Das akute Abdomen – Bauchschmerz

Bauchschmerz ist ein häufiges Symptom in der Notfallmedizin und ganz besonders herausfordernd für die Diagnostik. Unter vielen zum Glück harmlosen Diagnosen verstecken sich tückische Krankheiten, die auch schnell lebensbedrohlich werden können.
Wie also abklären, therapieren und transportieren…? Im ersten Video besprechen wir Grundlagen, Anamnese und die erste (meist präklinische) Therapie.

Und im zweiten Video geht es um die Versorgung in der Klinik und auch, wer entlassen werden darf…

Zentrale Prinzipien: 

  • Bauch ist immer schwierig
  • Bauch ist dynamisch
  • Besonders vorsichtig sein bei: Jungen Frauen! Alten Patienten!

Akut lebensbedrohliche Differenzialdiagnosen

  • Gefäßnotfall
    • Akutes Koronarsyndrom
    • Aortensyndrom (Aneurysmaruptur / Dissektion)
    • Mesenterialinfarkt /-ischämie
  • Organperforation
    • insbes. Extrauteringravidität (rupturiert)

Videolinks: STEMI und Hochrisiko-EKGs, Aortensyndrom

Natürlich sind viele andere Diagnosen (Ileus etc.) auch bedrohlich – aber selten akut lebensbedrohlich. Die obigen Differenzialdiagnosen immer zumindest kurz erwägen! Bei Männern auch unbedingt an die Hodentorsion denken!

Wichtige Anamnesefragen:

  • Trauma??
  • Abdominelle Vor-OPs (auch ältere!)? Kürzlich Endoskopie?
  • Schwangerschaft möglich?
  • Antikoagulation vorhanden?
  • Vorerkrankungen (PAVK? KHK? Aneurysma? = “Gefässkrank”)
  • Letzte Mahlzeit? Vertragen?
  • Stuhlgang (Diarrhö, normal, keiner – wie lange?, Teerstuhl/Blut?)
  • Erbrechen / Brechreiz? (Hämatemesis?)
  • Dysurie?
  • Regelblutung? Auffälligkeiten?

Erstversorgung Präklinik:

  • Fokussierte Untersuchung (Bauch hart (=Abwehrspannung?), Peritonismus? Stärkster Schmerz?) + Beschwerdesymptomatik (wann, wo, wie treten Schmerzen auf – OPQRST)
  • Zugang + suffiziente (!) Analgesie
  • 12-Kanal-EKG (vor allem bei Frauen, bei älteren Patienten, bei diffuser (Ober)bauchsymptomatik)
  • Transport wenn möglich in sinnvolle Klinik:
    • „Akuter Bauch“: mind. Innere + Allgemeinchirurgie
    • „Akuter Bauch“ + gebährfähige / gynäkologisch voroperierte Frau: Gynäkologie, Innere und Allgemeinchirurgie

Fazit – Präklinik und Allgemeins:

  • Bauchschmerz ist selten einfach und immer dynamisch.
  • (Fast) jeden mitnehmen.
  • Wer Schmerz hat, bekommt Analgesie!
  • An die “Killer-Diagnosen” denken, inkl. 12-Kanal-EKG

Erstversorgung Klinik (Video 2 – folgt!):

  • Analgesie!
  • Rasche Blutentnahme mit: Blutbild, Elektrolyten, Leberwerten, Nierenwerten, Entzündungswerte zusätzlich BGA (Laktat, Elektrolyte!) + beta-HCG (Schwangerschaft möglich?) + ggf. Troponin
  • Urinstatus
  • 12-Kanal-EKG
  • Anamnese: Siehe oben, inkl. OPQRST
  • Klinische Untersuchung:
    • Auskultation – Darmgeräusche vorhanden?
    • Wo tut es weh, wo tut es nicht weh? (Be nice! Nicht sofort tief reindrücken!!)
    • Kontralateraler Loslassschmerz?
    • Klopfschmerz?
  • Rasche und fokussierte Sonographie „Bauchschmerzschall“:
    • Freie abdominelle Flüssigkeit? (rechter/linker Oberbauch, Unterbauch)
      • Rechter Oberbauch:
        • Gallenblase
        • DHC (erweitert?)
        • Niere: Aufstau?
        • Pleuraerguss?
      • Linker Oberbauch:
        • Niere: Aufstau?
        • Pleuraerguss?
      • Unterbauch:
        • Blase gefüllt?
    • Aorta Abdominalis
    • „Rasenmäher“ über Schmerzpunkt (stehende Darmschlingen? Pendelperistaltik? Luft?)

Tipp: „Patient leitet den Schallkopf“

Der Patient kennt den Schmerzpunkt genau!


Tolle Sonobilder gibt’s bei: The POCUS Atlas: Aorta, Gastrointestinal, Hepatobiliär, Gyn, Urogenital

Weitere Bildgebung:

  • Röntgen-Abdomen: Für raschen Einschluss/Ausschluss freier Luft hilfreich – sonst wenig hilfreich, schlechte Evidenz. Daher kein „Routine-Röntgen-Abdomen“!
  • -> Eher CT Abdomen: Wichtig: KM? Rücksprache mit Radiologie nach klinischem Verdacht

Labor:

  • „Cholestatisches Labor“: AP, gGT, Bilirubin erhöht (Cholestase? Medikation?)
  • „Hepatisches Labor“: GPT bzw. ALT erhöht (Akute / chronische Hepatitis)
  • Unspezifisch:
    • „Red Flag” -> Erhöhtes Laktat >4mmol/l: Hämodyamisches Problem? Sepsis? Mesenterialischämie?
    • Entzündungszeichen: Bei unklarer sonstiger Bildgebung (Sono ohne Befund…) ggf. Trigger für CT

Analgesie:

  • Metamizol 1g i.v.
  • Eskalation: Opiate (bitte nicht Tramadol): z.B. Piritramid 3,75-7,5mg i.v., ggf. Fentanyl 50-100µg-Boli

Entlassung:

  • Bei Entlassung auf Dynamik (!) hinweisen. Klare Anweisungen, wann Patient wiederkommen soll. Auch in der Nacht!
  • Notfalls einige Stunden überwachen. Nicht 30min nach i.v. Analgesie entlassen!
  • Unklarer Bauchschmerz (bei ca. 50% aller Bauchschmerzen in der Notaufnahme findet man keine abschließende Diagnose) darf auch “unklarer Bauchschmerz” (R10.4) heißen. Keine Diagnosen “erfinden” (klassisch oft “Gastritis” oder “Obstipation”), sonst sind etwaige KollegInnen bei einer erneuten Vorstellung des Patienten potentiell fehlgeleitet (Bias!).
Häufige DDs (Auswahl) bei nichttraumatischem Bauchschmerz, akut lebensbedrohliche DDs siehe oben

Liste an ausgewählten Differenzialdiagnosen + grobe (!) Lokalisation – nichttraumatischer Bauchschmerz

  • Oberbauch medial (bzw links/rechts):
    • Dyspepsie („Gastritis“, Meteorismus, Obstipation) bis zu Perforation Magenulkus
    • Pankreatitis
    • (ACS)
  • Oberbauch rechts:
    • „Galle“: Cholezystitis, Choledocholithiasis, Cholangitis
    • (atyp. Appendizitis)
    • (Pleuritis/Pneumonie)
  • Oberbauch links:
    • (Pleuritis/Pneumonie)
  • Unterbauch medial: 
    • Cystitis
    • Harnverhalt
    • Endometriose (zyklusabhängig, vegetative Begleitreaktionen)
  • Unterbauch links:
    • Divertikulitis
    • „Gyn“: Extrauteringravidität (rupturiert) / Adnexitis / Ovarzysten/-torsion
    • (inkarzerierte) Hernien
  • Unterbauch rechts:
    • „Gyn“: Extrauteringravidität (rupturiert) / Adnexitis / Ovarzysten/-torsion
    • (inkarzerierte) Hernien
  • Flanke(n):
    • Urolithiasis (oft bis in die Leiste / Hoden ziehend)
    • Pyelonephritis
  • Überall / Diffus:
    • Aortensyndrom
    • Mesenterialinfarkt
    • Organperforation
    • Meteorismus / Obstipation
    • Ileus
    • Spontanbakterielle Peritonitis (bei bek. Leberzirrhose)
    • Arzneimittelnebenwirkung
    • Chronisch entzündliche Darmerkrankung
    • Pseudoperitonitis bei diabetischer Ketoazidose (Video Hyperglykämie)

Links / Quellen:

  • Aktueller Artikel zum Thema Bauchschmerz: Pemmerl S et al. Epidemiologie, Initialdiagnostik und -therapie des akuten und unklaren Bauchschmerzes in der Notaufnahme. Med Klin Intensivmed Notfmed (Link), mit Zusammenfassung bei News-Papers
  • Analgesie bei Bauchschmerz: Cochrane Review 2011

Autor: Martin Fandler

I like EM, critical care, prehospital EM, medical education and #FOAMed too.

7 Gedanken zu „Das akute Abdomen – Bauchschmerz“

  1. Ich heiße Khalil und ich bin Bauchchirurg.
    Ich hätte gerne etwas noch zu diesem Thema Bauchschmerzen ergänzen.,
    Bei V.a akute Appendizitis schreibe ich immer d
    Appendicitis Inflammatory Response (AIR) Score , welche und die Bedeutung und bei klinischer Untersuchung schreibe ich , bis zum Zeitpunkt der Untersuchung kein Hinweis für ein akutes Abdomen , akute Appendizitis ist eine intraoperative Diagnose und nicht immer typisch läuft und deswegen schreibe ich bei erneuten oder zunehmenden Beschwerden soll das Abdomen noch mal untersucht werden.
    Und noch zu TSH in Labor T3 u T4 , falls TSH hoch oder niedrig, sonst die Radiologen machen immer Probleme 😁
    Danke euch für sehr reichliche Information
    Kg
    Khalil

  2. Ich würde noch unter Pseudoperitonitis den M. Addison
    aufnehmen: häufig bei Erstmanifestation jung, hypoton, hyperpigmentierte Haut, insbesondere die Hautfalten. Selten , aber fast eine Blickdiagnose.

  3. Ich schließe mich an:
    1. immer erst Auskultation
    2. Eine Peritonitis bei Diabetes ist eine Pseudoperitonitis (diabetica) D.h. Eigentlich nie Fieber. Habe ich außerdem noch nie ohne Erbrechen erlebt. Ansonsten klinisch Chamäleon….

  4. Falls die Aufzählung der Untersuchungsschritte eine Reihenfolge darstellt, erst auskultieren, dann palpieren IAPPF statt IPAFF. Bei Benennung des Schmerzzentrums immer im entgegengesetzten Quadranten mit der Palpation beginnen. Gute Erfahrungen zur DD habe ich mit dem angemessenen Anstreichen des Colon transversum auf den as- und descendenten Anteil zu.

  5. Sehr gute Zusammenstellung. Ich würde noch den Peritonealschmerz (Peritonitis) bei Ketoazidose von Diabetes Pat. in die Diff.diagnostik aufnehmen.

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