Es ist Samstag Nacht. Du wolltest gerade ins Bett gehen, da geht dein Melder: „ca. 30 J., männlich, bewusstlos“.
„Samstag Nacht und bewusstlos“ – du tauscht dich auf der Anfahrt mit deinem Kollegen aus, welche Assoziationen das bei dir weckt. Ihr seid der gleichen Meinung…
Es hat sich abgekühlt und es ist nur 7°C draußen.
Er liegt an der Bushaltestelle, Passanten hatten angerufen.
Allerdings siehst du keine Bierflaschen, die sich neben ihm stapeln.
Ihr nehmt ihn zügig in den RTW, um weiter zu untersuchen.
Er sieht gepflegt aus. Vielleicht auf dem Weg in die Disco, denkst du.
Die Vitalparameter sind außer einem erhöhten Blutdruck bei 184/97 mmHg normal. Außerdem ist seine Körpertemperatur etwas unterkühlt mit 35.1°C. Aber er lag ja auch draußen in der Kälte.
Die Pupillen sind weit beidseits und reagieren verzögert auf Licht.
Wenn du ihn an der Schulter bewegst, gibt er Töne von sich, allerdings nur Wortfetzen.
Dein Kollege will schon mal eine Intoxikation in der nächsten Klinik anmelden.
Bei fehlender Anamnese und wenig Informationen schreibst du noch ein 12-Kanal-EKG.

Du schaust dir das EKG an und denkst…
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Du siehst ST-Senkungen in vielen Ableitungen, dazu ST-Hebungen in III, aVR und V1. Insgesamt ein ungewöhnliches EKG für einen jungen gesunden Mann.
Die ST-Hebungen passen aber zu keinem koronaren Versorgungsgebiet. Gerade die Hebung in III kannst du nicht richtig einordnen, zumal die Nachbarableitung II sogar eine ST-Senkung zeigt.
Die QT-Zeit ist sehr lang. Selbst ohne zu messen, erkennst du, dass das Ende der T-Welle schon in die P-Welle übergeht.
Wegen der ST-Hebungen möchte dein Kollege nun ASS und Heparin geben. Doch du bleibst vorsichtig.
Du teilst ihm deine Überlegungen zum koronaren Versorgungsgebiet mit, so dass ihr letztendlich keine Medikamente gebt.
Aus deiner Sicht handelt es sich nicht um eine Intoxikation.
Bei mittlerweile einem GCS von 5 wird der junge Mann intubiert und in die Klinik gebracht.
Dort wird aufgrund der Symptomatik ein CCT durchgeführt.
Diese Untersuchung zeigt eine Subarachnoidalblutung mit Hirndruck.
Durch den sogenannten neurogenen Myokardschaden können nicht nur EKG Veränderungen, sondern auch Troponinaktivierung und Wandbewegungsstörungen sowie Rhythmusstörungen auftreten – eine Differenzierung von einem Myokardinfarkt ist also schwierig und muss immer im Kontext mit der Klinik gesehen werden!
Zusammenfassung:
Im EKG können Veränderungen bei Hirndruck auftreten. Diese können beispielsweise als große negative T-Wellen imponieren. Es treten QT-Verlängerungen auf. Es kann aber auch zu ST-Hebungen wie in dem hier beschriebenen Fall kommen (so genannter STEMI mimic).
Es kann auch zu Herzrhythmusstörungen kommen, z.B. zu einer ventrikulären Tachykardie.
Learning Points:
- Bei Bewusstlosigkeit kann im Rettungsdienst ein EKG hinweisgebend auf einen erhöhten intrakraniellen Druck sein (allerdings ein intrakranielles Geschehen natürlich nicht ausschließen).
- Wenn die Klinik nicht zu einem Myokardinfarkt passt, sollte die Gabe von ASS und Heparin wohlüberlegt sein.
- Die Gabe von ASS und Heparin im Falle einer Hirnblutung kann desaströse Folgen haben.
Literatur:
Grautoff, S., Fessele, K., Fandler, M., Knappen, N., Gotthardt P: „STEMI mimics“. Med Klin Intensivmed Notfmed (2021). https://doi.org/10.1007/s00063-021-00882-5
Grautoff, S., Fessele, K., Fandler, M., Gotthardt P: Disabilities und Electrolytes in der EKG-Diagnostik. Notfall Rettungsmed 23, 549–552 (2020). https://doi.org/10.1007/s10049-020-00730-7
https://litfl.com/raised-intracranial-pressure-ecg-library/
https://link.springer.com/article/10.1007/s10049-020-00730-7
…sehr sehr gutes Fallbeispiel! Mich hätte aber noch bzw. das EtCo2 und die Atmung (Frequenz, Form) interessiert
Hallo surfin operator, danke für den Kommentar. Leider kann ich die Frage nicht beantworten, da ich es nicht mehr erinnere. Eine Biot-Atmung (vor Initiierung der maschinellen Beatmung) hätte aber zu dem Krankheitsbild gut gepasst.