Es ist wieder soweit, Nerdfall-Donnerstag! Aber viel Zeit für große Vorbemerkungen bleibt gar nicht, denn der Helikopter setzt schon zur Landung an… Aus der Luft heraus geht es direkt hinein in eine hochdynamische Situation nach einem VU auf der Landstraße.

Es ist ein warmer Herbsttag, als die Besatzung eines Rettungshubschraubers zu einem als schwer gemeldeten Verkehrsunfall auf eine etwa 22 Flugminuten entfernt gelegene Landstraße alarmiert wird. Die Unfallstelle ist beim Anflug aus der Luft nicht zu Übersehen:
Mehrere Einsatzfahrzeuge von Feuerwehr, Polizei und Rettungsdienst sind bereits vor Ort. Zwei PKW sind offenbar aufeinander aufgefahren, allerdings scheint sich an keinem der Fahrzeuge eine technische Rettung abzuspielen. Am Funk erfährt die Besatzung, dass es wohl doch nur einen Verletzten gebe, welcher sich schon in einem der RTWs befinden würde. Der Pilot kann den RTH problemlos auf einem Feld neben der Straße zur Landung absetzen. Etwas weniger als eine halbe Stunde nach initialer Alarmierung treffen Hubschraubernotarzt (HNA) sowie HEMS schließlich bei besagtem Patienten ein. Der deutlich adipöse Mann liegt intubiert und beatmet in Flachlagerung in einem der anwesenden RTWs. Um ihn herum versucht dessen Besatzung gerade einen zweiten venösen Zugang zu etablieren, der anwesende junge Notarzt steht am Kopf des Patienten und beatmet diesen mittels Beatmungsbeutel. Seinem hochroten Kopf nach zu urteilen, gelingt ihm dies jedoch nicht problemlos. Am noch bekleideten Patienten ist auf den ersten Blick lediglich eine frontale Kopfplatzwunde zu erkennen. Auffällig ist jedoch eine leicht livide Verfärbung von Lippen und Akren. Eine SpO2-Messung (SpO2 88% & Puls 104/min) ist das einzig stattfindende Monitoring.
Es folgt eine kurze Übergabe durch den Notarzt des NEFs, während dieser den Patienten weiterhin manuell beatmet:
“Herr Luft, 53 Jahre, Fahrer des hinteren PKW. Vorausfahrendes Fahrzeug mit plötzlicher Vollbremsung, der Patient ist dann bei etwa 100km/h ebenfalls voll auf die Bremse, hat aber nicht mehr gereicht. Aufprall mit unklarer Differenzgeschwindigkeit, alle Airbags in beiden Fahrzeugen offen, seine Motorhaube ist so etwa 30 cm eingedrückt. Patient war initial wach und voll orientiert, hat sich selbt aus dem PKW befreit. Unfallgegner ist unverletzt, ist im anderen RTW. Wegen der Kopfplatzwunde und weil der Patient dann doch extrem nervös und überfordert war, habe ich ihn zum Abschirmen und Untersuchen mit hier herein genommen, das ging absolut ohne Probleme zu Fuß. Druck war initial 150 mmHg systolisch, Rekap-Zeit unter 2 Sekunden. Nach drei Minuten auf der Trage ist er dann extrem nervös und motorisch zunehmend unruhig geworden, wirklich total überfordert mit der Situation halt. Ich habe ihm dann über einen grünen Zugang im Handrücken rechts 2 mg Midazolam zur Beruhigung gegeben. Daraufhin wurde er respiratorisch extrem schlecht. Atmung total flach und schnell mit zunehmender Zyanose, die Sättigung runter bis 80. Es waren wirklich nur 2 mg und der Patient hat echt ein paar Kilos! Nach kurzer assistierter Beatmung ging die Sättigung wieder auf 91 hoch, die Atmung wurde aber überhaupt nicht besser. Dann RSI mit 250 mg Ketamin, 5 mg Midazolam und 150 mg Succinylcholin. Vorsorglich hat er dazu noch eine halbe Ampulle Akrinor bekommen. Ich bin aus der Inneren, bei wirklich extrem schwierigen Intubationsbedingungen mit dem kurzen Hals habe ich erst oesophageal fehlintubiert. Zweiter Versuch hat jetzt scheinbar geklappt, war aber kaum unter Sicht möglich. Ist ein 8er Tubus. Ist jetzt vielleicht gerade mal so zwei Minuten her, fühlt sich aber irgendwie auch komisch an: So richtig heben tut sich da nichts. Die Sättigung fällt auch wieder! Oje, schauen Sie doch mal. Eigentlich war ich mir bei der zweiten Intubation dann doch ziemlich sicher…”
Der Hubschraubernotarzt greift sofort zum Beatmungsbeutel und appliziert einige Beatmungshübe, wobei er zähen Druck aufwenden muss. Thoraxexkursionen bleiben hierbei beidseits aus. Über beiden Lungenflügeln sind zudem weder apikal, noch basal Atemgeräusche auskultierbar. Der SpO2-Ton piepst bedrohlich tief durch das Fahrzeug, die Sättigung beträgt nur noch 73%, die Pulsfrequenz 114/min.
Mittlerweile ist der Patient deutlich zyanotisch und zunehmend fahl.
Und jetzt?
Der Patient befindet sich offensichtlich in akuter Lebensgefahr.
Wie sollte im Team vorgegangen werden?
Ergänzung 08.10.2020 12:18 Uhr:
Ja, Kapno und 12-Kanal-EKG wären theoretisch auf NEF und RTH vorhanden. Leider wurde hiervon aber nichts in den RTW mitgenommen. Da beide Rettungsmittel eher am anderen Ende der Unfallstelle “geparkt” sind, ist das Material auch nicht in wenigen Sekunden zu erreichen.
Der Patient wird aber jetzt immer zyanotischer.
In diesem akuten Moment und für eine jetzt anstehende Entscheidung hat die Verfügbarkeit auf RTH/NEF also leider keine Konsequenz.
Ein Videolaryngoskop ist definitiv gar nicht verfügbar.
Versprochen: Die Erkenntnisse, die uns uns diese kleine Zeitreise liefern wird, sind absolut zeitlos. Man denke an Notfallmedizin in (medizinisch) nicht so priveligierten Regionen der Erde, Geräteausfälle und eine generelle Sensibilisierung für die Wichtigkeit des ein oder anderen diagnostischen Tools.
Es wurde oben schon genannt.
Meine Vermutung ist, dass der Pat Atemnot hat wegen Flachlagerung bei massiver Adipositas. Die Behandlung in dem Fall ist steiles Aufsetzen.
Gleichzeitig muss natürlich die intratracheale Tubusposition verifiziert werden. Aufgrund des Fehlens von Kapnographie und des Zeitdruckes aufgrund fallender Sättigung am ehesten durch Laryngoskopie durch den erfahrenen HubschrauberNotarzt.
Ein weiteres Problem welches gar nicht so leicht auszuschließen ist sind die mannigfaltig möglichen Verletzungen nach Hochrasanztrauma. Die natürlich ebenfalls zu dem Beschriebenen Bild führen können.
Letztlich wird nur systematisches abarbeiten helfen, beispielsweise mit ABCDE oder einem anderen Schema.
Der erstversorgende Notarzt hat 2 ml Midazolam, der hochkonzentrierten Lösung für die eigentliche nasale Applikation gespritzt, also 10 mg. Bei Adipositas führt das schnell zur beschriebenen Symptomatik.
Tubus raus, Guedel rein, Zweihandmaskenbeatmung, Oberkörper wieder hoch, mindestens eine Ampulle Flumazenil spritzen und warten bis er wieder Guten Tag sagt
Hat die Kopfplatzwunde evtl. andere Auswirkungen?
Hier ist Flachlagerung, denke ich hirnprotektiv widersprüchlich – daher evtl. auch die neurologische Dekompensation?!
Klingt nach Fehlintubation – hätte der internistische Notarzt dann aber einen Sättigungsanstieg hin bekommen? Denke Thoraxtrauma mit evtl. Pneu und zu geringe Sedierung, mit hirnprotektiver Lagerung als zielführend.
Ich würde auf fehlintubation tippen… habe ich aber nicht sehr große Erfahrung da Chirurg.. frage: wenn Mann eine dicke MS in den Tubus steckt würde bei korrekte Lage relativ bald ein „harter stop“ kommen? Bei osophageale Lage wird eher die MS in den Tubus verschwinden?
Keine Intubation ohne Kapno…
supraglotischer atemweg probiert?
ultraschall zum pneu ausschluss? ggf. „blind“ thoraxdrainagen legen tubus bleibt und ventilations situation wird nach entlastung geprüft.
Warum keine Larynxtubus? Ansonsten bleibt immer noch die Masekenbeatmung. Dann alles in Ruhe vorbereiten.
Anästhesist an Kopf, direkte Laryngoskopie zur Evaluierung der Tubuslage. Falls Fehlintubation zunächst Maskenbeatmung, gleichzeitig Monitoring anpassen. Bei Kopfplatzwunde mit ggf. komplexem Verletzungsmuster sicheren Atemweg via Tubus anstreben., falls unmöglich Larynxtubus. Dann klinischer Ausschluss/Diagnose Pneumothorax und ggf. Therapie. Die zunehmende motorische Unruhe und Agitation würde ich primär als C Problem werten und vermute einen hämorrhagischen Schock. Kurzer Bodycheck, insb. Abdomen, dann nach obigen Maßnahmen schnellstmöglichen Transport in Maximalversorger mit Vorankündigung via Luft. Der 2. Notarzt sollte sich unbedingt den Unfallgegner anschauen.
Ich stimme Matthias zu das ein Spannungspneu hoch auf der Liste stehen muß und die Unruhe ein frühes C Signal gewesen sein könnte.
Die Situation ist halt sehr unübersichtlich und ein systematisches Vorgehen Ost wichtig, Überreaktion kann ebenso schädlich sein.
Der NA hat “internistisch gedacht und reaktiv gehandelt (Unruhe = nervös/überfordert ➡️ anxiolytic) Einfache Alternative war Atemnot durch flachliegen und Adipositas, kann sich dann nicht aufsetzen, will von der Trage runter, als Unruhe interpretiert und Anstelle der Frage was ist los, wie können wir helfen ist dann Midazolam gegeben worden.
Natürlich kann er auch eine Aortenruptur vom Dezeleraionstrauma haben. 👍
Eine schwieriger Situation. 1. Handlungszwang ( Sat 79% und fallend) 2. Beengte Arbeitsverhältnisse 3. Team Zusammensetzung und Dynamik 4. Erfahrungschatz des HNA (Anästhesist oder Unfallchirurg) 5. Tubuslage unklar aber muß als oesophageal angenommen werden. 6. Tiefe der Muskelrelaxierung unklar (nachrelaxieren oder atmen lassen?) 7. Adipositas, Rückenlage und Punkt 6 können die derzeitige Situation erklären. 8. Ist das Problem das Herz oder der Thorax? 9. Ist der Patient jetzt halb wach und halb am atmen was die Bedingungen noch schwieriger macht? 10. Alles andere was noch sein könnte
Priorität: Sauerstoff
Problem: Zum nachdenken keine Zeit
Gefahr: Clever sein zu wollen
Lösung: Drillmäßig handeln
Ich würde hier nach “SOP” vorgehen. Als erstes den Patienten aufsetzen und sicherstellen das Sauerstoff läuft und mit dem Beutel verbunden ist. Dann, wenn sich nicht sofort etwas verbessert Tubus entfernen (if in doubt, take it out), LMA oder ähnliches platzieren und mit viel Gefühl beatmen. Das hat vorher schon geklappt (Während der ganzen Zeit ist jemand zum Heli gelaufen und holt was helfen kann) Eine Sättigung um die 90% die stabil ist ist absolut ok. Als Anästhesist sprechend, würde ich dann nachrelaxieren und Ketamine nachspritzen (Zeit vergeht unbemerkt und der Patient kann aufwachen) und dann noch einmal mit dem Patienten optimal positioniert einen weiteren intubationsversuch durchführen. Hoffentlich jetzt mit CO2. Plan B ist dann mich mit LMA zu begnügen. Plan C natürlich Koniotomie (aber hier warscheinlich auch nicht ohne Risiko, also nicht leichtfertig) Weitere Intubationsersuche würde ich unterlassen wegen der Gefahr der Atemwegsverletzung und nachfolgenden Oedema.
Ein gutes Konzept ist hier beschrieben: http://vortexapproach.org/
Ich denke der Patient hat ein Spannungspneu (z.b. Durch Aufprall auf Lenkrad oder Airbag) und sollte entlastet werden.
Tubus raus, Maskenbeatmung (notfalls mit Guedel, 2 Hände).
Wenn MB gut geht erstmal Ruhe rein bringen, parallel Monitoring um NIBD ergänzen.
Erneutes Laryngoskopieren mit videoassistierten Laryngoskop durch den erfahrenen Arzt. Nach erfolgreicher Intubation vordringlich Ausschluß Pneumothorax und ggf. Entlastung durch Minithorakotomie.