren Intoxikationen ist die Überlebenschance sehr hoch
- Es macht Sinn bei Intoxikationen rechtzeitig, gerne bereits auf der Anfahrt Experten zu kontaktieren
- Diese können helfen die Aggressivität der Therapie an die Gefährlichkeit der Intoxikation anzupassen
- Vor Ort ist besonders wichtig das Klären des Giftstoffes + der Menge. Blister unbedingt mitnehmen, damit auch im Krankenhaus noch klar ist, welche Medikamente in welcher Dosierung genommen worden sein können
- Die Intoxikation ist eine reversible Ursache für einen Herz-Kreislaufstillstand. Dies sollte vor Abbruch einer Reanimation bedacht werden.
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6 Gedanken zu „Intoxikationen – Umgang mit Vergiftungen“