NERDfacts Folge 1/2023 Mythen der Notfallmedizin

Mythen der Notfallmedizin

„Das haben wir immer schon so gemacht.“
„Da haben wir gute Erfahrungen mit.“
Kennt ihr das auch? Leider halten sich viele Mythen in der Medizin. Leider nicht nur gute. Wir wollen mit einigen weit verbreiteten Mythen aufräumen.

Das pdf zu dieser Folge findet Ihr hier:

Kennt ihr noch weitere? Dann schreibt es in die Kommentare oder per Mail. Ich bin sicher, wir finden genug für Part 2.

Die Kolleginnen und Kollegen von dasFOAM haben ebenfalls einige Mythen gesammelt und sie in ein Visitenkartenformat gebracht.

Fact 1 – Akutes Abdomen und Schmerzmitte!

Ein Patient mit starken oder stärksten Schmerzen hat ein Recht auf eine adäquate Schmerztherapie. Das gilt auch bei Bauchschmerzen. Der alte Mythos, man könne einen akuten Bauch nicht mehr beurteilen, wenn der Patient eine Analgesie bekommen hat, ist hoffentlich bereits aus vielen Köpfen verbannt. Durch Sonographie und CT stehen heute sehr gute Diagnosetools zur Verfügung.

Fact 2 – Prednisolon gegen Anaphylaxie!

Das einzige lebensrettende Medikament bei einer Anaphylaxie ist Adrenalin. Dieses wird im Notfall intramuskulär verabreicht. Prednisolon, H1- und H2-Blocker haben nur wenig Evidenz für die Anaphylaxie. Das Legen einer Viggo und die Gabe von Kortison und Antihistaminika dürfen auf keinen Fall die Gabe von Adrenalin i.m. verzögern!

Fact 3 – Hypertensive Entgleisung!

Nicht jede hypertensive Entgleisung muss gleich medikamentös behandelt werden. Entscheidend für die Therapieindikation sind Hinweise auf Endorganschäden (z.B. neurologische Defizite, AP-Symptomatik, Erbrechen usw.). Die notfallmäßige Senkung des Blutdrucks nur der Senkung wegen, hat keinen Benefit für den Patienten.

Fact 4 – Furosemid bei Lungenödem!

Bei Patienten mit Lungenödem ohne Zeichen einer Hypervolämie sind Schleifendiuretika nicht effektiv und haben sogar negative Auswirkungen. Mittel der Wahl ist die Vor- und Nachlastsenkung (z.B. Nitro) und NIV-Therapie. Nur bei tatsächlicher Volumenüberladung ist Furosemid sinnvoll.

Fact 5 – KM-Nephropathie!

Die aktuelle Datenlage ist hier relativ eindeutig: CT-KM hat keinen Einfluss auf die Nierenfunktion. Insbesondere im Notfall und wenn sich aus dem CT eine unmittelbare Konsequenz ergibt, darf die Nierenfunktion nicht dazu führen, dass ein CT ohne KM gefahren wird. Richtig ist: KM enthält viel Jod. Bei Hyperthyreose oder Schilddrüsenautonomie ist Vorsicht geboten und man sollte die Schilddrüse z.B. mit Natriumperchlorat (Irenat®) blockieren.


Quellen und weiterführende Infos:

NERDfacts zu Anaphylaxie

https://dasfoam.org/2017/12/08/furosemid-im-akuten-lungenoedem-wirklich/

Herzinsuffizienz NERDfallmedizin

Herzinsuffizienz Grundlagen (Video 1)

Herzinsuffizienz Therapie (Video 2)

Herzinsuffizienz Diagnostik & Reversible Ursachen (Video 3)

24_2021_pocket-leitlinien_herzinsuffizienz_.pdf (dgk.org)

Ehmann MR, et al. Renal outcomes following intravenous contrast administration in patients with acute kidney injury: a multi-site retrospective propensity-adjusted analysis. Intensive Care Med 2023, https://doi.org/10.1007/s00134-022-06966-w

InFocus: No Real Risk of Kidney Injury from IV Contrast? : Emergency Medicine News (lww.com)

Use of Intravenous Iodinated Contrast Media in Patients with Kidney Disease: Consensus Statements from the American College of Radiology and the National Kidney Foundation | Radiology (rsna.org)

Pocket-Leitlinie: Management der arteriellen Hypertonie (Version 2018) (dgk.org)

Nicht aus Angst vor Nierenschäden Kontrastmittelgabe ablehnen: Internisten im Netz (internisten-im-netz.de)

Wilhelm-Leen E, Montez-Rath ME, Chertow G: Estimating
the risk of radiocontrast-associated nephropathy. J Am Soc
Nephrol 2017; 28: 653-659.

Hinson JS, Ehmann MR, Fine DM et al.: Risk of acute
kidney injury after intravenous contrast media administration. Ann Emerg Med 2017; 69: 577-586.

Nijssen EC, Rennenberg RJ, Nelemans PJ et al.: Prophylactic hydration to protect renal function from intravascular iodinated contrast material in patients at high risk of contrast-induced nephropathy (AMACING): a prospective, randomised, phase 3, controlled, open-label, non-inferiority trial. Lancet 2017; 389: 1312-132

Nierenschädigung durch Kontrastmittel – gibt es das noch? – dasFOAM Think Tank

Management of anaphylaxis: a systematic review. Dhami S1, Panesar SS, Roberts G, Muraro A, Worm M, Bilò MB, Cardona V, Dubois AE, DunnGalvin A, Eigenmann P, Fernandez-Rivas M, Halken S, Lack G, Niggemann B, Rueff F, Santos AF, Vlieg-Boerstra B, Zolkipli ZQ, Sheikh A; EAACI Food Allergy and Anaphylaxis Guidelines Group. Allergy. 2014 Feb;69(2):168-75. doi: 10.1111/all.12318.

061-025l_S2k_Akuttherapie-Management-Anaphylaxie_2021-10.pdf (awmf.org)

Autor: Tim Eschbach

Ich bin leidenschaftlicher Notfallmediziner und Notarzt. Ich engagiere mich für die Fort- und Weiterbildung im Bereich der inner- und präklinischen Notfallmedizin, insbesondere im Bereich SOPs, CRM und Fehlerkultur.

2 Gedanken zu „NERDfacts Folge 1/2023 Mythen der Notfallmedizin“

  1. Coole Sammlung!
    Meine beiden Lieblingsmytheb:

    1. Jeder Patient mit Rauchgasexposition muss auch ohne oder mit nur leichten Symptomen hospitalisiert werden wegen einem (spontanem?) toxischen Lungenödem und braucht unbedingt eine SpCO-Bestimmung.

    2. Patienten mit einem funktionierenden supraglottischen Atemweg müssen präklinisch (um)intubiert werden aus Sicherheitsgründen/PInsp…

    Liebe Grüsse aus der Schweiz
    Pascal

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