NERDfacts Folge 10/2021 Schwindel

Schwindel

Mit Schwindel stellen sich eine große Anzahl von Patienten in den ZNAs vor oder rufen den Rettungsdienst. Schwindel ist aber an sich keine eigenständige Erkrankung sondern ein Symptom, daher ist es wichtig, (potentiell bedrohliche) Differentialdiagnosen zu bedenken!

Das pdf zu dieser Folge findet Ihr hier:

Einleitung

Die hier gezeigte Herangehensweise an Schwindel (siehe auch Pincast 10/2021) ist sicher eine vereinfachte Methode. Aber sie zeigt einen pragmatischen Weg um sich an die vielfältigen Differentialdiagnosen für Schwindel anzunähern. Für uns als Notfallmediziner geht es ja primär darum, kritische Diagnosen möglichst zeitnah, effizient und sicher zu identifizieren.

Hier findet ihr 2 Videos auf NERDfallmedizin zum Thema Schwindel:

Fact 1 – Schwindel als Leitsymtptom!

Schwindel ist häufig und tritt in Zusammenhang mit diversen, teils gefährlichen Differentialdiagnosen auf. Eine gezielte Primärdiagnostik und eine gute Anamnese sind die wichtigsten Voraussetzungen für das Erkennen gefährlicher Schwindelauslöser.

Ein primary assessment nach ABCDE gehört zu jeder Untersuchung. Bei ABCDE Problem müssen diese (natürlich) zuerst gelöst werden. Ist der Schwindel vielleicht nur ein Zeichen einer kritischen Hypotonie (z.B. bei Blutung, Sepsis, Anaphylaxie) oder einer Intoxikation? Besteht eine tachykarde oder bradykarde Herzrhythmusstörung und deshalb tritt “Schwindel” (oder eher “Präkollaps-Gefühl”) auf?

Scheint keine kritische Störung der Vitalfunktionen die Ursache zu sein muss anschließend durch eine gezielte Anamnese einer möglichen Ursache genauer auf den Grund gegangen werden.

Fact 2 – Anamnese essentials!

Patienten mit akutem Schwindel sind häufig nicht in der Lage genau zu differenzieren, ob es nun schwankt oder dreht. Eine zuverlässige Unterscheidung zur Ursache ist hiermit ohnehin nicht möglich. Entscheidend ist die Abfrage von Begleitsymptomen. Übelkeit und Erbrechen ist hierbei sehr unspezifisch. Wichtiger sind Symptome, die auf eine gefährliche Ursache hindeuten können (Auswahl siehe in Tabelle unten). Zudem sind Dauer, Auslösefaktoren und Medikamente/Vorerkrankungen abzufragen:

Eine Auswahl an “Schwindel + assoziierte Symptome” und deren möglichen Differentialdiagnosen seht ihr hier:

KopfschmerzenDissektion, Migräne, SAB
NackenschmerzenVertebralisdissektion
BrustschmerzenACS, Aortendissektion
DyspnoeLungenembolie, Anämie, Pneumonie
Volumenmangel/BlutungExsikkose, Anämie
(neue) MedikamenteNebenwirkung
PalpitationenRhythmusstörung
BewusstseinsveränderungStroke, Intoxikation
FieberInfektion
kurzzeitiger BewusstseinsverlustSynkope, Krampfanfall,
HörstörungM. Menière
Fokal neurologisches DefizitStroke
AtaxieKleinhirninfarkt
Schwindel + assoziierte Symptome

Anamnese

  • Unterscheidung der verschiedenen Entitäten basierend auf der Anamnese
    o Art des Schwindels (unspezifisch!)
    o Dauer (intermittierend/ attackenartig, dauerhaft)
    o Auslösefaktoren (Lageabhängigkeit, Valsalva-Manöver, Hyperventilation)
    o Begleitsymptome
  • Vorerkrankungen
  • Medikamentenanamnese
  • Ggf. Drogen- und/ oder Substanzmissbrauch
  • Trauma
  • Blutungsstigmata

Fact 3 – Einteilung Schwindelarten!

Eine mögliche Einteilung von Schwindel erfolgt anhand von “Triggern“(Auslösern) und der “Dauer” (Timing).
Schwindel kann entweder episodisch auftreten oder anhaltend sein, spontan auftreten oder durch Faktoren (z.B. Lageänderung) getriggert werden.

Timing/TriggerEpisodischAkut/anhaltend
SpontanTIA, Arrhythmie, Mb. Meniere, vestibuläre MigräneNeuritis vestibularis, Kleinhirninfarkt
TriggerbarBPLS, Orthostase(Knall-)Trauma, Toxin, (neue?) Medikamente
Grobe Einteilung möglicher Ursachen nach “Timing” und “Trigger”

Fact 4 – Diagnostik!

Die Diagnostik beschränkt sich zunächst auf die Erhebung der Vitalparameter, eine fokussierte neurologische Untersuchung (fokalneurologisches Defizit? Ataxie? Doppelbilder (bzw. Hirnnerven?)), sowie je nach Schwindelart “schwindelspezifische” Untersuchungen. Die wichtigsten Untersuchungen sind das Dix-Hallpike-Manöver bei Lagerungsschwindel, sowie der HINTS-Test bei kontinuierlichem Schwindel (mit Nystagmus). Die jeweiligen Untersuchungen haben wir euch verlinkt. Bei anderen Schwindeltypen sind ggf. weitere Untersuchungen je nach vermuteter Ursache notwendig.

“Akutes vestibuläres Syndrom” (AVS): HINTS-Test

“Triggerbar episodisches vestibuläres Syndrom“ (t-EVS): Lagerungsmanöver (z.B. Dix-Hallpike oder Semont)

Andere Schwindelarten: weitere Diagnostik nach Risiko & Symptomen

CT, Labor, EKG, weitere Diagnostik nur gezielt nach gründlicher Untersuchung! Meist MRT zur Schwindeldiagnostik sinnvoller als cCT.

Fact 5 – Disposition!

Periphere Ursache (z.B. BPLS): Symptomkontrolle (z.B.: Dimenhydrinat), bei milden Symptomen ambulant – dann Lagerungsmanöver beibringen, keine weitere Notfalldiagnostik

V.a. zentrale Ursache: Stroke Work-up (Neuro)

Andere Ursache: gezielte Versorgung je nach Ursache (z.B. Rhythmusstörung, ACS, LAE)

Die Therapie richtig sich dann nach der jeweiligen Ursache. Behandelt wird zunächst die Ursache (z.B. eine Lungenembolie, Apoplex etc.). Symptomatisch können z.B. Dimenhydrinat, Ondansetron, MCP und ggf. Benzodiazepine bei Erregungszuständen eingesetzt werden.


Quellen und weiterführende Infos:

Autor: Tim Eschbach

Ich bin leidenschaftlicher Notfallmediziner und Notarzt. Ich engagiere mich für die Fort- und Weiterbildung im Bereich der inner- und präklinischen Notfallmedizin, insbesondere im Bereich SOPs, CRM und Fehlerkultur.

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