EKG-Case: Wie sag ich`s der Notaufnahme?

Eine alte Dame klagte über Atemnot, daher wurde der Rettungsdienst gerufen. Die Beschwerden seien seit zwei Tagen zunehmend, heute sei sie vor Schwäche gar nicht mehr aus dem Bett gekommen.

In deinem Beisein synkopiert die Patientin für wenige Sekunden. Die Herzfrequenz am Monitor zeigt eine Bradykardie (HF wechselnd zwischen 20 und 70/min.). Du fühlst zeitgleich ihren Puls, der dabei durchgehend bei einer Frequenz um 70/min. liegt. Im Anschluss an die Synkope ist die Patientin wieder voll orientiert.

Bei der körperlichen Untersuchung fallen Beinödeme beidseits auf bei bis auf minimale Rasselgeräusche basal unauffällige Auskultation.

Wie in solchen Fällen üblich, denkst du nach Erhebung der Vitalparameter (Blutdruck: 110/70 mmHg, SpO2: 98%, Puls: 70/min., Temp.: 37.0°C) an das 12-Kanal-EKG, dieses zeigt:

EKG 1

Du nimmst dir ein wenig Zeit zur Interpretation, da das EKG recht komplex ist und überlegst wie du die Dame in der Klinik anmelden kannst.

Fortsetzung weiter unten….

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EKG 1 (mit Annotationen)

Bei solchen EKGs kann man zunächst schauen, welche Komplexe morphologisch gleich aussehen. Dieses sind in den beiden ersten Streifen jeweils die Nr. 1, 3 und 4. Bei denen ist jeweils eine ventrikuläre Schrittmacher (SM)-Stimulation mit nachfolgendem QRS-Komplex zu sehen. Die EKG-Software setzt unter die SM-Stimulation eine kleine Raute (sieht mehr aus wie ein Punkt). Eine P-Welle sieht man nicht. Somit ist der Grundrhythmus bei ihr ein Vorhofflimmern.

Komplex Nr. 2 sieht so ähnlich aus wie 1,3 und 4, hat aber keine vorangehende SM-Stimulation. Dieser kommt auch relativ schnell nach Komplex Nr. 1. Dort brauchte der SM nicht zu pacen, da ihr Herz selber früh genug einen Eigenrhythmus initiiert hat. Im Rhythmusstreifen sieht man solch einen noch einmal (drittletzter QRS-Komplex).

Komplex Nr. 5 ist etwas tricky. Dort sieht man wieder die SM-Stimulation, aber es folgt kein QRS-Komplex. Da könnte man interpretieren, dass es sich um eine nicht beantwortete SM-Aktion handelt. Der auffällige ebene Strich des EKGs direkt im Anschluss an die Stimulation lässt allerdings eher vermuten, dass es sich um eine artefaktbedingte Auslöschung handelt. Außerdem sieht man nach diesem Strich in den Brustwandableitungen eine negative T-Welle (und die gibt´s ja nicht ohne vorhergehenden QRS). Vielleicht handelt es sich um einen Fusionsschlag das würde auch die Konfiguration der T-Wellen erklären, die eher denen von Nr. 2 ähneln.

***Achtung, extra „nerdig“***: 

Der Abstand des SM-Spikes zum Beginn des QRS-Komplexes erscheint hier darüber hinaus bei ventrikulärer Stimulierung länger als normal. Dieses liegt auch an der Signalauslöschung direkt nach dem SM-Spike durch die Software. Die gepacten QRS-Komplexe erscheinen deswegen auch zu schmal. Daher liegt bei QRS-Komplex Nr. 5 auch kein fehlendes Capture, sondern a.e. ein (nicht erkennbarer) Fusionsschlag vor. 

Zum Vergleich das Schrittmacher-EKG aus der Klinik derselben Patientin (siehe Bild mit EKG 3).

EKG 3 – das EKG aus der Klinik

Komplex Nr. 6 ist dann wieder etwas Neues. Hier wurde ebenso nicht stimuliert. Dafür sind aber die Vektoren ganz anders ausgerichtet (z.B. Ableitung II: R zeigt nach oben, bei Nr. 1-4 nach unten). Dieses entspricht einer ventrikulären Extrasystole.

Interessant sind auch die durchgehend negativen T-Wellen der Extremitätenableitungen in Nr. 2 (also dem “echten” Schlag). Dieses könnte ja prinzipiell hinweisend auf eine Ischämie sein, ist aber in diesem Kontext ein so genanntes “cardiac memory”, d.h. nach Schrittmacherstimulation können bei den “normalen” Schlägen (Eigenrhythmus) die T-Wellen negativ sein.

Auch ansonsten bietet sich kein Hinweis auf eine Ischämie, nachdem du nach modifizierten Sgarbossa-Kriterien gescreent hast.

Siehe dazu auch folgendes nerdfallmedizin-Video:

(ab 5:33 werden von Klaus die modifizierten Sgarbossa-Kriterien erklärt)

Die neueren Barcelona-Kriterien sind noch nicht für den LSB validiert und können für die Ischämiediagnostik beim SM nicht uneingeschränkt empfohlen werden.

Eine Interpretation des EKG könnte heißen:

Vorhofflimmern, intermittiernd ventrikuläre SM-Stimulation, Überdrehter Linkstyp, bifasziulärer Block (kompletter Rechtsschenkelblock und links-anteriorer Hemiblock). 1 VES. V.a. cardiac memory

Du findest in ihrer Wohnung einen alten Arztbrief aus der Kardiologie. Dort liest du, dass ein VVI-SM (Einkammer-SM) bei bradykardem permanentem Vorhofflimmern implantiert wurde. Eine Herzinsuffizienz ist ebenso vorbekannt. Es war zur kardialen Resynchronisation auf ein so genanntes CRT-System aufgerüstet worden.

Letztendlich bietet das EKG keinen diagnostischen Hinweis auf die Dyspnoe. Diese ist am ehesten durch die zunehmende Dekompensation der Herzinsuffizienz erklärbar. Es besteht kein Hinweis auf eine Schrittmacherdysfunktion. Die Synkope hängt auch nicht mit einer Bradykardie zusammen, da du während der „Monitor-Bradykardie“ einen normofrequenten Puls tasten konntest.

Learning points:
  • Bei „Monitor-Bradykardien“ auch daran denken, dass die Software des Geräts manchmal nicht alle QRS-Komplexe erkennt. -> Puls fühlen und Abgleich mit klinischem Zustand.
  • Ein Schrittmacher-EKG kann auf eine mögliche Ischämie untersucht werden.
  • T-Wellen-Negativierungen im Eigenrhythmus können bei aktivem Schrittmacher einem „cardiac memory“ entsprechen.

Danke an Lisa Roßmann für Fall und EKG!

Ein Gedanke zu „EKG-Case: Wie sag ich`s der Notaufnahme?“

  1. Ich hätte eine Frage zur Signalauslöschung der Software nach dem SM-Spike.
    Wie kommt es dazu?
    Habe leider in keiner Literatur etwas dazu gefunden.
    lg

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