Ein 55-jähriger Mann wird mit neu aufgetretenen thorakalen Schmerzen in die Notaufnahme gebracht. Er hatte sich spät am Abend gegen 22 Uhr in den Kopf gesetzt, den Schnee vor seiner Haustür zu schippen, da er am Folgemorgen früh zur Arbeit musste. Dabei waren die Beschwerden aufgetreten, die auch in Ruhe nicht mehr vergingen, so dass er den Rettungsdienst alarmierte.
Es wurde ein 12-Kanal-EKG angefertigt. Dieses sehe laut Übergabe “etwas ungewöhnlich” aus. ST-Hebungen habe es aber nicht. Dennoch wurde er zur weiteren Abklärung in die Klinik gebracht.
Der Patient schaut dich verunsichert und fragend an. Die Beschwerden seien zwar noch nicht vorüber, aber etwas leichter als am Anfang. Er hatte präklinisch bei V.a. ACS ASS, Heparin und auch Morphin bekommen. Ihm ist übel, der Brustschmerz zieht in beide Oberarme.
Du schaust auf die Uhr: Es ist Mitternacht. Die Kardiologin vom Dienst schläft.
Du überlegst, ob du den Herzkatheter bei V.a. ACS aktivieren oder zunächst nur Troponin bestimmen sollst und das ggf. im Verlauf wiederholst. Oder liegt hier gar etwas ganz anderes vor?
Du drehst und wendest das EKG ein weiteres Mal und…

Fortsetzung weiter unten….
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
Dir sind die Vorderwandableitungen aufgefallen. Du weißt, dass gute EKG-Kenntnisse durch Mustererkennung gekennzeichnet sind. Daher hast du dir das Muster von “de Winter” in einer Fortbildung eingeprägt, welches dir nun in diesem EKG auffällt.
Beim de Winter-EKG zeigt sich in manchen Ableitungen der Vorderwand (V2-V5) eine Absenkung der ST-Strecke gefolgt von einem steilen Anstieg mit hoher T-Welle. Dieses tritt in ca. 2% der akuten Vorderwandinfarkte auf. Außerdem ist bei diesem EKG auch die ST-Strecke von V1 etwas angehoben.

Zusätzlich bestehen die Beschwerden noch und sind sogar mit vegetativer Symptomatik (Übelkeit vielleicht durch das Morphin, vielleicht aber auch nicht) und Ausstrahlung der Beschwerden vergesellschaftet.
Du rufst also die Kardiologin an, entschuldigst dich für die nächtliche Störung und bittest sie, den akuten Verschluss des proximalen RIVA zu behandeln, den du durch Klinik und EKG vermutest.
Dieser Bitte kommt sie nach und klopft dir später auf deine Schulter für dein gut geschultes EKG-Auge und bestätigt deine Verdachtsdiagnose… 🙂
Take home messages:
- Folgende klinische Auffälligkeiten sollten einen (zusätzlich zu Thoraxschmerzen) an einen akuten Koronarverschluss denken lassen:
- Ausstrahlung der Beschwerden
- verstärkt unter Belastung
- vegetative Symptomatik (z.B. Übelkeit)
- Schweißausbruch
- 2% der Vorderwandinfarkte gehen mit dem EKG-Bild des “de-Winter-ST/T” einher, erfüllen somit nicht die STEMI-Kriterien, müssen aber dennoch einer akuten Herzkatheteruntersuchung zugeführt werden.
- Bei Thoraxschmerzen und “komischem” EKG: Umgehend Expertenrat einholen.
Weiterführende Literatur:
Nerdfallmedizin-Video zu Hochrisiko-EKGs mit Klaus
DeWinter Fallbeispiel-Video mit Klaus
Wären nicht auch die fehlenden R’s & Q’s auffällig?
Klasse 🙂 Ich lese diese Artikel mindestens so gern’ wie DIE ZEIT nur das hier niemals viel Zeit vergeht bis sie gelesen sind. Im anderen Fall manchmal schon … vielen Dank für Eure Mühe!