NERDfall Nr. 05 – Teil 2: Oesophageale Fehllage oder doch beidseitiger Pneu?

Wie gewohnt kommt hier der zweite Teil samt Auflösung und spannendem fall-relevantem Inhalt zum NERDfall Nr. 05. Schaut unbedingt rein!
Auch nach Auflösung freuen wir uns noch, wenn ihr eure persönlichen Schlüsse und Gedanken aus dem Fall in der Telegram-Gruppe oder hier in den Kommentaren teilt. 🙂

Es ist die Angehörigkeit des jungen Arztes zu einem nicht-anästhesiologischen Fach und die bereits stattgehabte Fehlintubation, die den Hubschraubernotarzt insgeheim schon seit der Übergabe an eine erneute Tubusfehllage denken lässt. Innerlich schimpft er bereits über die Kollegen aus der Inneren. So entfernt er den Tubus direkt nach Feststellung der beidseits fehlenden Lungenbelüftung energisch und ohne jedes Zögern.

Es folgt der insgesamt dritte Intubationsversuch:
Bei scheinbar massiv geschwollenen oberen Atemwegen ist hierbei lediglich der Zungengrund sichtbar. Zwischen diesem und einer fast schon prall gespannten, vorgewölbten Rachenhinterwand lässt sich der Laryngoskop-Spatel kaum vorbringen. Der Zugang zur unteren Pharynx-Etage ist versperrt. Auch der erfahrene Anästhesist kann sich unter diesen Umständen keinesfalls Sicht auf Epiglottis oder gar Glottis schaffen. Der NEF-Notarzt versichert, zuvor lediglich mit einem Cormack-Lehane III° konfrontiert gewesen zu sein. Eine überbrückende Maskenbeatmung ist trotz eingesetztem Guedeltubus kaum und nur mit hohem Druck überhaupt möglich. Die SpO2 fällt auf mittlerweile 52%, die Pulsfrequenz liegt bei 119/min. Der Patient ist tief zyanotisch.

“Messer!” ruft der Hubschraubernotarzt durch den RTW und beginnt wenig später die erste Notfallkoniotomie seiner bisherigen Laufbahn. Nach etwa drei Minuten  gelingt es durch viel Blut und einen teilweise destruierten Larynx hindurch tatsächlich einen 5,5er ET-Tubus in die Trachea einzuführen und zu blocken. Die Sättigung ist mittlerweile einstellig, der Patient bradykard. 
Doch trotz sicherer Lage in der Trachea sind nach wie vor hohe, zähe Drücke beim Leeren des Beatmungsbeutels notwendig. Eine suffiziente Beatmung ist unmöglich. Erst jetzt traut sich die Rettungsassistentin eine massive Schwellung im Gesicht des Patienten anzusprechen, welche ihr jedoch schon zuvor aufgefallen war.

Ein Hautemphysem!

Dieser Hinweis ändert sofort alles:
Auf Anweisung des Hubschraubernotarztes wird der Oberkörper des Patienten entkleidet. Er möchte beidseitige Entlastungspunktionen durchführen. Beim Entkleiden fällt eine kleine Prellmarke – vereinbar mit der Form eines Lenkrads – mittig über der Brust auf.  Umgehend wird über 14G Nadeln beidseits in Monaldi-Position entlastet. Trotz dieser Punktionsstelle, dem Gebrauch von i.v.-Nadeln und dem ausgeprägten Weichteilemphysem bei Adipositas scheint dies erfolgreich zu sein: Auf beiden Seiten entweichen deutlich hörbar große Mengen Luft. Der Patient lässt sich jetzt wieder mit niedrigeren Drücken beatmen und zügig aufsättigen, der drohende Kreislaufstillstand konnte abgewendet werden.

Beide Plastikkanülen werden im Thorax belassen und fixiert. Auf jeder Seite wird zusätzlich eine Finger Thorakotomie in Bülau Position durchgeführt, wobei nochmals größere Mengen Luft entweichen können, was zu einer weiteren Verbesserung der respiratorischen Situation führt. Auf die Einlage von Drainagen wird verzichtet. Der Patient verfügt jetzt wieder über ein normales Hautkolorit, zufriedenstellende Kreislaufparameter und eine SpO2 > 92%. Das Ausmaß des Hautemphysems ist ebenfalls rückläufig.

Ein anschließende Traumauntersuchung liefert außer Krepitationen im Bereich der Rippen keinen Anhalt für weitere Verletzungen. Die kleine Kopfplatzwunde wird noch mit einem Verband versorgt.
Der kardiopulmonal mittlerweile stabile, narkotisierte Patient wird komplikationslos in den Schockraum des nächsten Maximalversorgers geflogen. Eine orotracheale Umintubation gelingt dort problemlos. Die stattgehabte Schwellung der oberen Atemwege war am ehesten Folge des Weichteilemphysems. Bis auf ein schweres Thoraxtrauma mit beidseitigen Rippenserienfrakturen, Lungenkontusion, beidseitigen (Rest)-Hämatopneumothoraces, einem minimalen Perikarderguss, der kleinen Kopfplatzwunde und dem iatrogenen laryngealen Knorpelschaden ist der Patient unverletzt. In der Schockraumdiagnostik zeigt sich im cCT jedoch bereits ein beginnendes Hirnödem.

Der zum Zeitpunkt des Unfalls voll im Leben stehende Patient liegt seit Klinikentlassung wegen eines ausgeprägten hypoxischen Hirnschadens schwerbehindert in einem Pflegeheim und wird dort auch den Rest seines Lebens verbringen.


Der Hubschraubernotarzt – und Einreicher des Falles – tut sich bis heute sehr schwer damit, sich sein damaliges “viel zu selbstsicheres und von Arroganz geprägtes” Verhalten bei der initialen Kontrolle der Tubuslage zu verzeihen. Die scheinbar selbstverständliche Überlegenheit beim Airway-Management gegenüber einem jungen Internisten und das (unbewusste) Bedürfnis, diese auch zum Ausdruck zu bringen, standen einer sauberen Durchführung von Basisdiagnostik im Wege. Schon eine einfache Auskultation des Magens hätte den fatalen Fehllagen-Fixierungsfehler höchstwahrscheinlich abwenden können. Einmal mehr waren es (auch) Probleme im Bereich der Non-technical Skills, die in einer solch hoch dynamischen Situation schwerwiegendste Komplikationen nach sich ziehen sollten.

An dieser Stelle gebührt dem Einreichenden Dank und Respekt für die selbstkritische und ehrliche Auseinandersetzung mit derartigen Fehlern und dem Willen, andere hieran teilhaben lassen zu können.


* Die Auskultation des Magens ist nicht sicher genug, um aus ihr definitive Aussagen über die Tubuslage ableiten zu können. Sie darf hierfür niemals als einziges Kriterium herangezogen werden. Im oben geschilderten Fall hätte ein negativer oder uneindeutiger Magen-Auskultationsbefund aber sicherlich dazu beitragen können, die Fixierung des Hubschraubernotarztes auf eine Tubusfehllage zu lösen. Sei es am Ende nur, dass der Gedanke einer womöglich doch korrekten Tubuslage einmal aktiv durchdacht, abgewogen – und optimalerweise – ausgesprochen wird.

Eine wunderbare Grafik von Martin und Philipp aus ihrem Beitrag über Beatmungsprobleme. Bezieht sich allerdings eher auf Patienten, die zuvor schon einmal (gut) zu beatmen waren und dann plötzlich schlecht werden. Die Übertragbarkeit auf den Zeitraum unmittelbar nach Intubation und das Thema Tubusfehllage ist eingeschränkt.

Thoraxtrauma und AB-Probleme:

  • emcrit mit einem genialen Beitrag über den Spannungspneumothorax
  • Monaldi ist raus! Wichtiger Beitrag von news-papers.eu zur Punktionsstelle bei Nadeldekompression
  • Chris Engelen im praxisnahen Nerdfallmedizin-Interview zum schwierigen Atemweg: Teil 1 + Teil 2
  • Tipps von Michael Bernhard zur Atemwegssicherung
  • Thoraxtrauma-NERDfacts von Philipp
  • Apnoeische Oxygenierung: Schöne Beiträge von dasFOAM
  • Perkutane transtracheale Jetventilation: Kleine retrospektive Studie (n=29) aus 1999 zu ihrem Nutzen bei frustraner Atemwegssicherung
  • Schnell, sensitiv, spezifisch und simpel zu Lernen: Lungen-POCUS zur Detektion von Pneumothoraces (rebelem)

Non-technical skills:

  • Wichtiges Thema, sehr zu empfehlender Podcast: RettungsdienstFM zum Thema ‘Just Culture’
  • Was tun, wenn eine Situation richtig schief läuft? Video mit Daniel Marx und Martin
  • Wie wäre es, das ABCDE-Schema um den Punkt F wie ‘Failure’ zu ergänzen?
ABCDEF-Flyer vom DGINA Kongress 2019

Es bestehen keine Interessenskonflikte.

Autor: Navid Azad

An der Notfallmedizin reizen mich ihre Vielseitigkeit, das pragmatische Arbeiten mit menschlicher Physiologie, die mentalen Aspekte des Arbeiten unter Drucks und die vielfältigen gesellschaftlichen Einblicke.

Ein Gedanke zu „NERDfall Nr. 05 – Teil 2: Oesophageale Fehllage oder doch beidseitiger Pneu?“

  1. Sehr interessanter Fall, vielen Dank!
    Eine Frage: in so einem kritischen Fall, könnten wahrscheinlich die Kapno-Werten extrem schlecht und auch täuschend sein, oder? Was könnte man sich bei einer korrekten Intubation in so eine Situation erwarten?
    Danke im Voraus

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