Auch die Nerdfacts sagen “Frohes Neues Jahr”! Und für den Fall, dass ihr auch nach den Weihnachtsbaumbränden und Feuerwerks-Unfällen noch Fragen zum Umgang mit Brandverletzten habt – hier als erste Nerdfacts in 2020 alles über die Rauchgasintoxikation!
Wie immer geht es hier direkt zu den Facts:
Fact 1 – Kohlenstoffmonoxid
Kohlenstoffmonoxid (CO) entsteht bei der aufgrund von Sauerstoffmangel unvollständigen Verbrennung von Kohlenstoffen und ist geruch- und farblos. Es entsteht daher nicht nur bei Brandunfällen, sondern kann auch bei Verbrennungsprozessen bei nicht ausreichender Belüftung vorkommen, wie z.B. durch einen Holzkohlegrill in einem geschlossenen Raum oder einem defekten Kamin. Aufsehen erregt haben in der Vergangenheit aber auch klinisch relevante CO-Intoxikationen in Shisha Bars.
CO bindet viel stärker an Hämoglobin als Sauerstoff und verdrängt daher den Sauerstoff, so dass über das Blut weniger Sauerstoff zu den Zellen transportiert wird.
Präklinisch hat sich zum Schutz der Einsatzkräfte das Mitführen von CO-Messegeräten durchgesetzt, da sich auch in unklaren Einsatzsituationen gefährdende Mengen an CO in der Atemluft befinden können. Das GIZ-Nord hat Empfehlungen für Grenzwerte und Warnschwellen erarbeitet – generell gilt, dass spätestens ab einer CO-Konzentration von 500 ppm der Bereich schnellstmöglich verlassen werden muss.
Die Konzentration von Kohlenstoffmonoxid im Blut des Patienten lässt sich verlässlich mittels einer Blutgasanalyse messen – diese kann für diesen Zweck auch venös sein. Grenzwerte für eine relevante, also behandlungsbedürftige CO-Intoxikation sind 5% CO-Hb für Nichtraucher sowie 10% für Raucher, eine eindeutige Beziehung zwischen der Höhe des gemessenen CO-Hb sowie den Symptomen oder der Prognose besteht allerdings nicht. Die gemessenen CO-Hb-Werte sollten also immer mit der Symptomatik des Patienten gemeinsam betrachtet werden.
Die oxymetrische Messung von CO im Blut (per Fingerclip) ist nicht verbreitet. Sie kann v.a. präklinisch hilfreich sein, ist aber nicht sehr zuverlässig.
Die Symptome einer CO-Intoxikation sind bedingt durch die Sauerstoffmangelsituation v.a. im Herzen und im Gehirn und beginnen bei Müdigkeit und Kopfschmerzen, evtl. Erbrechen, über Schwindel, Verwirrung und Ataxie zum Bewusstseinsverlust, epileptische Anfälle können ebenfalls auftreten.
Kardiale Auswirkungen gibt es auch: Da auch Patienten ohne koronare Herzerkrankung im Rahmen einer CO-Intoxikation eine myocardial injury erleiden können, benötigen alle Patienten ein EKG und bei gesicherter CO-Intoxikation auch serielle Troponinbestimmungen.
Neurologische Schäden, die auch Monate später noch vorhanden sein können, sind häufig bei relevanten CO-Intoxikationen. Daher macht es Sinn, während der Behandlung und v.a. vor der Entlassung des Patienten mit einer relevanten CO-Intoxikation einen neurologischen Status zu erheben.
Und zuletzt zu schwangeren Frauen: Das fetale Hämoglobin ist im Vergleich zum Hämoglobin des Erwachsenen nochmals affiner zum CO. Daher sind Schwangere im Rahmen von Rauchgasintoxikationen besonders gefährdet und müssen, evtl. auch durch eine hyperbare Sauerstoffbehandlung eher aggressiver behandelt werden.
Details zur CO-Intoxikation und Bezüge zur neuen Leitlinie 2021 gibt es auch in den dazugehörigen Nerdfallmedizin-Videos!
Fact 2 – Cyanid
Cyanid wirkt in den Zellen des Körpers und blockiert dort die Atmungskette. Die Zellen müssen auf anaeroben Stoffwechsel umstellen, der viel weniger Energie (in Form von ATP) liefert und in dem Laktat anfällt. Cyanid entsteht im Rahmen von Bränden z.B. bei der Verbrennung von Polymeren, also Kunststoffen, kann aber auch beim Verbrennen von Holz entstehen. Manche Menschen nehmen einen Bittermandelgeruch in der Luft wahr, aber vermutlich können die meisten Menschen Cyanid nicht riechen.
Cyanid lässt sich im Rahmen der Akutversorgung NICHT sinnvoll messen. Es ist möglich, bei der Blutabnahme ein Serumröhrchen mehr abzunehmen, aus dem dann innerhalb von Tagen ein Cyanidspiegel bestimmt werden kann, das hilft uns natürlich nicht. Durch den vermehrten anaeroben Stoffwechsel ist das Laktat ein sinnvoller Ersatzparameter – ein erhöhtes Laktat im Rahmen einer Rauchgasintoxikation weist auf eine relevante Cyanid-Intoxikation hin, als Grenzwert für eine spezifische Antidottherapie wurde in einem Paper 10 mmol/L vorgeschlagen. Vermuten sollten wir eine Cyanid-Intoxikation auch bei Patienten mit Rauchgas-Intoxikation und Endorganschäden wie eine Bewusstseinsstörung, eine Hypotonie oder andere kardiovaskuläre Symptome.
Die Rauchgasintoxikation ist nicht die einzige Art, eine Cyanid-Vergiftung zu erleiden. Christoph Hüser von den ToxDocs hat vor kurzem einen umfassenden Beitrag zur Cyanid-Intoxikation verfasst, der auch noch einmal auf den Wirkmechanismus sowie die Antidottherapie eingeht.
Fact 3 – Sauerstoff und Atemweg
Sauerstoff ist sicherlich die erste Maßnahme beim Patienten nach einer (möglichen) Rauchgasintoxikation. Bei guter Verfügbarkeit und sicherer Anwendung sollte der Patient, idealerweise bis zur ersten CO-Hb -Bestimmung in der Klinik, hochdosiert Sauerstoff erhalten. Die Nasenbrille reicht hier nicht aus, am besten ist eine Reservoirmaske mit möglichst 15 Liter O2/Minute. Je nach vorhandener Technik ist auch die NIV-Beatmung per Maske und einer eingestellten FiO2 von 100% sinnvoll.
Besonderes Augenmerk erfordert natürlich auch der Atemweg. Durch die heiße Einatemluft kann es zur thermischen Schädigung des Kehlkopfs kommen, mit darauf folgendem Ödem und Atemwegsverlegung. Eine genaue Inspektion von Gesicht und Mund/Nase/Rachen hilft weiter: Bei Ruß im Rachen oder auch Verbrennung im Gesicht sollte eine flexible Laryngoskopie erfolgen um den Atemweg zu beurteilen, asymptomatische Patienten benötigen diese nicht zwangsläufig. Ein relevantes Ödem im Bereich des Larynx, gesehen in der Laryngoskopie kann dann der Grund für eine endotracheale Intubation sein.
Präklinisch steht die flexible Laryngoskopie natürlich nicht zur Verfügung, hier muss die Entscheidung zur Intubation zur Sicherung des Atemweges je nach Vorhandensein von Stridor, respiratorischer Erschöpfung oder Bewusstseinsminderung getroffen werden. Bei inspiratorischem Stridor kann das Vernebeln von Adrenalin erwogen werden.
Fact 4 – Therapie & Antidot
Während die intensive Sauerstoffzufuhr das “Antidot” für die Kohlenstoffmonoxidintoxikation darstellt, steht bei relevanter Cyanid-Intoxikation die Indikation zur Antidotbehandlung. Theoretisch stehen für die Antidotbehandlung mehrere Optionen zur Verfügung, die in diesem Artikel von toxdocs.de auch nochmal genau besprochen werden. Aufgrund der hohen Anwendungssicherheit ist die Gabe von Hydroxycobalamin (Handelsname Cyanokit) üblich, dieses sollte auch präklinisch verfügbar sein. Die Dosierung ist hier 70 mg/kg KG, für die meisten Erwachsenen ist die Packungsgröße von 5g also passend.
Eine Einmalgabe sollte ausreichen, ein “Ansprechen” kann möglicherweise durch ein fallendes Lactat festgestellt werden, sollte dies anhaltend hoch sein, kann eine wiederholte Gabe erwogen werden.
Fact 5 – Hyperbare Sauerstoffbehandlung
Der Gedanke hinter der hyperbaren Sauerstoffbehandlung (hyperbaric oxygenation therapy, HBOT) ist es, durch eine erhöhte Konzentration von physikalisch gelöstem Sauerstoff im Blut eine bessere Verdrängung des CO vom Hämoglobin herbeizuführen. Üblicherweise wird der Patient dafür in einer Druckkammer einem Überdruck von 3 bar bestehend aus 100% Sauerstoff für einige Stunden ausgesetzt.
Die Datenlage zum Einsatz der HBOT ist aktuell nicht ausreichend für eine allgemeine Empfehlung, daher wird es sich immer um eine Einzelfallentscheidung handeln.
Druckkammern die rund um die Uhr eine HBOT mit Intensivbetten anbieten können sind nicht in jeder Stadt vorhanden. Üblicherweise kennt jedes Krankenhaus die nächste erreichbare Druckkammer, es gibt aber auf den Seiten der GTÜM auch Listen mit Kontaktdaten.
Danke für diesen Blog