Nerdalarm! Prähospitale Bluttransfusion – Jürgen Knapp im Interview

Die Gabe von Blutprodukten bereits vor Eintreffen in der Klinik wird in der letzten Zeit immer wieder diskutiert. Wir haben mit einem echten Experten – PD Dr. Jürgen Knapp aus Bern – über das Thema prähospitale Gabe von Erythrozytenkonzentraten (EKs) gesprochen.

Die Studienlage (in Ausschnitten):

Association of Prehospital Blood Product Transfusion During Medical Evacuation of Combat Casualtiesin Afghanistan With Acute and 30-Day Survival 

In dieser Studie wurde die frühzeitige Gabe von EKs bei verwundeten Soldaten in Kriegseinsätzen untersucht:

  • Klarer Vorteil der frühzeitigen EK Gabe
  • ABER: Behandlungsgruppen ungleich 
    • Die Gruppe mit EK Gabe:
      • Im Vergleich mehr Extremitätenblutungen
      • in einem größeren Anteil Tranexamsäure erhalten
      • tendenziell erfahrenere Rettungsteams
      • schnellere Versorgung in großem Traumazentrum
    • Gruppe ohne EK Gabe:
      • Mehr abdominelle Schussverletzungen

Effect of Prehospital Red Blood Cell Transfusion on Mortality and Time of Death in Civilian Trauma Patients

Beobachtungsstudie, die die Mortalität vor und nach Einführung der prähospitalen Transfusion vergleicht. Insgesamt zeigt sich ein Überlebensvorteil durch prähospitale Bluttransfusion bis zum Erreichen der Klinik, der allerdings im weiteren Behandlungsverlauf nicht mehr nachgewiesen werden kann.

Zusammenfassung: 

Studienlage insgesamt hinweisend für einen positiven Effekt der frühzeitigen, prähospitalen Transfusion. Allerdings aktuell nur sehr schwache Evidenz aus sehr heterogenen Versorgungsbereichen.

Aktueller Stand in Deutschland:

Nach unserem Kenntnisstand haben aktuell zwei RTH Standorte (Greifswald/Duisburg) EKs dabei. Zudem ist das erst kürzlich in Dienst gestellte Medical Intervention Car aus Heidelberg mit Blutprodukten ausgestattet.

Logistischer Ablauf/Probleme der prähospitalen Bluttransfusion:

  • Abnahme von Kreuzblut vor Transfusion wichtig (aber praktisch oft schwierig)
    • Sonst im Verlauf nurTransfusion von Blutgruppe 0 möglich
    • Blutbank der Klinik muss präklinisch abgenommenes Kreuzblut auch akzeptieren
  • Lagerung von EKs nur gekühlt möglich
    • Da nur selten die Indikation zur prähospitalen Transfusion besteht, macht es Sinn einen Umlauf der Blutprodukte mit der Klinik zu haben (nicht gebrauchte EKs werden durch die Klinik weiterverwendet und durch neue ersetzt). Hierfür ist das nachweisbare Einhalten einer ununterbrochenen Kühlkette essentiell.

Alternativen:

Aufnahme von Blutprodukten im Überflug (Bsp. Air Zermatt)

  • Nach der initialen Versorgung werden vor dem Transport in ein entferntes Traumazentrum an einem lokalen Krankenhaus Blutprodukte übernommen
  • Erfordert enge Absprache mit regionalen Versorgern und Organisation der Abrechnung und Dokumentation

RTH/NEF als Zubringer von Blutprodukten

  • Insbesondere bei langer Rettung vor Ort ggf. zubringen von Blutprodukten durch RTH/NEF/Polizei
  • Ggf. vorzeitiger Transport des Kreuzblutes an das aufnehmende Traumazentrum zur frühzeitigen Gabe von gekreuztem Blut (und Einsparung von 0 negativ)

Fazit für die Praxis:

  • Prähospitale Bluttransfusion benötigt enge Abstimmung zwischen Rettungsdiensten und Kliniken (von der Patienten allgemein profitieren)
  • Frühzeitiger Transport von Kreuzblut oder zumindest Information an die Klinik über wahrscheinlichen Transfusionsbedarf optimiert die Versorgungskette
  • STOP THE BLEEDING
    • Trotz aller Therapiemöglichkeiten ist die beste Therapie der Blutung deren Stillung
      • Tourniquet, Beckenschlinge etc. frühzeitig und effizient einsetzen
    • Hypothermie und Azidose vermeiden, zurückhaltende Gabe Kristalloiden (möglichst <2l)

An dieser Stelle noch ein Hinweis auf unsere Videos zum Thema Gerinnung und Blutung mit Kostja:

Gerinnung verstehen, Teil 1
Gerinnung verstehen, Teil 2

Autor: Philipp Gotthardt

Ich bin begeisterter Notfallmediziner aus Nürnberg. Ich arbeite in der Notaufnahme, Intensivstation und als Notarzt sowie ärztlicher Dozent und versuche mich mit Nerdfallmedizin an der FOAMed Welt zu beteiligen.

7 Gedanken zu „Nerdalarm! Prähospitale Bluttransfusion – Jürgen Knapp im Interview“

    1. Hi, würde uns auch sehr interessieren. Insb die jeweilige Organisation mit den Blutbanken und die genau vorgehaltenen Produkte.
      Haben leider auch keine näheren Infos.

  1. Folgende Aussage ist falsch: Abnahme von Kreuzblut vor Transfusion wichtig (aber praktisch oft schwierig) Sonst im Verlauf nurTransfusion von Blutgruppe 0 möglich

    Receiving at least 4 Units was not associated with biochemical or clinical evidence of hemolysis. “Hemolytic markers following the transfusion of uncrossmatched, cold-stored, low-titer, group 0+ whole blood in civilian trauma patients” Harrold et al.

  2. Hallo Martin und Philipp,

    ich lerne gerade für STEX 3 und ich nutze eure Videos super gern für Chirurgie und Innere. Ihr bringt es einfach auf den Punkt. Immer dieses Wenn und Aber in den Lehrbüchern! – Da verliert man immer ganz schnell den Überblick und besonders den Fokus für das Wichtigste…und darauf kommt es ja auch im Examen an. Ich danke euch für eure Unterstützung. Macht weiter so!

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