NERDfall Nr.14: Langsam unterwegs!

Herzlich willkommen zu NERDfall Nr.14! Erneut geht es ziemlich hoch her, eure Hilfe wird dringend benötigt. Viel Freude beim Mitmachen und Diskutieren – wir sind mal wieder sehr gespannt! 🙂

Es ist ein regnerischer, kalter Oktoberabend. Nasses Laub klebt an den Gullideckeln, ein kühler Wind weht durch die Straßen, im Hintergrund ist kontinuierlich das Geräusch von Autoreifen auf nasser Fahrbahn zu hören. Ein junger Notarzt und dessen Lieblingskollege warten gerade auf ihr Essen, als sie vom Schrillen des Melders auf eine 6-minütige Einsatzfahrt in Richtung des Randes der Großstadt geschickt werden. Ein RTW hat zum kardiologischen Notfall nachgefordert, ein 78-jähriger Patient sei wohl bradykard. Mehr Informationen liegen aktuell nicht vor.

Nach Eintreffen am Einsatzort stößt die NEF-Besatzung samt Schreibkladde und NEF-Zusatztasche durch ein enges Treppenhaus in den 4. Stock des Wohngebäudes vor, wo bereits eine Wohnungstür offensteht. Im Wohnzimmer finden sie einen auf dem Sofa sitzenden, älteren Herrn in schlankem EZ und dessen erwachsene Tochter vor. Sofort imponiert ein sehr blasses Hautkolorit ohne Zyanose, eine Atemfrequenz von etwa 40/min (AZV erscheint ausreichend) und beidseits diskret gestaute Halsvenen. Die Herzfrequenz beträgt ebenfalls 40/min, der Blutdruck liegt bei 110/65 mmHg. Die SpO2 misst 94%. Durch das RTW-Team wurde neben dem Basismonitoring bei sehr schlechtem Venenstatus bereits ein rosafarbener 20G i.v.-Zugang am Handrücken links etabliert. Eine Sauerstoffgabe erfolgt bislang nicht. Wegen des engen Treppenhauses und des Patientenzustandes wurde durch das RTW-Team bereits die Feuerwehr zur Drehleiterrettung nachalarmiert. Initial sei der RTW ohne Sonderrechte wegen AZ-Verschlechterung seit 10 Tagen mit progredienter Dyspnoe und diffusen Rückenschmerzen alarmiert worden. Ansonsten gäbe es im Moment nichts zu übergeben.

Insgesamt zeigt sich der Patient leicht verlangsamt, jedoch wach, adäquat und orientiert zu allen Qualitäten. Auf Fragen antwortet er atemlos mit knappen Sätzen und extrem angestrengt. Die Rekap-Zeit beträgt 3 Sekunden, die Haut des Patienten ist trocken und kühl. Die Schleimhäute sind trocken, der Patient wirkt auch insgesamt exsikkiert. Bei der Auskultation von Herz und Lunge zeigen sich reine, leise Herztöne sowie ein vesikuläres Atemgeräusch beidseits. Das Abdomen ist weich, die Peristaltik rege. Die periphere Pulse an oberer und unterer Extremität sind seitengleich tastenbar. Es finden sich minimal ausgeprägte Knöchelödeme.
Parallel herrscht reges Treiben um den Patienten herum: 15l/min O2 über Maske werden appliziert, die Therapieelektroden in AP-Position (anterior-posterior) angebracht und das 12-Kanal EKG geklebt. Zudem wird eine Ampulle Atropin aufgezogen und 1mg Adrenalin in 100ml NaCl verdünnt, beides wird entsprechend beschriftet.

Initiales 12-Kanal EKG (Sorry wegen der Qualität. Leider gibt es auch nicht mehr EKG-Material)

Während der EKG-Befundung wird der Notarzt von der Rettungssanitäterin darauf aufmerksam gemacht, dass sich das EKG-Bild ab und zu verändern würde. Und tatsächlich: Immer wieder kommt es am Monitor für einige Sekunden zu einem Bild eines noch bradykarderen Rhythmus – eine klare Differenzierung zwischen höhergradigem AV- und SA-Block ist dabei nicht möglich. Über eine Bradyarrhythmia absoluta (BARA) geht die Herzelektrik anschließend wieder zum oben gezeigten EKG über. Ohne den Hinweis aus dem Team hätte der Notarzt hiervon zunächst einmal nichts mitbekommen. Er bittet die Rettungssanitäterin daraufhin, den QRS-Ton zu aktivieren. Dem ganzen Team fällt nun auf, dass mit der intermittierenden Abnahme der Herzfrequenz immer auch eine kurz anhaltende, soporöse Vigilanzminderung einhergeht und dies gar nicht mal so selten der Fall ist: Ein- bis zweimal pro Minute fallen dem dann auch erschlaffenden Patienten für einige Sekunden die Augen zu.

Unter anderem deswegen muss die Tochter bei der jetzt folgenden Anamneseerhebung helfen: „Mein Vater klagt schon seit Tagen über Rückenschmerzen und mit dem Atmen wurde es auch immer schlechter. Eigentlich ist er immer gut drauf und fit, so kenne ich ihn jetzt gar nicht. Meine Mutter ist seit zwei Wochen in der Reha, scheinbar kommt er alleine doch nicht so richtig zurecht. Er trinkt auch immer so wenig. Heute Mittag hat er mich angerufen, weil es wohl gar nicht mehr ging. Jetzt habe ich die 112 gewählt, weil ich auch nicht mehr weiterwusste. Das ist doch kein Zustand so. Wegen seinem Bluthochdruck nimmt er Ramipril ein, sonst hat er nichts. Auch keine Allergien. Zum Hausarzt geht er aber nicht wirklich, ihm ging es ja auch immer gut. Vor 10 Jahren hat er mit dem Rauchen aufgehört (35py). Sein Vater ist jung an einer Leukämie gestorben, meine Oma hatte mit 60 zwei Schlaganfälle und war dann auch tot.“ Der Patient verneint auf Nachfrage thorakale sowie epigastrische Beschwerden und bestätigt sichtlich angestrengt und mit knappen Worten die Schilderungen seiner Tochter.


 Wie würdest du in dieser Situation weiter vorgehen? 
Hätte sich dein Handeln von dem des Teams unterschieden?
Wie ist deine Interpretation des EKGs?






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Lehrreich können auch die ganz kleinen Dinge sein – es muss nicht spektakulär, blutrünstig oder abgespaced sein! Einfach das, was dich ganz persönlich weitergebracht hat.

Autor: Navid Azad

Ich würde schon sagen, dass ich ein Notfallmedizin-Enthusiast bin. Mich reizen dabei die Vielseitigkeit, das pragmatische Arbeiten mit menschlicher Physiologie, der Einblick in (emotionale) Extrembereiche und die mentalen Aspekte beim Arbeiten unter Druck.

12 Gedanken zu „NERDfall Nr.14: Langsam unterwegs!“

      1. Hallo Wiebke
        Bin eigentl niedergelass Allgemeinmedizinerin ,fahre aber seit 2 Jahren NEF ,weil ich es so spannend finde.
        Vielen herzlich Dank für deinen tollen, eindrucksvollen Artikel.
        Habe viel gelernt…macht weiter so…ich bin ein begeisterter Fan von Nerdfallmedizin…
        Liebe Grüsse

      2. Das freut uns natürlich sehr ☺️
        … muss allerdings an dieser Stelle zugeben, dass dieser Artikel von Navid stammt – Unsere Namen müssten eigentlich immer am Artikeleingang auftauchen.
        Beste Grüße und weiterhin viel Spaß in der Notfallmedizin!

  1. In Kombi mit Rückenschmerzen denk ich an Hinterwandinfarkt mit AV Blockierung und Kammerersatzrhyrhmus.
    2. Zugang ( ggfs rechtes Handgelenk wegen Coro freilassen)
    3. heparin 5000iE, Aspisol 250 mg, Atropin war nicht wirksam
    3. Analgosedierung mit Morphin und Tavor exp. 1mg sowie Antiemetikum
    4. da symptomatische Bradycardie ohne Atropinwirkung dann externer Schrittmacher
    5. Parallel 24/7 Kardiologie mit Katheterbereitschaft informieren über vermuteten HInterwandinfarkt und ggfs passagere Schrittmacheranlage
    6. in Reanimationsbereitschaft dann raus- ggfs auch über Drehleiter. Wird vermutlich schneller sein als Treppenhaus

  2. Totaler AV- Block mit Kammerersatzrhythmus. Möglicherweise ischämisch bedingt bei z. B hier durch Hinterwandinfarkt o. RIVA mit konsekutivem kardiogenem Schock.
    Adrenalin Perfusor ggf. Pacing ggf. REA! TRANSPORT INS KH mit 24 H HKL – Bereitschaft.

  3. Vorbereitung durch den Rettungsdienst sehr gut, einzig 15l O2 sind mir bei 94% etwas zu viel!
    EKG: anhand des vorliegenden EKGs Rhythmus nicht beurteilbar, in der Brustwandableitung LSB oder ventrikulärer Ersatzrhythmus, ST-Senkungen dadurch erklärbar, insgesamt aber auch STEMI-Äquivalent möglich.
    Letztlich kreislaufinstabiler Patient, der in dem Zustand nur im Notfall auf eine Drehleiter sollte. Die Zeit bis zum Eintreffen der Feuerwehr nutzen:
    2. Zugang, knappe neurologische Untersuchung zum Rule Out Dissektion, Therapieversuch mit Atropin (Ansprechen macht AV-Block unwahrscheinlich), sekundär push-dose mit Adrenalin-Gemisch, sonst externe Schrittmacher-Therapie, ASS/Heparin erwägen, wer sein Butterfly dabei hat könnte ein orientierendes Echo machen, wobei wahrscheinlich auch die Bradykardie zur RHB führen kann.
    Nach bestmöglicher Stabilisierung kardiologische Zielklinik

  4. Leider ist die sichere EKG Diagnostik hier so möglich. Intermittierender AVB 3 oder doch VES? Höhergradiger SA Block? Infarktdiagnostik (gerade bzgl. Rechtsherzinfarkt) auch nicht wirklich möglich.
    Deshalb umdenken: Bradykarde Herzrhythmusstörung, teils deutliche Instabilitätskriterien. Auslöser erstmal fraglich, Behandlungsdruck jedoch bei sich häufenden Vigilanzminderungen recht hoch.

    Angenommen eine Maximaltherapie ist gewünscht (keine Palliativsituation):
    Aufgrund der deutlichen Verbreiterung des QRS der Brustwand würde ich Atropin überspringen und mit 2-10 Mikrogramm Adrenalin/min mein Glück versuchen (reines Bauchgefühl). Parallel würde ich eine milde Analgosedierung vorbereiten (wohl am ehesten Ketanest-Dormicum oder Fenta) und bei nicht adäquatem Ansprechen auf Adrenalin zügig zum Pacing im Demand-Modus mit einer Frequenz initial von 50-60/min übergehen; bei unzureichendem Ansprechen schrittweise Frequenzerhöhung.
    Das Ganze würde ich in genannter Situation definitiv vorm Drehleitern durchführen, den Pat. dann aber zügig ins Fahrzeug bringen.

    Weiterhin V7-V9 ableiten, EKG in besserer Qualität anfordern, entsprechend therapieren (…bei Rechtsherzinfarkt Volumenbolus, gute Idee)
    Für mich am ehesten Bild eines beg. kard. Schocks.

  5. EKG: Sinusarrest/AVB III°, 42/min, rechtsventrikulärer Ersatzrhythmus, Ableitung I-III fehlt wohl.
    Beginn Suprarenin 2-10µg/min, ggf. Pacing extern + erneutes EKG mit allen Ableitungen

  6. Mega schlau, dass sie frühzeitig an die Drehleiter gedacht haben👍.
    Mein erster Gedanke wäre eine Lungenembolie gewesen, aber die macht ja eher keine EKG-Veränderung. Beim EKG finde ich (neben der niedrigen Frequenz) vor allem die nicht erkennbaren P-Wellen und die ST-Streckendepressionen besorgniserregend. Von NSTEMI über Ausfall des AV-Knotens könnte hier alles möglich sein, eventuell auch eine Intoxikation… Keine Ahnung, auf jeden Fall ist es nicht gesund.
    Die Kombination mit dem Flüssigkeitsmangel tut dem Herrn aber sicherlich auch nicht gut.
    Als Vorschlag: Volumenbolus ca. 200 ml und dann gucken, ob ihm das hilft oder eher nicht (Vorlaststeigerung bei eh schon gestauten Halsvenen). Alles weitere nach der Drehleiterfahrt.
    Da hier auch ein Versorgungsproblem und eine Vigilanzminderung im Raum stehen: Blutzucker messen.

  7. V1-V6: Ersatzrhythmus ohne eindeutig sichtbare P, ca 25/Mi, QRS sehr breit ( in V1-V3 ca 200 ms), QS Komplex V1-V3, hohe zeltförmige T Welle, ST Senkung V4-V6.
    Extremitätenableitung: auch Ersatzrhythmus, ca 43/Mi, RT, QRS nicht so breit wie in V1-V3 aber auch verbreitert, ST Hebung I, aVR, Senkung II, aVL.
    Könnte es eine Hyperkaliämie bei akutem Nierenversagen + Ramipril in Folge Urosepsis oder Spondylodiszitis (Rückenschmerzen) sein?

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