NERDfacts Folge 2/2019

Obere gastrointestinale Blutung

Und weiter geht’s… Die 2. Folge der NERDfacts ist online! Ab sofort werden wir Euch an jedem ersten Montag im Monat mit den neuen Facts versorgen. Viel Spaß und „teilen und liken“ 😉. Dieses Mal geht’s um die obere gastrointestinale Blutung und dessen Management.

Das pdf zu dieser Folge findet Ihr hier:

Obere gastrointestinale Blutungen sind vor allem bei Ulcusleiden sehr häufig und können hämodynamisch relevant werden. OGI-Blutungen bedürfen einer raschen Diagnostik und ggf. einer zügigen, meist endoskopischen Intervention. In dieser Folge sollen die wichtigsten Punkte beim Management einer OGI-Blutung beleuchtet werden.

Fact 1 – Risikoabschätzung!

Das Spektrum einer OGI-Blutung reicht von harmlos bis dramatisch. Hierzu ist eine Risikoabschätzung sinnvoll. Dabei ist die medizinische Vorgeschichte bezüglich gastrointestinaler Ulcera (häufigste Ursache einer OGI-Blutung) und einer Leberzirrhose (Ösophagusvarizen?) wichtig. Zudem sollte abgefragt werden, ob es in der Vergangenheit zu Blutungen gekommen ist und ob z.B. Tumorerkrankungen im Bereich des OGI-Traktes bestehen.
Wichtig ist zudem die Medikamentenanamnese. Hier sind vor allem Antikoagulantien wie Marcumar® oder direkte orale Antikoagulantien (DOAKs, z.B. Rivaroxaban, Dabigatran, Apixaban etc.) von Bedeutung. Auch nach Thrombozytenaggregationshemmern wie ASS und Clopidogrel u.ä. sollte gefragt werden.
Eine Hämatemesis (Erbrechen von Frischblut) spricht für eine relevante, aktive Blutung und geht mit einem höheren Risiko für den Patienten einher (hämodynamisch relevante Blutung, Aspirationsgefahr). Zudem kann es zu Hämatinerbrechen kommen, wenn das Blut mit Magensäure in Kontakt kommt (kaffeesatzartig). Teerstuhl ist ebenfalls ein Zeichen einer OGI-Blutung. Die Schwarzfärbung des Stuhls entsteht ebenso durch den Kontakt mit Säure im Magen. Daher gehört eine digital rektale Untersuchung in der ZNA zum Standard bei V.a. GI-Blutung.
Hat der Patient Zeichen eines beginnenden Schocks, so sollte dieser engmaschig und ggf. intensivmedizinisch überwacht werden. Zu den Zeichen eines beginnenden Schocks zählen eine erhöhte Atemfrequenz, eine verlängerte Rekapillarisierungszeit über 2 Sekunden, Kaltschweißigkeit sowie eine Marmorierung der Haut. Diese Marmorierung zeigt sich meist zuerst an den Knien und Unterschenkeln und sollte zu einer erhöhten Wachsamkeit führen.
Auch die üblichen Vitalparameter (Blutdruck, Herzfrequenz etc.) gehören natürlich zur Risikoeinschätzung. Laborchemisch sollte das Hb bestimmt werden (möglichst Vergleich zu Vorwerten). Außerdem gehören Gerinnungsparameter wie Quick/INR, Fibrinogen und ggf. weitere Parameter mit viskoelastischen Verfahren (z.B. ROTEM®) zu den zu bestimmenden Werten. Auch das Calcium sollte man nicht vergessen, da ohne Calcium eine Blutgerinnung nicht möglich ist. Mehr zum Thema Gerinnungsmanagement findet ihr in der SOP Gerinnung von Philipp.

Fact 2 – Antikoagulantien!

Unter Medikation mit Antikoagulantien ist das Risiko eine OGI-Blutung zu erleiden deutlich erhöht. Daher ist die Medikamentenanamnese essentiell. Für Marcumar gibt es mit Vitamin K und PPSB Möglichkeiten die Wirkung aufzuheben. Als Faustregel gilt: 1IE/kgKG PPSB hebt den Quick um 1%. Vitamin K entfaltet seine Wirkung erst nach Stunden (oder Tagen) und kann im Akutfall die Wirkung von Vitamin-K-Antagonisten wie Marcumar® nicht schnell genug aufheben. Durch das Vitamin K kann aber langfristig die Gerinnung stabilisiert werden und sollte daher gegeben werden. 10mg Vitamin K (Konakion®) können i.v. verabreicht werden (CAVE: allergische Reaktion). Bei Patienten mit Leberzirrhose ist die Synthese der Gerinnungsfaktoren beeinträchtigt. Daher ist hier mit einem erniedrigtem Quick zu rechnen. Durch die mangelnde Syntheseleistung der Leber ist keine (relevante) Wirkung von Vitamin K zu erwarten. PPSB kann auch bei Leberzirrhose in oben genannter Dosierung zur akuten Gerinnungsstabilisierung verwendet werden. Zudem sind häufig Thrombozytopenien zu beobachten. Bei Thrombozytenzahlen unterhalb von 50Tsd/µl ist ggf. eine Transfusion von Thrombozyten bei schwerer Blutung zu erwägen.
Für Dabigatran (Pradaxa®) ist seit einiger Zeit ein spezifisches Antidot verfügbar. Idarucizumab (Praxbind®) ist ein Antikörper, der die Wirkung von Dabigatran unmittelbar aufhebt. Empfohlen werden 5g i.v. Für andere DOAKs sind Antidote in der Entwicklung. Auch hier kann PPSB ersatzweise gegeben werden. Es wird eine Dosis von 30-50IE pro kgKG empfohlen, um einen ausreichenden Effekt zu erzielen.
Andexanet alfa® ist ein rekombinanter Faktor-X, der besser an Faktor-Xa-Inhibitoren bindet als der natürliche Faktor-Xa. Damit kann Andexanet alfa® die Wirksamkeit von Rivaroxaban (Xarelto®) und Apixaban (Eliquis®) aufheben. Andexanet alfa® ist bisher in Deutschland noch nicht zugelassen. Man rechnet aber mit einer baldigen Freigabe auf dem deutschen Markt.
Bei jeglicher Form der Antagonisierung sind Komplikationen möglich, die sich aus der Indikation der Antikoagulation ergeben (z.B. Apoplex bei Vorhofflimmern).

Fact 3 – Transfusion!

Die Transfusion von Erythrozytenkonzentraten (EKs) sollte so restriktiv wie möglich erfolgen, da sich in Studien gezeigt hat, dass das Outcome von Patienten, die großzügig transfundiert wurden, schlechter ist als bei denjenigen, bei denen ein restriktives Transfusionsregime zum Einsatz kam. Die Querschnittsleitlinien zur Hämotherapie der Bundesärztekammer geben folgende Transfusionsindikationen vor:


Hb < 6g/dl: Transfusion indiziert

Hb 6-8g/dl: Transfusion indiziert bei Zeichen der anämischen Hypoxie

Hb 8-10g/dl: Transfusion indiziert bei Zeichen der anämischen Hypoxie (oder bei akuter, schwerer Blutung ggf. Transfusion bevor Hb relevant fällt – Anmerkung des Autors)

Hb > 10g/dl: In der Regel keine Transfusionsindikation


Zeichen einer anämischen Hypoxie können u.a. folgende Faktoren sein:

  • Dyspnoe
  • Tachykardie
  • Hypotonie
  • Herzrhythmusstörungen
  • ST-Veränderungen
  • Neurologische Symptome wie Vigilanzminderung und Desorientierung
  • Anstieg des Lactats > 2mmol/l
  • Azidose

Durch eine Sauerstoffgabe kann durch den physikalisch im Blut gelösten Sauerstoff in etwa ein Hb-Punkt kompensiert werden. Also ist die Indikation zur Sauerstoffgabe großzügig zu stellen.

Es wird ein Ziel-Hb zwischen 7-9g/dl empfohlen.

Insgesamt ist die Indikation immer von individuellen Faktoren abhängig und muss im Einzelfall entschieden werden. Die Indikation ist mehr an den o.g. Symptomen und der Dynamik einer Blutung zu orientieren als am Surrogatparameter Hämoglobin.

Fact 4 – Varikös vs. nicht-varikös!

Zur Einschätzung einer OGI-Blutung sollte zwischen varikösen (also Blutungen durch Ösophagusvarizen) und nicht-varikösen Blutungen unterschieden werden. Variköse Blutungen gehen häufiger mit einem massiven Blutverlust einher. Außerdem sind Ösophagusvarizen in der Regel mit einer Leberzirrhose assoziiert. Eine Leberzirrhose geht wiederum häufig mit Gerinnungsstörungen und einer Thrombozytopenie einher. Eine rasche endoskopische Ligatur oder Sklerosierung der Varizen ist obligat. Andere Maßnahmen sind eher die Ausnahme (z.B. Notfall-TIPPS).
Nicht-variköse Blutungen sind häufig Ulcusblutungen. Diese lassen sich meist mittels Unterspritzung mit Adrenalin und Clipapplikation kontrollieren. Diffuse Blutungen können mit hämostyptischen Substanzen, die sich aufsprühen lassen, gestillt werden (z.B. Hemospray®). Bei nicht endoskopisch beherrschbaren Blutungen sollte frühzeitig eine chrirurgische Mitbeurteilung erfolgen.

Fact 5 – Präendoskopische Maßnahmen!

Patienten mit schwerer Blutung sollten intensivmedizinisch überwacht werden und vor einer endoskopischen Intervention hämodynamisch stabilisiert werden. Erythromycin kann vorab als Prokinetikum gegeben werden (200mg i.v.), um in einer Gastroskopie möglichst optimale Sichtbedingungen zu haben. Blutreste und Koagel stören hier erheblich bei der Lokalisierung einer potentiellen Blutungsquelle. Bei nicht varikösen Blutungen sollte frühzeitig ein PPI verabreicht werden (z.B. Pantoprazol 40mg 2-3x täglich). Bei einer varikösen Blutung ist eine Antibiotikaprophylaxe (z.B. Ceftriaxon) indiziert, um die Gefahr einer hepatischen Enzephalopathie zu reduzieren. Außerdem ist bei einer nachgewiesenen oder vermuteten varikösen Blutung die Gabe eines intravenösen Vasokonstriktors (z.B. Terlipressin) noch vor der Endoskopie indiziert. Dies senkt die Letalität und verbessert die Blutungskontrolle. Die frühzeitige Gabe von 1-2g Tranexamsäure wird bei akuter GI-Blutung und bestehender hepatischer Koagulopathie diskutiert, da hier häufig eine Hyperfibrinolyse vorliegt. Eine Routinegabe bei jeder (schweren) OGI-Blutung wird aktuell nicht empfohlen.
Bei Vigilanzminderung und Gefahr der Aspiration sollte an das Atemwegsmanagement gedacht werden.


Quellen und weiterführende Infos:

Querschnittsleitlinien zur Hämotherapie der Bundesärztekammer

Artikel im Ärzteblatt zur Transfusion

Artikel aus DRK Hämotherapie

Klug entscheiden… in der Notaufnahme (2)

Pohlmann A et al. Gastrointestinale Blutung Gastroenterologie up2date 2018; 14: 43–61

Studie: Andexanet alfa stoppt Blutungen durch Faktor-Xa-Inhi­bitoren

S2k-Leitlinie gastrointestinale Blutung

Autor: Tim Eschbach

Ich bin leidenschaftlicher Notfallmediziner und Notarzt. Ich engagiere mich für die Fort- und Weiterbildung im Bereich der inner- und präklinischen Notfallmedizin, insbesondere im Bereich SOPs, CRM und Fehlerkultur.

6 Gedanken zu „NERDfacts Folge 2/2019“

  1. Erythromycin ist auf dem Markt nicht mehr verfügbar. Alternativ kann Azithromycin, natürlich auch offlabel, verwendet werden. Es existieren keine offiziellen Daten. Ich verwende es bei Einmalgabe erfolgreich mit 500mg als Kurzinfusion. Bei paralytischen Ileus eignen sich 3x100mg über 3 Tage. Ps.: die Lösung ist über min 24h stabil und muss nich jedesmal verworfen werden.

    1. Die Wirkung von Vit K setzt sehr verzögert ein. Es dauert mindestens Stunden eher Tage bis sich eine relevante Wirkung zeigt. Da Vit K die Wirkung der VKA aufhebt und quasi die gegenteilige Wirkung hat, würde ich es schon als „Gegengift“ bezeichnen. Aber wie beschrieben, sicher nicht geeignet, um jetzt eine akute Blutung zu stoppen. Hierfür eignet sich PPSB.

  2. Unter „Antikoagulantien“ könnte noch ergänzt werden, dass ASS zwar nicht antagonisiert, eine Blutung aber mit Minirin (Desmopressib) abgeschwächt werden kann.

    1. Da hast du recht, so auch in unserer Gerinnungs SOP erwähnt. Allerdings muss man mit Desmopressin gut aufpassen und das Natrium im Blick behalten.
      Insgesamt also für den absoluten Notfall bei v.a. Thrombozytopathie ein gutes Medikament aber nichts für die Routine. 🙂

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