Die Abklärung von Brustschmerzen gehört zu unserem “Brot-und-Butter”-Geschäft präklinisch und v.a. in der Notaufnahme. Im letzten Herbst gab es von der ESC die neue Leitlinie zum Management von Patienten mit Brustschmerzen ohne ST-Hebungen im EKG, diese wurde auch im PINCAST April besprochen. Aufgrund vielfältiger Differentialdiagnosen wird zunehmend der Begriff des NSTE-ACS (Akutes Koronarsyndrom ohne ST-Hebungen) geprägt. Dies ist von Patienten mit Brustschmerzen und entsprechender ST-Hebung (oder äquivalentem Hochrisiko-EKG: STEMI/OMI) abzugrenzen.
Gefühlt mindestens einmal, häufig mehrfach pro Schicht stehen wir vor der Aufgabe, einen Patienten mit typischen oder atypischen Angina Pectoris Beschwerden, also Brust-/Oberbauch-/Rücken-/Schulterschmerzen abzuklären und festzustellen, ob dieser Patient entlassen werden kann oder er weitere Diagnostik im Krankenhaus benötigt. Häufig sind diese Beschwerden bei Aufnahme im Krankenhaus schon wieder weg, manchmal bestehen sie aber auch noch oder fluktuieren.
Denkt daran dass v.a. bei älteren Patienten und/oder weiblichen Patienten die Symptome atypisch sein können! Auch bei Diabetikern ist die Schmerzwahrnehmung durch die Neuropathie möglicherweise schon gestört so dass evtl. nur Luftnot, Schwäche oder eine Synkope als Symptome eines Herzinfarkts bestehen.
Die Anamnese ist wirklich wichtig und sollte strukturiert und detailliert vorgenommen werden. Zur korrekten Beschreibung der Schmerzsymptomatik eignet sich z.B. das SOCRATES-Schema (Hinweise zur Anamneseführung bei Brustschmerz und zu SOCRATES findet ihr hier). Nach der folgenden körperlichen Untersuchung fokussiert sich die Einschätzung, ob ein kardiales Problem vorliegen könnte meist auf zwei diagnostische Tools: Das Troponin und das EKG. Der HEART-Score oder andere Risikotools können gerade bei Intermediär- oder Niedrigrisiko-Patienten in der Einschätzung für die Notaufnahme zusätzlich unterstützen.
Troponin nach 0 und 1 Stunde
Das Troponin ist ein sensibler Marker, der bei einer Schädigung von Herzmuskelzellen relativ rasch im Blut nachweisbar ist. Über die letzten Jahre haben sich die Bestimmungsmethoden im Labor stetig verbessert hin zu den hochsensitiven (hs) Troponin-Tests. Diese Tests detektieren schon sehr geringe Mengen an Troponin im Blut des Patienten mit hoher Genauigkeit.
In der 2015er Leitlinie wurde noch eine Kontrolle des Troponins nach drei Stunden empfohlen. Diese Zeit wurde jetzt auf eine Stunde verkürzt (für einen Großteil von Testsystemen). Dies ist möglich, weil die hochsensitiven Tests in der Lage sind, auch kleine Unterschiede im Troponinspiegel sehr verlässlich zu messen.
Das Troponin-Testergebnis kann dann als “Sehr niedrig”, “Niedrig” und “Hoch” eingestuft werden, mit einem Graubereich zwischen “Niedrig” und “Hoch”. Aufgrund der kurzen Zeit zwischen den Blutabnahmen wurden auch andere Grenzwerte für Troponin-Veränderung festgelegt. Informiert euch darüber, welches Testverfahren euer Labor verwendet! Übrigens: Weitere Laborparameter, wie die CK-MB, müssen nach aktuellen Empfehlungen nicht mehr mitbestimmt werden, da sie keine relevanten Zusatzinformationen liefern.
Je nachdem, in welche Kategorie das Troponin-Testergebnis fällt bzw. wie hoch der Unterschied zwischen den beiden Troponinen ist, kann ein Myokardinfarkt schließlich entweder ausgeschlossen “Rule-Out” oder nachgewiesen “Rule-In” werden. Patienten die in keine der beiden Gruppen fallen werden unter “Beobachtung” geführt und brauchen ein weiteres Troponin nach insgesamt 3 Stunden und evtl. eine Echokardiographie.
Übrigens: Wenn die AP-Beschwerden bei Präsentation des Patienten bereits mindestens drei Stunden andauern braucht ihr auch keine Troponin-Kontrolle sofern der erste Troponin-Wert “sehr niedrig” ist.
Und zu letzt: Das alles bezieht sich auf ein hochsensitives Troponin. Bestimmt euer Labor kein hs-Troponin oder verwendet ihr ein POCT-Troponin (als Schnelltest direkt in der Notaufnahme), kann dieser Algorithmus in dieser Form nicht angewendet werden.
Die genauen Definitionen von “sehr niedrig”, “niedrig” etc. findet ihr in der aktuellen NSTE-ACS-Leitlinie des ESC (Abschnitt Diagnosis – Table 5).
Troponin-Erhöhung: Nicht immer NSTEMI
Viele, v.a. chronische Erkrankungen, führen auch ohne das Vorliegen eines Herzinfarkts zu erhöhten Troponin-Werten (“Troponinämie”). V.a. wenn in eurer Notaufnahme routinemäßig das Troponin mitbestimmt wird, werdet ihr häufig erhöhte Troponin-Werte ohne unmittelbare Konsequenz sehen.
Beispielsweise ist bei einer Tachyarrhythmia absoluta im Vorhofflimmern v.a. bei längerdauernder Symptomatik das Troponin häufig erhöht. Eine Belastung des Herzens durch eine Aortenstenose kann ebenso wie eine Entzündung des Herzmuskels im Rahmen einer Myokarditis den Troponinspiegel erhöhen.
Im Rahmen einer schweren Lungenarterienembolie wird das rechte Herz möglicherweise belastet, auch dies drückt sich u.a. in einem erhöhten Troponin aus. Weitere Beispiele sind eine Aortendissektion oder eine Sepsis.
EKG – Sofort und mehrfach
Das EKG gehört beim Patient mit AP-Beschwerden schnell geschrieben und auch rasch befundet! Zeigen sich dort nämlich sog. “STEMI-Äquivalente” wie z.B. ein neuer Linksschenkelblock, oder ausgedehnte ST-Senkungen über allen Brustwandableitungen in Verbindung mit typischer Symptomatik, sollte der Patient direkt zur Koronarangiografie vorgestellt werden.
Philipp und Dr. Fessele diskutieren in diesem Video typische “Hochrisiko”-EKGs.
Wichtig ist auch, sich zu verinnerlichen, dass ein Herzinfarkt mitunter ein dynamischer Prozess ist, während das EKG immer nur eine Momentaufnahme darstellt. Daher ist es v.a. bei wechselnden oder sich im Charakter verändernden Beschwerden sinnvoll, Verlaufs-EKGs zu schreiben. Verändert sich das EKG in solchen Verlaufskontrollen deutlich, wie z.B. durch transiente ST-Hebungen, wird ein kardiales Ereignis deutlich wahrscheinlicher.
Differentialdiagnosen berücksichtigen
Ein Herzinfarkt ist nur eine von vielen möglichen Ursachen für Schmerzen im Bereich der Brust. Daher sollten wir die Differentialdiagnosen immer zumindest mit im Hinterkopf haben und vor allem an die anderen potentiell tödlichen Ursachen für Brustschmerzen denken: Die Aortendissektion, die Lungenarterienembolie, der (Spannungs-)Pneumothorax und das selten Boerhaave-Syndrom (Ösophagusruptur). Die Anamnese ist hier entscheidend – das Vorgehen nach dem SOCRATES-Schema hilft dabei, die Charakteristika des Brustschmerzes näher einzuschätzen.
Gut, dass es hier auf Nerdfallmedizin vor kurzem zwei hilfreiche Shortcuts zur Lungenarterienembolie und zur thorakalen Aortendissektion gab, vielleicht eine gute Gelegenheit, diese wichtigen Differentialdiagnosen nochmals durchzugehen.
Und bei der Frage nach einem Pneumothorax können wir eine Lungensonografie anwenden. In unseren Nerdpearls im November hatten wir so einen Fall gezeigt. Noch mehr Beispiele für Ultraschall bei Pneumothorax findet ihr im genialen The Pocus Atlas.
Aspirin oral
Die früher noch praktizierte Gabe von zwei verschiedenen Thrombozytenhemmern (z.B. Aspirin und Clopidogrel) wird nun nicht mehr empfohlen. Tatsächlich kann eine doppelte Thrombozytenhemmung auch nachteilig sein, indem sie z.B. bei einer notwendigen eiligen Bypass-Operation das Blutungsrisiko unnötig erhöht. Üblicherweise erfolgt die Gabe eines zweiten Thrombozytenhemmers (aktuell häufig Prasugrel oder Ticagrelor) erst während oder kurz nach der Koronarangiografie.
Außerdem ist bei vermutetem oder bewiesenem NSTEMI die Gabe von Aspirin in oraler Form, also als Tablette, völlig ausreichend. Die Dosis beträgt hier 150-300mg. Ist eine orale Gabe nicht möglich (z.B. bei Erbrechen / Bewusstlosigkeit) geht natürlich auch intravenös – dann aber nur 250 mg.
Ist die Diagnose “NSTEMI” dann gestellt und der Patient wird zur Koronarangiografie vorgestellt, ist auch Heparin indiziert. In der Praxis wird man dies immer mit der Kardiologie besprochen, das verwendete Präparat (unfraktioniertes vs. niedermolekulares Heparin) wird auch vom geplanten Zeitpunkt der Koronarangiografie abhängen. Eine routinemäßige präklinische Gabe von Heparin ist aber vermutlich nicht bei allen Patienten mit vermutetem NSTEMI erforderlich, v.a. wenn die Wahrscheinlichkeit eher niedrig ist.
Referenzen
PINCAST 04/2021: NSTEMI ESC Leitlinie
Meine oben gestellte Frage zum Heparin/ASS bezieht sich bei vorangegangener Antikoagulation (ausg. ASS)
Wieso gibt man beim NSTEMI ASS, Heparin ist nicht indiziert wegen möglich stärkerer Blutungsgefahr bei z.B. Aortensyndrom… usw. Wieso trotzdem ASS? Ich verstehe den Wirkunterschied noch nicht genau…
Hallo ihr beiden,
eine Frage zur ASS / Heparin Gabe habe ich:
Wann gebt ihr es bei einem NSTEMI? Präklinisch? Oder erst, wenn das Troponin da ist und damit die Diagnose gestellt ist? Oder Präklinisch, wenn es zB Senkungen gibt? Wie ist es bei typischer Klinik, aber unauffälligem EKG präklinisch? Gebt ihr es dann auch schon oder wartet ihr ?
vielen Dank und großes Lob für die tolle Seite hier!
Jonas
Hey Jonas,
einen NSTEMI kann man präklinisch ohne Troponin nicht diagnostizieren. Wenn, dann ist es ein NST-ACS, da würde ich nur ASS geben.
Heparin gibt es nur bei STEMI oder bei STEMI-äquivalentem Hochrisiko-EKG, definitiv nicht bei Brustschmerz ohne Hochrisiko-EKG, untypischen EKG-Veränderungen etc.
Denn: Heparin kann durchaus auch etwas kaputt machen bzw. Probleme machen, z.B. falls der Thoraxschmerz doch durch einen Pneumothorax, Ösophagus-Verletzung oder Aortendissektion ausgelöst ist….
Bin ich absoluter gleicher Meinung.
Die Nitrogabe wird beim peristisierendem Thoraxschmerz präklinisch beim ACS empfohlen. Was ist die genaue Definition oder was ist genau damit gemeint? Anhaltende Schmerzen des Patienten >20min oder keine Besserung z.B.nach Morphingabe?
Lg André
Nach Ausschluss der Kontraindikationen und bei erhöhtem RR kann durch Nitro auch initial schon eine Besserung erreicht werden. Tritt eine Besserung ein, ist das geichzeitig ein weiterer Hinweis auf eine kardiale Genese der Beschwerden.
Hallo liebe Kollegen,
ungeachtet Eurer tollen Beiträge, stimme ich der Eurer Empfehlung ASS in der Präklinik oder in der Nothilfe oral zu verabreichen NICHT zu!
Immer wieder wird diskutiert, dass die enterale Resorption durch die zusätzliche Opiatgabe, die meist erforderlich ist, verschlechtert wird. Zudem frage ich mich welchen wirklichen Vorteil es bringt, wenn man eh einen IV-Zugang hat… Und wo habe ich im RTW was zum Trinken… und sollte der Patient nicht besser, so gut es geht, nüchtern bleiben? Die Tablette trocken runterzuwürgen ist doch auch keine Lösung?! Nur weil die Literatur die orale Gabe als gleichwertig ansieht, muss man das ja nicht als primär sinnvollen Applikationsweg ansehen.
Hi Regina und danke für das Feedback.
Wenn man einen i.v. Zugang hat, ist ASS i.v. völlig ok und kein Fehler. Man muss orales ASS keinesfalls erzwingen. Uns ging es vor allem darum, dass man i.v. ASS nicht auf “Biegen und Brechen” machen muss. Es gibt immer wieder Fälle, bei denen ewig nach i.v. Zugängen gesucht wird und schließlich ASS in den schlechten, blauen Zugang “halb para” gespritzt. Da ist die Resorption auch nicht so toll…
Das Konzept der späteren Resorption wird diskutiert, stimmt – aber durch Zahlen und Daten bisher nicht belegt. Die Nüchternheit wird durch ein paar Schluck Wasser nicht relevant beinträchtigt (und ist sowieso ein diskussionswürdiges Konzept, aber das ist ein anderes Thema ;-)).
Fazit (für mich persönlich): Wenn i.v. Zugang vorhanden, gerne i.v.. Wenn i.v. Zugang nicht vorhanden oder vermutlich prolongiert (bsp. maximal adipös und kein Sono vorhanden oder in einer Praxis, wo das alles etwas dauern kann, je nach Team und Setting), gerne auch ASS oral, dann nach Zugang suchen)