Weiter geht es mit NERDfall Nr. 18! Wie immer sind wir und die gesamte Community heiß auf eure Gedanken zum Fall. Deshalb: Haut in die Tasten und lasst uns entweder hier in den Kommentaren oder in unserer Telegram-Gruppe wissen, wie ihr in diesem Fall vorgehen würdet. Viel Freude dabei! 🙂

An einem warmen Samstag Nachmittag im Juni werden die Besatzungen von RTW und NEF einer Großstadt-Rettungswache aus ihrem Sonnenbad gerissen und zu einer Drogenintoxikation alarmiert. Es geht in ein studentisches Viertel am Rand der Stadt, Einsatzort ist eine WG im 2.OG eines Mehrparteienhauses – nach 6 Minuten trifft das Team ein. Eine Einweiserin – welche sich schlussendlich als Mitbewohnerin des Patienten entpuppt – hatte die herbei eilenden Fahrzeuge herangewunken.
Während sich das Team das gesamte Material schnappt, beginnt die Mitbewohnerin bereits zu erzählen, was heute vorgefallen sei: “Danke, dass Sie so schnell gekommen sind! Die Jungs in meiner WG haben heute so um 15 Uhr LSD genommen, jeder so 150µg. Luca, also der, dem es jetzt so dreckig geht, zum ersten Mal. Um 10 Uhr haben alle zusammen noch einen kleinen Joint geraucht. Luca kommt echt gar nicht klar, das sieht man ihm voll an. Der ist total ängstlich und panisch, atmet manchmal auch viel zu schnell. Vorhin hat er auch ein bisschen gekotzt. Ich bin aber nüchtern, ich bin die Trip-Sitterin.”
Das Team dankt knapp für die Infos und begibt sich samt Mitbewohnerin in das geräumige Wohnzimmer der WG, wo sich der Patient befindet. Die Wohnung wirkt insgesamt ordentlich, in einer Ecke stehen vier aufeinander gestapelte leere Bierkästen, in der Luft hängt ein leichter Cannabis-Geruch. Ein Mitbewohner steht am Küchenfenster und raucht eine Zigarette, ein anderer Mitbewohner sitzt auf dem Sofa neben dem Patienten, hält diesen im Arm und spricht beruhigend auf ihn ein. Zwischen den Beinen des Patienten steht ein Eimer, in welchem sich eine geringe Menge unauffälliges, unblutiges Erbrochenes befindet.
Der junge Mann (ordentlicher AZ & EZ / ~85kg) sitzt in sich zusammengesunken und mit geschlossenen Augen da. Als das Team herantritt und sich laut vorstellt, reagiert er nicht. Beim Eyeballing fällt dem Team eine gesteigerte Atemfrequenz (~22/min) und ein eher blasses Hautkolorit auf. Nach einem “Vigilanzminderung. Potenziell kritischer Patient.”, beginnt der Notarzt prompt mit dem primary survey und fordert den Mitbewohner auf, Platz zu machen.
Auf Aufforderung öffnet der Patient dann doch Mund und Augen und bringt mit ängstlicher – aber klarer – Stimme ein “Hallo” hervor. Der Mundraum ist frei. Die Pupillen sind isokor sehr weit. Das Atemzugvolumen wirkt vertieft, beidseits ist ein vesikuläres Atemgeräusch zu auskultieren. Die blasse Haut fühlt sich normal warm an, ist etwas schweißig und die Rekap.-Zeit beträgt 2-3s. Der Radialis-Puls ist beidseits kräftig, rhythmisch und tachykard (115/min) tastbar. Der Patient sitzt insgesamt relativ ruhig auf dem Sofa und befolgt einzelne Aufforderungen zuverlässig, wenn auch etwas verlangsamt. Sein Blick ist angsterfüllt und wandert panisch durch den Raum. Direkte und indirekte Lichtreaktion der Pupillen erfolgen etwas verzögert. Ein orientierender Bodycheck bleibt ohne auffälligen Befund, die Körpertemperatur beträgt 37,7°C – der Patient schreit beim aurikulären Einführen des Thermometers einmal laut auf. Das RTW Team etabliert einen Sättigungs-Clip und führt eine manuelle Blutdruckmessung durch: 98% spO2 & 160mmHg systolisch.
Die knappen Ansagen des Notarztes, wie “Ich höre Sie jetzt ab”, beantwortet der Patient nicht. Während des primary surveys steigen Atemfrequenz (~34/min) und vor allem auch Atemzugtiefe mekrlich an.
Der Notarzt bittet das RTW-Team um die Anlage eines iv.-Zuganges und richtet sein Wort dann wieder an den Patienten: “Was ist denn das Problem?”. Woraufhin dieser mit zittriger Stimme antwortet: “Ich verstehe das alles nicht. [10s Pause] Alles dreht sich. [5s Pause] Alles hängt zusammen.” Die noch anwesende Mitbewohnerin schaltet sich daraufhin ein: “Ich glaube nicht, dass seine Hallus das Hauptproblem sind. Eher die total paranoiden Gedankenkonstrukte, die er sich selbst baut und da nicht mehr rauskommt. Voll der Mind-Trip halt.” Der andere Mitbewohner meldet sich auch wieder zu Wort: “Luca – alles gut. Du hast ne Pappe genommen. Weißt du noch? Das hört wieder auf. Mach dir keine Sorgen.”
Zusatzinfo 1 (26.03. / 12:05 Uhr):
Das Team bittet den Mitbewohner, das Zimmer zu verlassen. Dafür wird die Mitbewohnerin gebeten, neben dem Patienten Platz zu nehmen und ihrer Rolle als Trip-Sitterin nachzukommen. Sie benötigt scheinbar wenig Instruktion, hält Körperkontakt und spricht mit ruhiger Stimme auf ihren Mitbewohner Luca ein. Insbesondere erinnert sie ihn immer wieder daran, dass alles gut sei, er LSD genommen habe und die Wirkung auch wieder nachlassen werde. Der Patient lässt sich hiervon etwas beruhigen und toleriert auch die Anlage eines 4-Kanal-EKGs. Um nicht für neue Unruhe zu sorgen, wird auf die Anlage des iv.-Zugangs vorerst verzichtet. Der Notarzt richtet nun wieder selbst das Wort an den Patienten: “Luca, hast du außer dem Joint und LSD noch was genommen?” Die Mitbewohnerin schüttelt den Kopf, der Patient dazu zögerlich: “Wie wie wie meinen Sie das? Ich glaube eher nicht, oder?”. …das gesamte Anamnesegespräch ist extrem erschwert. Der Patient antwortet zwar auf alle Fragen, jedoch immer extrem langsam, angsterfüllt und selbst rückfragend. Die situative Orientierung ist eingeschränkt. Die Frage nach Vorerkrankungen scheint ihn zudem sehr zu verängstigen. Schlussendlich übernimmt die Mitbewohnerin vollständig das Gespräch, sie kenne den Patienten wohl auch sehr gut und seit Jahren. Er sei 28 Jahre alt, habe keinerlei somatische Vorerkrankungen, keine Allergien, nehme keine Medikamente und habe soweit sie wisse auch keine psychischen Probleme. LSD habe er noch nie zuvor genommen, so wie auch alle anderen Drogen außer Alkohol, Nikotin und Cannabis. Letzteres konsumiere er etwa einmal wöchentlich. Das LSD hätte die WG bei einem legalen Webshop bestellt, es handele sich wohl um 1P-LSD – hiervon habe der Patient 150µg eingenommen.
Eine kurze neurologische Untersuchung inkl. BE-FAST und Finger-Nase Versuch gelingt erst nach mehrmaliger Instruktion, bleibt dann aber ohne pathologischen Befund. Der Blutzucker beträgt laut Gerät 108mg/dl (6mmol/l). Die Atemfrequenz nimmt im Verlauf wieder ab und beträgt nun ca. 22/min, der Patient zeigt sich weiterhin ängstlich bis panisch.

Quelle: Quelle: https://litfl.com/category/ecg-library/
Zusatzinfo 2 (27.03.2022 / 18:35 Uhr):
Bei Zusammenschau der Befunde geht das Team am ehesten von einem Halluzinogen-induzierten Angstzustand ohne vitale Bedrohung aus und kommuniziert dies so untereinander. Nach Rücksprache mit der erfahrenen NFS des RTW entscheidet sich der NA für die p.o.-Gabe von 1mg Lorazepam. Der Zustand des Patienten bessert sich daraufhin nach wenigen Minuten merklich.
Er wirkt zunehmend entspannter und spricht mit ruhigerer Stimme klare, wenn auch kurze, Sätze. Der Blick des Patienten schnellt nicht mehr panisch von einer Stelle im Raum zur nächsten und er hat sich mit geöffneten Augen und leicht geöffnetem Mund ins Sofa sinken lassen. Die Atemfrequenz beträgt 18/min. Auf Nachfrage des Notarztes liefert der Patient nun prompt adäquate Angaben zu Zeit, Ort, Person und Situation. Er habe bis gerade eben rasende Angstgefühle und paranoide Gedanken erlebt und sei ganz schön fertig. Seine Wahrnehmung sei aber auch aktuell noch total verzerrt und “bunt”, alles bewege sich. Das Team bittet den Patienten, im Wohnzimmer auf- und abzugehen. Auch wenn sich der Patient dabei etwas ungeschickt und von außen betrachtet übervorsichtig anstellt, präsentiert er ein unauffälliges Gangbild. Übelkeit, Schwindel und Schmerzen werden verneint. Am liebsten würde er jetzt einfach im vertrauten Kreise seiner WG “runterkommen”. Die anderen beiden Mitbewohner stehen unterdessen gemeinsam in der Küche und unterhalten sich angeregt über die leuchtenden Muster des unten auf der Straße geparkten RTWs. Sie wirken stand- und gangsicher und nicht so, als gehen es ihnen schlecht.

Wie würdest du weiter entscheiden (wollen)?
Wie würdest du in dieser Situation weiter vorgehen?
Was möchtest du in Erfahrung bringen?
Wie würdest du mit den Mitbewohnern und der Mitbewohnerin umgehen?
Hallo aus Amerika :O)
Ich sitze hier im urlaub und grübel über euren Fall.
Mir gehen folgende Gedanken durch den Kopf:
Zunächst denke ich, dass es dem Patienten von den Vitalparameter her gut geht. Dies könnte sich ändern wenn wir die Situation nun nicht mit etwas Fingerspitzengefühl angehen. Die Ansprache vom Notarzt kam mir etwas Grob vor. Dies könnte die Angstzustände des Patienten weiter verschlechtern. Die Umstehenden Nasen würde ich separieren und nur die Trip-Sitterin im Raum belassen.
Da Psychische Erkrankungen oder depressive Episoden nicht gesellschaftlich akzeptiert sind, vermute ich das der Patient einen ´´Horror“Trip hat. Auch die Reaktion auf die Frage der Vorerkrankungen irritierte ihn. Hier ist was im Busch würde ich vermuten. Um das herauszufinden könnte man angehörige Kontaktieren. Der Schrei beim Temperatur messen weißt darauf hin. Daher würde ich auch zunächst einen Zugang vermeiden wollen. Dies könnte zusätzlichen Stress beim Patienten auslösen.
Der Transport wird erschwert werden durch seinen Zustand. Hier besteht das Risiko einer Panikattacke. Durch gutes Zureden und etwas Geduld könnte es sich mit Hilfe der Tripp-Sitterin darstellen. Diese scheint einen guten Zugang zu dem Patienten zu haben.
Meines Erachtens primäres Problem des Patienten: Die Drogen in seinem Blut und die Psychische Reaktion darauf. Ich würde ihn in den Regelversorger bringen. Hier kann er Überwacht werden bis die Wirkung nachlässt. Die anschließende Aufarbeitung eventueller psychischer Probleme wäre eine gute Sache denke ich.
So sehen meine Gedanken zu diesem Fall zur Zeit aus. Ich bin gespannt auf die nächsten Hinweise.