Eine 26-jährige Patientin ist mit starken Schmerzen in der Brust am frühen Morgen aufgewacht. Ihre sehr besorgte Mutter bringt sie nun zum Ende deiner Nachtschicht in die Zentrale Notaufnahme. Die Patientin gibt an, dass sie solche Schmerzen noch nie zuvor gehabt hat. Normalerweise sei sie eine gesunde Frau, die sehr auf Ernährung achte und regelmäßig Sport treibe.
Auf Nachfrage wird Alkohol- und Nikotinabusus verneint. Die Frage nach Drogen wird mit etwas strengem Blick und Kopf schütteln quittiert.
Da sie seit ein paar Tagen zusätzlich erkältet ist, werden alle üblichen Vorsichtsmaßnahmen penibel eingehalten und in Vollschutz ein Antigen-Schnelltest auf SARS-CoV-2 abgenommen. Dieser fällt negativ aus.
Die Belastungsfähigkeit sei ebenfalls eingeschränkt, die Patientin sieht in der Erkältung die Ursache darin. Nach dem Aufstehen habe beim Treppen steigen das Herz gerast und sie sei umgehend ins Schwitzen gekommen. Sie habe sich dann wieder hinlegen wollen, aber das habe die Situation auch nicht gebessert. Im Gegenteil, im Sitzen sei es ihr besser gegangen.
Die körperliche Untersuchung, insbesondere an Herz und Lunge, ist unauffällig.
Parallel hierzu wird ein 12-Kanal-EKG abgeleitet. Dieses zeigt:


Du schaust dir das EKG an und… (Auflösung weiter unten)
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… erkennst konkave ST-Hebungen in den Ableitungen I, II, aVF und V2-V6. ST-Senkungen siehst du in aVR und V1. Da dir kein Versorgungsgebiet der Koronarien einfällt, das all diese Ableitungen mit ST-Hebungen betrifft, bist du ein wenig skeptisch, ob das wirklich ein STEMI ist. Außerdem fallen dir kleine Knotungen am Ende des absteigenden R auf und du denkst an eine Zeichnung, die dir vor Jahren in einem EKG-Buch aufgefallen war und dort „Storchenbeinzeichen“ genannt wurde..

Dennoch denkst du, dass grundsätzlich gilt:
Thoraxschmerzen + ST-Hebungen = Herzkatheteruntersuchung!
Zum Glück hat heute deine Lieblingskardiologin Dienst. Du berichtest ihr von der Konstellation „thorakale Schmerzen – junge Patientin – grippaler Infekt – im EKG ST-Hebungen ohne ST-Senkungen außer in aVR und V1 sowie eine kleine positive Welle am Ende des QRS-Komplexes“.
Sie stellt als Rückfrage, ob die Patientin atemabhängige Schmerzen angibt. Als dieses bejaht wird, möchte sie noch wissen, ob die ST-Hebung in III höher ist als in II (das spräche für einen STEMI).
Da dieses nicht der Fall ist, steht nun die Verdachtsdiagnose fest:
Akute Perikarditis
Eine Transthorakale Echokardiographie zeigt im Verlauf nur eine leichtgradig eingeschränkte linksventrikulärer Ejektionsfraktion und nach ausführlicher Beratung mit Patientin, Kardiologin und dir, kommt ihr zur Entscheidung, dass keine Herzkatheteruntersuchung notwendig ist. Ihr initiiert eine antiphlogistische Therapie und legt sie zunächst an die telemetrische Überwachung in die Kardiologie, um nicht etwaige Herzrhythmusstörungen zu verpassen.
Learning points:
- Typische EKG-Zeichen einer Perikarditis können sein: ST-Hebungen, die verschiedene Versorgungsgebiete repräsentieren, keine ST-Senkungen (außer in aVR und V1), PQ-Senkung, abfallende TP-Strecke (Spodick-Zeichen), Sinustachykardie, „Storchenbeinzeichen“ (Knotung am Ende des absteigenden R)
- Eine Faustregel zur Differenzierung zwischen Perikarditis und aktuem Koronarsyndrom ist: Tachykardie spricht für Perikarditis und nicht für ACS (außer wenn eine andere Herzrhythmusstörung begleitend vorhanden ist oder ein kardiogener Schock vorliegt).
- Das manchmal im Verlauf zu hörende Perikardreiben ist insbesondere zu Beginn der Krankheit selten
- Bei dem geringsten Zweifel an der Diagnose einer Perikarditis sollte eine Rücksprache mit der/dem diensthabenden Kardiologin/Kardiologen gehalten werden, um ggf. eine Herzkatheteruntersuchung durchzuführen. Auch junge Menschen können einen akuten Koronarverschluss haben!
Weitere Literatur:
Chaubey VK, Chhabra L. Spodick’s sign: a helpful electrocardiographic clue to the diagnosis of acute pericarditis. Perm J. 2014 Winter;18(1):e122. doi: 10.7812/TPP/14-001. PMID: 24626086; PMCID: PMC3951045. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3951045/
Und wir haben natürlich auch schonmal darüber berichtet!
Danke – sehr schöner Beitrag .. aber cave, das Peridarditis-EKG bleibt tückisch und die beschriebenen Zeichen unsicher… unten ein Twitter Link zu einem Perikarditis EKG von meiner Festplatte – die TP Strecke ist hier in II auffallend wechselnd – von abfallend (Spodick) bis ansteigend – offensichtlich/vermutlich abhängig von der Respiration… in V2-4 abfallend, in V5-6 aufsteigend…. aber gerade dieser Wechsel mag ein zusätzliches Zeichen sein – horizontal verläuft die TP Strecke jedenfalls in meinem Beispiel nicht!
Übrigens ähnlich ST-Hebung II vs III – in einem Schlag erscheint II > III, im nächsten II < III
https://twitter.com/OAB1967/status/1392208075432632326?s=20
Mir fehlt das EKG. Ich kann es auf keinem System sehen.
Jetzt müsste es drin sein! 😉
Geht es nur mir so oder sehen alle das EKG nicht?
Müsste jetzt zu sehen sein! 🙂