NERDfacts Folge 9/2020 Sepsis

Sepsis

Die Sepsis ist trotz aller medizinischen Fortschritte mit einer hohen Sterblichkeit assoziiert. Ein rasches und entschiedenes Handeln ist hier von größter Bedeutung. Wie man eine Sepsis (präklinisch) erkennt, welche Diagnostik notwendig ist und wie man sie behandelt, erfahrt ihr in den aktuellsten NERDfacts.

Das pdf zu dieser Folge findet Ihr hier (kleine Korrektur 05.10.2020 21:40):

Fact 1 – Definition!

Im klinischen Alltag werden Patienten oft als „septisch“ bezeichnet. Häufig ist diese Bezeichnung nicht ganz zutreffend. Die Sepsis-Definition ist stetig im Wandel. Seit 2016 ist die Sepsis-3 Definition aktuell.

“Eine Sepsis ist eine akut lebensbedrohliche Organdysfunktion, hervorgerufen durch eine inadäquate Wirtsantwort auf eine Infektion. Für die Diagnose einer Sepsisassoziierten Organdysfunktion ist eine Veränderung des Sequential Organ Failure Assessment (SOFA) Score um ≥ 2 Punkte zu verwenden.”

S3 Leitlinie Sepsis – Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge

Merke: Sepsis-Definition

Voraussetzung: dokumentierte oder vermutete Infektion

Screening Tool: qSOFA mindestens 2 Kriterien erfüllt

SOFA Score ≥ 2 = Sepsis

Trotz adäquater Flüssigkeitsgabe:
1. Vasopressor notwendig um MAD > 65 mmHg + 2. Laktat > 2mmol/l = septischer Schock

Der Begriff „schwere Sepsis“ entfällt nach der aktuellen Definition.

Fact 2 – Scores!

Der qSOFA Score ist ein einfaches Screeningtool bestehend aus 3 Elementen. Treffen 2 Elemente zu, sollte auch an eine Sepsis gedacht werden. Er beinhaltete harte Kriterien und zeigt schwer kranke Patienten an. Leider fallen Patienten mit „beginnender“ Sepsis durchs Raster. Daher sollten Patienten im Verlauf reevaluiert werden. Der qSOFA ist zudem sehr unspezifisch und wird auch daher kritisiert. Er ist aber für den notfallmedizinischen Alltag übersichtlich und identifiziert kranke Patienten. Dieser Score kann auch präklinisch eingesetzt werden. Zu den Kriterien gehören:

qSOFA Score

Auch wenn die SIRS-Kriterien nicht mehr zur Definition der Sepsis gehören, können sie helfen eine Infektion zu erkennen. Zu den SIRS-Kriterien zählen:

SIRS KRITERIEN

SIRS Kriterien

Immer dann, wenn eine Sepsis als mögliche Differentialdiagnose erscheint, sollte sie initial auch so behandelt werden.

In der Leitlinie wird nun der SOFA Score bestimmt. Dieser Score ist relativ komplex, kann aber in den gängigen Tools nachgesehen werden. Für den notfallmedizinischen Alltag ist der Score nicht geeignet, sollte aber nachdem der Patient stabilisiert ist auf der Intensivstation bestimmt werden. Sind 2 oder mehr Parameter erfüllt, gilt er als positiv. Ist er grenzwertig, aber wird eine Sepsis vermutete, sollte er binnen 24h wiederholt werden. Schwierig wird die Bestimmung bei bestehenden, chronischen Veränderungen, wie zum Beispiel eine chronische Niereninsuffizienz. Hier sollten ggf. nur akute Veränderungen berücksichtigt werden. Dieser Punkt ist aber Gegenstand aktueller Diskussion.

Sequential Organ Failure Assesment Score / SOFA Score

Fact 3 – One hour bundle!

Die Sepsis ist ein notfallmedizinisches Krankheitsbild, welches ebenso wie der Myokardinfarkt eine rasche und aggressive Therapie benötigt. Die Leitlinien geben eine Bündel an Maßnahmen vor, welches binnen einer Stunde nach Diagnosestellung abgearbeitet sein muss. Mit jeder Verzögerung verschlechtert sich das Outcome des Patienten erheblich. Zudem muss man bedenken, dass der Patient sich meist erst in der Notaufnahme vorstellt, wenn er bereits schwer krank ist. Das bedeutet, dass bereits mehrere Stunden vergangen sein können, bevor wir überhaupt die Möglichkeit zur Intervention haben. Daher ist rasches und entschlossenes handeln geboten, wenn wir eine Sepsis vermuten. Innerhalb der ersten Stunde müssen folgende Dinge erledigt werden:

Die Leitlinie empfiehlt 30ml/kgKG einer kristalloiden Infusionslösung. Die exakte Menge ist umstritten. Häufig kommt zu Überinfusion oder durch das capillary leak zu Ödemen. Daher sollte der Volumenstatus des Patienten regelmäßig kontrolliert werden (z.B. Passive leg raise Test, Vena cava schallen, invasive Volumenmessung etc.). Die Tendenz geht aktuell eher zu frühzeitigerer Katecholamingabe (z.B. Noradrenalin).

Bei der antibiotischen Therapie gelten die Leitsätze der Tarragona-Strategie. Als antibiotische Initialtherapie bei unklarem Fokus ist eine Therapie mit Piperacillin/Tazobactam + Clarithromycin möglich (Allergien beachten). Dies ist eine breit wirksame Antibiose, die auch im gram negativen Spektrum (Urosepsis) wirksam ist und in der Regel auch Pseudomonas erfasst. Zudem ist sie wirksam bei Pneumonien. Damit sind die häufigsten Foci abgedeckt. Clarithromycin ist über die antibiotische Wirksamkeit hinaus immunmodulatorisch wirksam und hat daher einen weiteren Vorteil. Wichtig ist eine hohe Dosierung zu geben (z.B. 4×4,5g Pip/Taz, intial 9g) unabhängig von der Nierenfunktion. Nachdem ein Antibiogram vorliegt sollte die Therapie unbedingt entsprechend angepasst und ggf. deeskaliert werden.

Fact 4 – Blutkulturen!

Ziel der Diagnostik in der Sepsis muss die Fokussuche sein. Hierzu gehört unbedingt und immer eine möglichst gute mikrobiologische Diagnostik, um nach Antibiogram eine gezielte Therapie einleiten zu können. Dabei ist eine schmale gezielte Therapie meist effektiver als eine Therapie mit einem Breitspektrumantibotikum. Nur weil Pip/Taz mehr Keime abdeckt, heißt das nicht, dass es z.B. bei einer Staphylokokkensepsis effektiver ist, als das schmale Flucloxacillin – im Gegenteil!

Wichtiger Bestandteil der Erregerdiagnostik ist die Abnahme von Blutkulturen. Hier sollten immer mindestens 2 Pärchen (das sind 4 Flaschen!) steril abgenommen werden. Hierbei sollten 2 verschiedene periphere Venen punktiert werden. Kulturen aus liegenden Venenkathetern (z.B. ZVK) sollten nur bei V.a. katheterassoziierte Infektion und immer nur zusätzlich als 3. Pärchen abgenommen werden.

Die Abnahme der Blutkulturen sollte möglichst vor der Gabe antibiotischer Substanzen erfolgen. Ist die Abnahme aber erschwert (z.B. bei schlechtem Venenstatus) sollte die Abnahme die Therapie nicht wesentlich verzögern. Eine Abnahme von Blutkulturen ist dann auch nach der Gabe von Antibiotika sinnvoll auch wenn die Ausbeute dann deutlich geringer ist, als vor der Gabe von Antibiotika.

Neben Blutkulturen sollten auch andere Proben asserviert werden. Hierzu zählen Urinkultur, Sputum und ggf. Abstriche von Wunden etc.

Zusätzlich sollte immer der Fokus identifiziert werden. Häufig sind Pneumonien, Urosepsis und Wundinfekte ursächlich.

Fact 5 – Checkliste!

Hier findet ihr eine Checkliste für die Initialdiagnostik und Therapie.


Quellen und weiterführende Infos:

Nerdfallmedizin Sepsis Video 1 (Präklinik) und Video 2 (Klinik) und Sepsis-Shortcut.

AWMF S3-Leitlinie Sepsis – Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge Registernummer 079 – 001

Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 159-66; DOI: 10.3238/arztebl.2016.0159

Janssens, U. (2016). Langzeitmorbidität, – letalität und Lebensqualität. In: Werdan, K. et al. (Hrsg.). Sepsis und MODS. 5. Aufl.,369-373;

Liu, V. X. et al. (2017). The Timing of Early Antibiotics and Hospital Mortality in Sepsis. In: American Journal of Respiratory and Critical Care Medicine 196, 7: 856-863.

A. Kumar et al. Crit Care Med 2006 Vol. 34, No. 6

Cheng et al. Blood Culture Results Before and After Antimicrobial Administration in Patients With Severe
Manifestations of Sepsis: A Diagnostic Study. Ann Intern Med 2019;171:547–54

S2k Leitline parenrerale Antibiotika

Autor: Tim Eschbach

Ich bin leidenschaftlicher Notfallmediziner und Notarzt. Ich engagiere mich für die Fort- und Weiterbildung im Bereich der inner- und präklinischen Notfallmedizin, insbesondere im Bereich SOPs, CRM und Fehlerkultur.

3 Gedanken zu „NERDfacts Folge 9/2020 Sepsis“

  1. Im PDF hatte sich ein kleiner Fehler in den Temperaturbereichen bei den SIRS Kriterien eingeschlichen. Der Fehler wurde behoben. Vielen Dank für den Hinweis 🙂

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