Die Notfallthorakotomie über „Clamshell“ Zugang ist ein “heißes Eisen“ in der Notfallmedizin und aktuell in Diskussion. Diese maximalinvasive Maßnahme kann in besonderen Fällen lebensrettend sein, das Wesentliche ist aber die korrekte Indikation und Durchführung. Wir haben mit dem Experten Prof. Dr. Erik Popp über das Thema gesprochen und spannende Aspekte erfahren. Im ersten Video behandeln wir die vor allem die Indikation, im zweiten Video (nächste Woche) geht es dann um die konkrete Durchführung.
Seit dem letzten Update der ERC Guidelines hat die “resuscitative thoracotomy“ bei Herzkreislaufstillstand bei Trauma (hier synonym mit Notfallthorakotomie verwendet) auch in Leitlinienempfehlungen ihren Platz gefunden.
Indikation
Grundsätzlich kommt eine Thorakotomie bei Kreislaufstillstand nach penetrierendem oder stumpfen Thoraxtrauma in Betracht, wenn der Verlust der Lebenszeichen weniger als 10 Minuten zurückliegt.
Klassisch nach Leitlinie müssen die “4 E” erfüllt sein:
- Elapsed Time <10min (beim penetrierenden Trauma bis 15 Minuten) seit Kreislaufstillstand
- Expertise (Ausreichende Ausbildung im Verfahren)
- Equipment (Vorhandensein der Ausrüstung)
- Environment (Umgebungsbedingungen)
Die in der Leitlinie etwas allgemein gehaltenen Empfehlungen können und müssen etwas genauer betrachtet werden.Insgesamt ist die Überlebensrate nach Notfallthorakotomie bei penetrierendem Thoraxtrauma besser als bei stumpfen Thoraxtrauma. Wird (z.B. sonographisch) eine Herzbeuteltamponade festgestellt, erreicht die Notfallthorakotomie 9-31% Überlebensraten. Auch bei stumpfen Bauchtrauma kann durch Aortenkompression potentiell ein Vorteil erreicht werden, allerdings mit deutlich geringerer Überlebenswahrscheinlichkeit.
Vorgehen
- Minithorakotomie (entsprechend Thoraxentlastung) in Bülauposition (5. ICR, mittlere Axillarlinie)
- Tiefer Hautschnitt entlang des 5. ICR zwischen beiden Minithorakotomien
- Durchtrennen der Intercostalmuskulatur und Pleura mit Schere (Kleiderschere)
- möglichst in Expiration des Patienten und unter Schutz der Lunge durch Tasten/Wegschieben mit Finger
- Durchtrennen des Sternums (mit Gigli-Säge oder kräftiger (Rettungs-)Schere)
- Eröffnen des Thorax durch Helfer oder Spreizer
- Anheben des Pericards mit Pinzette, dann Schnitt cranial und in umgekehren T nach caudal in beide Richtungen
- Entlastung (Ausräumen) von Perikarderguss/Koagel
- Herzmuskelverletzung durch Fingerdruck, Naht oder Stapler stoppen
- Proximale Aortenkompression durch manuellen Druck der Aorta gegen die Wirbelsäule
- ggf. interne Herzdruckmassage / lokale Blutstillung / Volumengabe („Füllen” des Herzens)
Das genaue Vorgehen wird in folgendem Artikel beschrieben. Betont werden sollte die Notwendigkeit einer parallelen Volumengabe/Transfusion um einen bereits bestehenden Volumenmangelschock zumindest zu vermindern.

Mit freundlicher Genehmigung von Springer. Quelle: Schneider, N., Küßner, T., Weilbacher, F. et al. Notfall Rettungsmed (2019) 22: 87. https://doi.org/10.1007/s10049-018-0475-y
Material
Um eine Notfallthorakotomie durchzuführen reicht eine basale Ausstattung:
- Skalpell (10er Klinge)
- stabile Kleider/Rettungsschere (Eröffnung Zwischenrippenraum und Durchtrennung des Sternums)
- Sterile Handschuhe, Bauchtücher (notfalls Wundkompressen)
- Absaugpumpe
- (Notfallnahtmaterial)
Selbstverständlich sind unter optimalen Bedingungen spezielle Thorakotomiesets weitaus besser geeignet. Die Vorhaltung dieser Sets im Rettungsdienst ist aber aktuell unrealistisch. Es soll daher betont werden, dass bereits die übliche Ausstattung eines RTWs zur Durchführung der Thorakotomie ausreichen kann.

Mit freundlicher Genehmigung von Springer. Quelle: Schneider, N., Küßner, T., Weilbacher, F. et al. Notfall Rettungsmed (2019) 22: 87. https://doi.org/10.1007/s10049-018-0475-y
Komplikationen
Insgesamt muss klar sein, dass die Überlebenswahrscheinlichkeit bei traumatischem Kreislaufstillstand gering ist. Ohne Behebung der reversiblen Ursachen gibt es allerdings keine Überlebenswahrscheinlichkeit. Natürlich kann die Notfallthorakotomie durch ihre maximale Invasivität zu vielen denkbaren Komplikationen führen. Für eine detaillierte Auflistung verweisen wir auf einschlägige Publikation.
Da es sich bei korrekter Indikation um einen leblosen, reanimationspflichtigen Patienten handelt, dem durch die Clamshell-Thorakotomie bei entsprechender Indikation eine letzte Chance gegeben wird, sind entsprechende Komplikationen aus unserer Sicht – bei der entsprechenden, klaren Indikation – akzeptabel.
Was kommt dann?
Nach primär erfolgreicher Notfallthorakotomie und ROSC sollte unbedingt an eine Analgosedierung des Patienten gedacht werden. Weiterhin werden die bei Kreislaufstillstand kaum blutenden Gefäßverletzungen im Rahmen der Thorakotomie nun anfangen zu bluten und sollten durch punktuelle Kompression oder durch Gefäßklemmen unterbunden werden.Abschließend sollte ein schnellstmöglicher Transport unter Voranmeldung in einen geeigneten Schockraum (Zentrum!) erfolgen.
Bedenke!
- Eine Notfallthorakotomie ist eine Teamleistung und muss entsprechend kommuniziert und abgestimmt werden (Stichwort 10for10)
- Alle Durchführenden werden vermutlich mit Patientenblut in Kontakt kommen, Eigenschutz bei Infektionsgefahr muss daher besonders beachtet werden.
- Der Transport unter externen Reanimation nach traumatischem Kreislaufstillstand zur operativen Versorgung im Schockraum macht keinen Sinn, reversible Faktoren müssen für ein akzeptables neurologisches Outcome am Unfallort behoben werden
Wo kann man das lernen?
PERT-Kurs (notfallmedizinkurs.de)
Quellen:
John Hinds: Crack the Chest. Get Crucified