Da kommen den meisten doch gleich betriebsame Bilder von Kleiderschere, Defi-Patches und Tubus in den Kopf – na dann lasst euch mal überraschen!

Auf einer mittelstädtischen Wache ist gerade Ruhe eingekehrt. Die Kolleg:innen fläzen auf den Sofas, ausgelassene, neckende Bemerkungen werden durch den Raum geschmissen, im Hintergrund läuft eine Real-Life-Reportage. Doch schon wird die entspannte Atmosphäre vom durchdringenden Piepen der Melder unterbrochen.
Einsatz für einen der beiden RTW. Reanimation. Die Zusatzinfo “männnlich, 45 Jahre” wird untereinander kommuniziert und das Team begibt sich schnellen Schrittes zu ihrem Fahrzeug. Auf der 6minütigen Anfahrt über die nächtlich-freien Straßen wird per Funk vermittelt, dass der Patient mittlerweile wohl wieder atme aber weiterhin bewusstlos sei.
Der Rettungswagen kommt in einer engen Straße zum Stehen; die Türen lassen sich aufgrund von Mauer und Zaun nur zur Hälfte öffnen, die Kollegen klettern heraus und werden schon von der panisch-schluchzenden Ehefrau am Gartentor in Empfang genommen. Sie folgen ihr einige Treppenabsätze hinab zu einem Mehrfamilienhaus und weiter in eine von dort ebenerdige, ordentliche Wohnung.
Im Wohnzimmer, welches neben Esstisch und Sofa wenig Platz bietet, liegt ihr Ehemann (BMI ~28) wie angekündigt bewusstlos rücklings auf den Fliesen. Als er auf ein kräftiges Ansprechen nicht reagiert, löst ein Schmerzreiz Reaktionen eines GCS-Wertes von 8 (A2V2M4) aus.
NFS und Azubi setzen ihm eine O2-Maske mit einem Flow von 10l auf und beginnen mit einer strukturierten Untersuchung und parallel der Anamnese.
Nach 3-4min trifft das NEF ein und die beiden Neuankömmlinge werden mit der bisher eruierten Situation vertraut gemacht. Von nun an übernimmt der Notarzt die Anamnese, die RTW Kollegen fahren mit den Untersuchungen fort und etablieren im Unterarm einen 18G Venenzugang. Der NEF-Fahrer beginnt mit der Dokumentation im Nebenzimmer.
Es ergeben sich folgende Werte:
A | frei, Schleimhäute feucht & rosig, kein Zungenbiss, keine auffälligen Gerüche |
B | zwischenzeitl. fragl. Apnoe, jetzt Atmung normofrequent, etwas flach, AZV ausreichend, VAG bds, zu keiner Zeit zyanotisch, keine Halsvenenstauung, Thorax stabil, hebt sich bds. regelrecht |
C | Puls bds rhythmisch tastbar, ca. 70bpm, Rekap <2s, RR 140/80mmHg,12-Kanal EKG: SR bei HF 65, Becken stabil, Abdomen weich |
D | GCS initial 8 – Tendenz steigend, Pupillen isokor, etwas träge lichtreagibel, mittelweit, peripher orient. neurol. unauf., BZ 80g/dl |
E | Hautbild trocken & rosig, KT 35,9°C, leichte rötliche sternale Druckstelle sonst Bodycheck o.p.B |
Anamnestisch erfährt das Team, dass die beiden Eheleute einen gemütlichen Abend mit je 2 Gläsern Rotwein hatten und ihr Mann dann plötzlich auf dem Sofa in sich zusammengesackt sei, die Augen schrecklich verdreht und ihres Erachtens nicht mehr geatmet hätte. Daraufhin habe sie sofort den Notruf gewählt und die Anweisungen des Leitstellenmitarbeiters befolgt. Lange hätte sie die Herzdruckmassage nicht ausüben müssen dann hätte er schon wieder einmal schnarchend tief eingeatmet und sie konnte folgend wieder regelmäßige Hebungen des Brustkorbes beobachten.
Eine Dauermedikation und Allergien gäbe es keine; er hätte nur in letzter Zeit ab und zu starke migräneartige Kopfschmerzen und daher vereinzelt ASS eingenommen, so auch heute morgen. Demnächst wolle er damit mal beim Neurologen vorstellig werden, sonst seien aber keinerlei Vorerkrankungen bekannt. Zu Abend hätten sie um ca. 19.30h gegessen und ihr Mann sei seit jeher Raucher.
Nach mittlerweile 15min vor Ort sitzt der Patient zwar mit einer ca. 3minütigen retrograden Amnesie aber sonst wieder 4-fach-orientiert vor den Notfallmedizinern.
Einen Transport in die Klinik lehnt der Patient vehement ab: es seien doch alle Werte vollkommen in Ordnung und er fühle sich wieder quietschfidel. Gerne nehme er per Unterschrift auch alle Verantwortung auf sich.
Und damit geht das Wort wieder an euch:
Wie würdest du in dieser Situation verfahren?
Warum?
Wenn du den Patienten mitnimmst:
In welche Klinik fährst du? Wie meldest du ihn an?
Wie sieht dein sonstiges Vorgehen aus?
Wie auch bei den vorherigen Fällen gilt: teile gerne auch alle anderen relevanten Gedanken, die dir dazu in den Kopf kommen.
Zusatzinfo Freitag 06.11.:
Die Frau des Patienten hält sich sehr im Hintergrund, wirft ihrem Mann jedoch wiederholt unsichere, auffordernde Blicke zu. Der NFS geht dem Anlass dafür nach und fördert so zutage, dass es auf dem Sofa romantischer zuging als bisher kommuniziert. Die Hose habe sie ihrem Liebsten auch erst kurz vor dem Eintreffen des RTW wieder nach oben gezogen.
Das Team sieht sich erst prüfend dann aber schulterzuckend an; einer dankt dem Ehepaar für ihre Ehrlichkeit. Der Notarzt greift erneut zum EKG-Ausdruck aber kann auch auf den 2. Blick keine Auffälligkeiten erkennen.

Wie die letzten Fälle auch, findet der große Austausch wieder in unserer seperaten Nerdfälle-Telegramgruppe statt, komm also gerne dazu und sei dabei!
Teil 2 gibt’s inzwischen hier – Viel Spaß!
Wann kommt denn Teil 2 des Falls?
Den gibt’s schon länger 🙂
Hier: https://nerdfallmedizin.blog/2020/11/09/nerdfall-nr-06-teil-2-tloc-synkope-und-sab-mit-special-guest-tobias-becker-pincast/
Naja, fassen wir mal zusammen:
– Synkope unter Belastung (high-risk, major) und im Sitzen (high-risk, minor)
– keine typischen / kurze Prodromi (high-risk, major) für eine vasovagale Synkope, keine “klassischen” Trigger für situationale Synkope
– QTc > 460ms (high-risk, major)
Laut ESC also eindeutig ein Hochrisikopatient (3x major, 1x minor). Für weitere Maßnahmen vor Ort sehe ich jetzt keine Indikation, er gehört aber auf jeden Fall unter laufendem Monitoring (RR; EKG, SpO2) ins KH. Ich würde versuchen, ihm das auch in aller Deutlichkeit zu sagen und meine Entscheidung entsprechend begründen.