EKG Case: “Mach langsam, wieder ein SchlAZ*”

(SchlAZ = Schlechter Allgemeinzustand”)

Der Melder geht: „72 Jahre, weibl., schlechter Allgemeinzustand, Schwindel, Durchfall“. Mit einem Seufzer stehst du auf und versuchst deine Motivation anhand dieses Meldebildes aufrecht zu halten. „Mach langsam – wieder ein SCHLAZ“ sagt dein Kollege noch während ihr in die Fahrzeughalle geht.

Vor Ort zeigt sich folgendes Bild: Eine 72-jährige Patientin hatte über Schwindel geklagt und war synkopiert. Die Angehörigen berichten über eine Durchfallerkrankung und zunehmende Abgeschlagenheit. Sie erscheint exsikkiert und hat wenig getrunken. „Warum kann so etwas nicht der Hausarzt machen?“ denkst du so vor dich hin. Als du ihr erklären möchtest, warum du jetzt ein paar Kabel an sie hängst, antwortet sie nicht mehr. Sie ist gerade bewusstlos geworden. Du bist dafür plötzlich hellwach und prüfst nach ABCDE.

Sie ist nicht nur „bewusstlos“: Sie ist pulslos und somit reanimationspflichtig. Nach sehr kurzer Reanimationszeit (< 1 min.) erwacht die Patientin. Du bist etwas unsicher, wie das jetzt passieren konnte. Aber du kennst die Wichtigkeit eines 12-Kanal-EKGs im Peri-Arrest und leitest folgendes EKG ab:

Du schaust dir das EKG an und denkst an….

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Das EKG sieht komisch aus. Fast bizarr, denkst du.

Du schaust du dir die Vormedikation an:

  • Spironolacton
  • Metoprolol
  • Ramipril
  • Simvastatin
  • ASS
  • Metformin
  • Insulin Rapid und Basal

Du überlegst dir gerade, wie Anamnese, Klinik und Vormedikation sowie dieses EKG zusammenpassen, da ist die Patientin wieder bewusstlos. Du siehst eine Bradykardie am Monitor, die teilweise auf Werte um die 20/min. abfällt. 

Du musst eine Verdachtsdiagnose haben, damit du entsprechend behandeln kannst…..

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Da du eine erneute Reanimationssituation erwartest, gehst du die 4 Hs und HITS durch und bleibst bei dem Verdacht auf eine Hyperkaliämie stehen, die zum Kreislaufstillstand geführt hat. 

Doch wie kannst du das vermuten ohne einen Blutwert messen zu können? 

Du schaust auf                      EVA 1 : EKG, Vormedikation und Anamnese

EKG: Dieses EKG zeigt einen regelmäßigen Rhythmus mit einem QRS-Komplex, der nicht einfach ein wenig breit ist, der ist r i c h t i g breit. Dieses ist typisch für eine schwere Hyperkaliämie. Das EKG zeigt darüberhinaus in unserem Fall eine Sinus-förmige Konfiguration, welches sehr suggestiv für diese Elektrolytstörung ist. Auch wenn man vom EKG nicht direkt auf den Kaliumwert schließen kann, ist die Sinusform immer als gefährlich einzustufen und ein Herzstillstand sollte erwartet werden. Die Hyperkaliämie ist die „Syphilis des EKG“, d.h. es kann viele ganz verschiedene Bilder tachykarder und bradykarder Herzrhythmusstörungen annehmen.

Die Hyperkaliämie kann sehr verschiedene EKG-Bilder zeigen: Insbesondere AV-Blöcke und Rechts- sowie Linksschenkelblöcke treten auf. Die T-Welle kann erhöht imponieren.  Es kann sogar einen STEMI imitieren und gehört damit zu den so genannten „STEMI mimics“.

Ein Spätstadium der lebensgefährlichen Hyperkaliämie ist die sinusförmige Form, bei der sich QRS und T-Welle morphologisch ähnelnd gegenüberstehen. 

Vormedikation: Ein Kalium-sparendes Diuretikum (Spironolacton) in der Dauermedikation kann die Hyperkaliämie zusätzlich hervorrufen. Wenn dann noch eine ß-Blockade vorliegt (hier: Metoprolol) und ein ACE-Hemmer gegeben wird (hier: Ramipril), kann es zu einem BRASH-Syndrom kommen3 4 . Ein BRASH-Syndrom kann auch bei nur moderat erhöhten Kaliumwerten Lebensgefahr bedeuten. 

Anamnese: Augenscheinlich leidet die Patientin an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ 2 (siehe Medikation), dieses ist häufig vergesellschaftet mit einer diabetischen Nephropathie, die zur chronischenNiereninsuffizienz führt. Wenn dann noch eine Exsikkose vorliegt (in diesem Fall durch die Diarrhoe), kann durch ein prärenales Nierenversagen eine akut auf chronische Niereninsuffizienz die Folge entstehen. Die Niere scheidet zu wenig Kalium aus und es kommt zur Hyperkaliämie.

Selbst wenn du präklinisch keine Möglichkeit hast, einen Kaliumwert zu messen, solltest du in solch einer lebensbedrohlichen Konstellation die Hyperkaliämie selbst bei Verdacht medikamentös behandeln.

Bitte dieses EKG-Bild einprägen! Damit kannst du – ganz unspektakulär – ein Leben retten.

Was tust du nun?

Wenn du diese Konstellation und dieses Bild im EKG entdeckst, muss umgehend eine medikamentöse Therapie eingeleitet werden (am wichtigsten davon: Calcium zur Membranstabilisierung). Außerdem klebst du pads, um bei Bedarf extern pacen zu können. Zur Sicherheit hast du noch Adrenalin aufgezogen, um schnell handlungsfähig zu sein.

Ohne sie pacen zu müssen, schaffst du es so, die Patientin kreislaufstabil in ein Zentrum mit der Möglichkeit eines Nierenersatzverfahrens zu bringen.

Fazit für die Praxis:

  • SCHLAZ ernst nehmen („Respect the SCHLAZ“)!
  • Anhand von „EVA“: EKG, Vormedikation und Anamnese kann man den Verdacht auf eine Hyperkaliämie aussprechen.
  • Sieht das EKG „irgendwie merkwürdig“ oder gar bizarr aus -> bis zum Beweis des Gegenteils Hyperkaliämie als Differentialdiagnose annehmen
  • Wenn man bei kritisch Kranken eine Hyperkaliämie verdächtigt -> Sehr schnelle Therapieeinleitung notwendig!
Literatur / Quellen:

1 Grautoff S, Tiesmeier J: Wenn der “schlechte Allgemeinzustand” Lebensgefahr bedeutet – Hyper- und Hypokaliämie in der Notfallmedizin. retten! 2021; 10(2): 131-139. May 2021. retten! 10(02). DOI: 10.1055/a-1342-9327

Grautoff S, Fessele K, Fandler M, Knappen N, Gotthardt P: „STEMI mimics“. Med Klin Intensivmed Notfmed (2021). https://doi.org/10.1007/s00063-021-00882-5.  (Der komplette Artikel ist nicht hinter einer paywall!)

Grautoff S, Holtz L: Hyperkaliämie und BRASH-Syndrom in der Notfallmedizin. December 2019, Notfall & Rettungsmedizin 23(6):1-8. DOI: 10.1007/s10049-019-00667-6 ).

FOAM: https://dasfoam.org/2018/02/16/das-brash-syndrom/

7 Gedanken zu „EKG Case: “Mach langsam, wieder ein SchlAZ*”“

  1. Könntet ihr das kurz ausführen. Meines Wissens nach ist eine Hypokaliämie Kontraindikation. Habe es auch nochmal nachgesehen. Oder endet es am ehesten letal über die negative Chronotropie?

  2. Ein Medi fehlt in jedem Fall bei derart Exzess. QRS-Verbreiterung in dieser Situation: beta2-Mimetikum inhalativ zur Kaliumverschiebung! Damit macht man kaum etwas falsch. Da sogar bereits eine Asystolie aufgetreten sind bei bestehender Kardioplegie auch bereits Glucose/Insulin + Bicarbonate (Wirkbeginn 15 Min.) indiziert.

    1. Natürlich ist die Behandlung einer Hyperkaliämie umfangreicher und komplexer, das ist richtig.
      In diesem Fall wurde bewusst nur das hierfür wichtigste Medikament erwähnt (Calcium).
      Folgende Einschränkungen sehe ich bei den hier vorgeschlagenen Medikamenten:
      – Insulin ist meist in der Präklinik nicht verfügbar.
      – Salbutamol kann man verwenden, allerdings sollte man es nicht primär geben, da kurzfristig zunächst ein paradoxer Kalium-steigernder Effekt auftreten kann:
      https://journal.chestnet.org/article/S0012-3692(16)35623-9/fulltext

      1. Absolut richtig: Calcium steht an erster Stelle !! Die Gabe űber 5 Min. muss allerdings jede 5-10 Min. wiederholt werden bis das EKG eine Normalisierungstendenz zeigt.
        Zu beachten ist:
        Es gibt Ca-Chlorit + Ca-Gluconat 10%. Von Letzterem braucht man 3x so viel wie von Ca-Chlorit.
        Und ein Paravasat macht Nekrosen!!
        Unter betamimetika kann offenbar in den ersten Min. ein extrazell. Kaliumanstieg von 0.1 mmol/l auftreten, im Verlauf kommt es zur Kaliumsenkung bis 1 mmol/l..
        In sämtl. SOP’s (Klinikum Nűrnberg, Uni Jena, Kantonspital Luzern etc.) werden Beta2-mimetika durchaus als Frűhtherapie angesprochen. Statt Salbutamol (Sprűhstoss nur 0.1mg, diskutierte Dosis 10-20mg) hätte ich im RTW wohl eher Terbutalin 0.5mg s.c. gewählt.
        (Mir persönlich gefällt die SOP Uni Jena gut).
        Noch ein Hinweis zum EKG: neben dem bizarren QRS-Bild gibt das Fehlen jeglicher P-Welle einen Hinweis auf eine schwerste akute Hyperkaliämie.

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