Eine der wichtigsten und bei schweren Traumata auch häufigsten Komplikationen des Thoraxtraumas ist der Pneumothorax. Einerseits ist er durch einfache Therapien (Punktion, Drainage) schnell behebbar, andererseits aber auch einer der Hauptgründe (und am häufigsten übersehene Grund) des traumatischen Herzkreislaufstillstands.
In dieser NERDfacts-Folge ist daher der Pneu im Fokus:
- Wie erkenne ich ihn?
- Welche Diagnostik braucht der Patient?
- Welche Differentialdiagnosen kommen in Frage?
- Wie therapiere ich richtig?
Fact 1 – Häufiges ist häufig!
Ein Thoraxtrauma ist definiert als eine mechanische Verletzung des Brustkorbs. Einerseits können dabei die Thoraxwand selbst (z.B. Rippen), andererseits auch die inneren Organe verletzt werden.
Das Thoraxtrauma kann einerseits entsprechend des Mechanismus in stumpfes (geschlossenes) und penetrierendes (offenes, perforierendes) Trauma eingeteilt werden, andererseits entsprechend seines Schweregrades:
- Commotio thoracis (Thoraxprellung) – durch Schlag oder Anprall, bei 80% keine äußeren Verletzungszeichen, ggf. später Prellmarken. Druckschmerz im betroffenen Areal, atemabhängige Schmerzen, Schonatmung
- Contusio thoracis (Thoraxquetschung) – Thoraxwandverletzung unter Mitbeteiligung intrathorakaler Organe, meist Rippenfrakturen mit Lungenkontusion. Schlag oder Anprall mit starker Gewalteinwirkung. Häufigste Begleitverletzung: Lungenkontusion (=Läsionen des Lungenparenchyms mit nachfolgendem interstitiellem Lungenödem). Dyspnoe bis hin zur Ateminsuffizienz.
Fact 2 – Diagnostik rettet Leben
Basisdiagnostik
- Atemfrequenz
- Auskultation – Vorhandensein und Seitengleichheit der Atemgeräusche
- Pulsoxymetrie
- Kapnografie (nicht nur bei beatmeten Patienten möglich)
Mit guter Basisdiagnostik lassen sich viele B-Probleme rechtzeitig erkennen; bei Trauma liegt hier initial der Fokus vor allem auf dem (Spannungs-)Pneumothorax. Ergänzt man die klinische Untersuchung mit Lungensonographie (NERDfacts zum Thema POCUS) können relevante Pneumothoraces mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Aktuell wird Lungenultraschall aber in deutschen Guidelines noch nicht empfohlen – der Trend geht aber ganz klar in Richtung frühzeitiger Sonographie.
Die klinische Reevaluation auf einen (Spannungs-)Pneu muss bei jeder klinischen Veränderung des Patienten erfolgen. Nach relevantem Thoraxtrauma sollte bei hämodynamischer Instabilität des Patienten auch bei unauffälliger Auskultation und fehlender Möglichkeit einer Sonographie eine probatorische Einbringung einer Thoraxdrainage erwogen werden.
Bei jeder traumatisch bedingten Reanimation muss eine beidseitige Thoraxentlastung erfolgen, um diese reversible Ursache sicher auszuschließen.
Verschlechtern sich bereits beatmete Patienten, darf neben den oben genannten Meßwerten und Maßnahmen auch das gute alte DOPE (siehe das entsprechende NERDfallmedizin-Video zum Thema) nicht vergessen werden:
- Diskonnektion – von Tubus, Larynxmaske
- Obstruktion – durch Sekret, Abknicken oder Kompression von Schläuchen
- Pneumothorax (da ist er wieder!)
- Equipmentversagen – Beatmungsgerät, Sauerstoffzufuhr, Geräteleckage
Fact 3 – Gesucht und gefunden: Der Pneu!
Das Tückische am (Spannungs-)Pneumothorax ist seine unterschiedliche klinische Präsentation.
Zu möglichen Symptomen/klinischen Befunden gehören:
- Hautemphysem (der Tippgeber!) – Hautemphysem und Trauma = Pneu!
- einseitig abgeschwächtes/fehlendes Atemgeräusch
- Vorsicht: Kann unter anderem auch mit der Silent Lung beim Asthma bronchiale verwechselt werden, daher immer beide Seiten überprüfen. Einseitig abgeschwächtes Atemgeräusch bei Intubation kann auch eine einseitige Tubuslage bedeuten! Zudem sehr schlechte Sensitivität und Spezifität der Auskultation. Im Einsatz machen Umgebungsgeräusche die Auskultation ebenfalls schwierig.
- Trachealverlagerung zu einer Seite
- Dyspnoe (meist schwierig objektivierbar)
- Tachypnoe
- Thoraxschmerz
- Zeichen schwerer respiratorischer bzw. zirkulatorischer Störung
Beim beatmeten Patienten: plötzlicher Anstieg der Beatmungsdrücke (volumenkontrolliert) bzw. Abnahme Hubvolumen (druckkontrolliert)! Hier differentialdiagnostisch an DOPE denken!
Fact 4 – Reinstechen und Drainage – so werde ich den Pneu los!
Bei Spannungspneu ist zunächst Entlastung durch Nadeldekompression (große Kanüle, 14 oder 12 G; mindestens 5 cm um anatomisch bei den meisten erwachsenen Patienten die Pleura bzw. den Pneu zu erreichen); Punktion ist sowohl nach Monaldi (2./3. ICR medioklavikulär) als auch nach Bülau (4./5. ICR vordere Axillarlinie) laut S3 Leitlinie Polytrauma möglich, wobei die Bülauposition aus unserer Sicht auch für die Punktion bevorzugt werden sollte.
Hierzu gibt es auch ein Update der ATLS Empfehlungen, die klar von der Monaldi Position abraten. Eine tolle Zusammenfassung mit aktuellen Papern gibt es hier.
Nach jeder Nadeldekompression muss immer eine chirurgische Thoraxdrainage folgen. Die Draingengröße wird in Leitlinien mit 24-32 Ch. angegeben. Aktuelle Lehrmeinungen empfehlen bei einem reinen Pneu eher kleinere Durchmesser (mehr zu diesem Thema z.B. hier und hier). Optimal sind geschlossene Beutelsysteme oder „Bülau-Kästen“ mit Wasserschloss. Alternativ kann als Ventil ein eingeschnittener Fingerling verwendet werden, ein Heimlich-Ventil gilt als obsolet! Insb. bei beatmeten Patienten kann aber theoretisch auch auf ein Ventil verzichtet werden, da keine Spannungskomponente mehr vorhanden ist.
Relevant ist die Entlastung des Pneus. In der initialen Versorgung reicht also eine reine Minithorakotomie mit dem Finger aus. Eine Drainageanlage kann im Zweifel auch im späteren Verlauf erfolgen.
Bei klinischer Verschlechterung nach Entlastung muss immer ein Verschluss der Thoraxdrainage/-entlastung bzw. eine Fehllage ausgeschlossen werden.
Beispielhaftes Vorgehen in Bülau-Position:
Die Anlage einer Thoraxdrainage in Bülau-Position umfasst folgende Arbeitsschritte:
- Vorbereiten und Funktionskontrolle des benötigten Materials
- Lokalisieren der Drainage-Position
- Desinfektion
- (Abdecken)
- Inzision
- Stumpfe Präparation und Platzieren der Thoraxdrainage
- Annaht der Thoraxdrainage
- Ventil-Versorgung
Weitere Details sowie eine Beschreibung des Vorgehens findet ihr auch im NERDfallmedizin-Video zur Thoraxdrainage.
Fact 5 – Wenn das Herz steht![]()
Ein (Spannungs-)Pneu ist einer der häufigsten Gründe für einen traumatischen Herzkreislaufstillstand; die anderen sind:
- Hämorrhagie (Blutung stillen!)
- je nach Lokalisation:
- Tourniquet oder Kompressionsverband
- Ggf. Hämostyptika
- Bei Bauchwunden Packing (Ausstopfen der Wunde mit Verbandsmaterial)
- je nach Lokalisation:
- Hypoxie/Asphyxie (Beatmung!)
- Perikardtamponde (Thorakotomie? – siehe auch die NERDfacts zu diesem Thema)
Quellen und Ressourcen
Ein wesentlicher Teil der Empfehlunge und Daten stammt aus:
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften: Leitlinie „Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung“ www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/012–019.html
Weitere interessante Quellen:
- REBELEM Nadeldekompression
- Mühling, B. Stumpfes und penetrierendes Thoraxtrauma. Chirurg 2017 · 88:807–816
- Hansen, M.; Hachenberg, T. Der Patient mit Thoraxtrauma: präklinische Versorgung. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2017; 52: 406–407
- Mende, L. et al.: Thoraxdrainage – Schritt für Schritt. Intensivmed.up2date 2017; 13(01): 17-22
- Schmitz-Eggen, L.: DOPES: Wenn’s bei der Notfallnarkose Probleme gibt. https://www.rettungsdienst.de/news/dopes-wenns-bei-der-notfallnarkose-probleme-gibt-57478
- Laan DV. et al.: Chest wall thickness and decompression failure: A systematic review and meta-analysis comparing anatomic locations in needle thoracostomy. Injury. 2016 Apr;47(4):797-804.
Hallo Martin, hallo Philipp,
ich als Notfallsanitäterin habe ein Frage zur Erfolgsprüfung nach Nadeldekompression: Welchen Auskultationsbefund erwarte ich denn nach der Dekompression beim spontanatmenden Patienten? In den Leitlinien habe ich keine Aussage zum Auskultationsbefund nach Punktion gefunden. Als Erfolgsprüfung dient da die allgemeine Verbesserung des Patientenzustandes. In meiner theoretischen Herleitung (da ich natürlich noch nie eine Dekompression beim spontanatmenden Patienten durchgeführt hab) dürfte mich das Ausbleiben eines Atemgeräusches nicht groß verunsichern, wenn sich der restliche Zustand des Patienten verbessert. Ist das korrekt? Oder sollte man nach der Punktion ein Atemgeräusch erwarten?
Liebe Grüße,
Janine
Liebe Janine,
tatsächlich muss man sagen, dass die Auskultation in der Praxis bei Pneumothorax sowohl bei der Diagnose, als auch bei der Therapiekontrolle kaum hilfreich ist. Wesentlich wichtiger sind die klinischen Zeichen einer Verbesserung (Stabilisierung des RR, Abnahme Halsvenenstauung). Die Auskultation wird zwar immer gelehrt, allerdings schließt ein unauff. Befund weder einen Pneu aus, noch ist ein Pneu bei nicht vorhandem Atemgeräusch nachgewiesen (aber bei passender Klinik natürlich wahrscheinlicher).
Viele Grüße
Hallo Kollege Philipp!
Leider konnte ich keine weitere Quelle im Internet zur beidseitigen Thoraxdrainage bei Reanimation nach Thoraxtrauma finden. Woher hast Du diese Info bzw. wo kann man diese Empfehlung/Leitlinie (?) nachlesen?
Ganz lieben Dank,
Tim
Hi,
zB ERC Guidelines 2021 zB Abb. 2:
https://link.springer.com/article/10.1007/s10049-021-00891-z
Da bei traumatischen Stillstand in ca. 13% win Pneu vorliegt und dieser zu den häufigsten übersehenen reversiblen Ursachen zählt (siehe Publikationen von Buschmann et al) sollte bds der Thorax entlastet werden, wenn nicht sicher (!) ein Pneu ausgeschlossen werden kann.
Viele Grüße,
Philipp
Hallo Tim,
ERC Leitlinie 2021 (oder auch 2015) “Besondere Umstände”: Reanimation bei Trauma – frühzeitige Thoraxentlastung, da Pneumothorax eine der zentralen “reversiblen” Ursachen beim traumatischen Arrest ist.
Hi ihr Lieben
Sehr schöne Zusammenfassung. Danke.
Zwei Fragen habe ich noch:
1. Ist bei Bauchwunden wirklich Packing empfohlen? Mir kommt es irgendwie schwierig vor in die Bauchhöhle hinein zu “packen”, da kann man ja beinahe ins unendliche packen” oder?
2. Könntet ihr mal ein Video oder eine Zusammenfassung zum Vorgang der Minithorakotomie mit Finger machen? Oder habt ihr da irgendwelche Lehrvideos oder Artikel dazu? Ich habe da bisher noch nicht viel gefunden zu leider.
Liebe Grüße
Marc
Vielen Dank für dein Feedback!
Bzwgl. Fingerthorakotomie – in unserem Video zur Thoraxdrainage zeigen wir ja das Vorgehen der kompletten Drainage. Die Fingerthorakotomie stoppt quasi an der Stelle, wo die Pleura eröffnet ist und die Drainage eingeführt wird. Viel mehr steckt nicht dahinter. 🙂
Bzgl. Packing im Bauch:
Die Effizienz hängt natürlich extrem von der Art der Wunde und dem Ort der Blutung ab. Generell muss man versuchen durch das Packing innen Druck auf die Blutung ausüben zu können. Je nach Aspekt der Wunde muss man abwägen, ob ein Packing sinnvoll erscheint. Insgesamt hast du aber vollkommen recht, Bauchverletzungen sind echt schwierig zu versorgen. Insbesondere Schussverletzungen mit kleiner äusseren Wunde und riesigem Schaden im Inneren sind kaum zu beherrschen. In solchen Fällen kann ohne eine Operation oft nur über Reboa eine Blutstillung erreicht werden (und die Möglichkeit haben nur sehr wenige).
Alles klar. Danke 😀
Alternativ könnte man eine Wundauflage auf die Wunde drücken, eine RR-Manschette auflegen und das ganze mit einer Beckenschlinge fixieren. Im Anschlus könnte man die Manschette aufpumpen um Druck aufzubauen (wenn man ganz krass ist kann man noch ein Druckpolster dazwischen legen).
Aber das ist dann schon sehr improvisiert ^^
Das Hautemphysem ist nach Thoraxtrauma pathognomisch für einen Pneu. Es ist das Zeichen mit der höchsten Spezifität (zugegeben bei lausiger Sensitivität). Man kann es daher nicht deutlich genug sagen: Wenn Hautemphysem nach Trauma, dann Pneu. Ich denke, dass könnte noch klarer herausgestellt und im PDF erwähnt werden.
Gruß Erik Popp
Vielen Dank für den Kommentar! Wir haben den Beitrag und das PDF nochmal etwas angepasst um das Hautemphysem nochmal zu betonen.
Viele Grüße nach Heidelberg
Top!
Liebe Grüße!