Puh. Was für ein Fall. Hier findet ihr die Auflösung zum Aufzug-Krimi mit spannenden Infos zu Aufzügen, Arbeiten unter Druck und hypertensivem Lungenödem.
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Gliederung:
- Auflösung
- Aufzüge
- slow is smooth and smooth is fast
- Hypertensives Lungenödem
- Take Home Messages
- Quellen
1. Auflösung:
RS und Notärztin sind damit beschäftigt, den Patienten in einem fürsorglichen Gespräch Angst zu nehmen und davon zu überzeugen, dass er sich keine Sorgen um den entstandenen Schaden an der Glasscheibe machen muss. Dank des beherzt-brachialen Vorgehens des Teams gab es in der Zeit bis zum Eintreffen der Feuerwehr keine weiteren Komplikationen. Als die Feuerwehr acht Minuten nach Anforderung eintrifft, kann sie die Fahrschachttür mit einem Dreikantschlüssel zur Notentriegelung sofort öffnen und die innere Tür zur Seite schieben. Alle sind erleichtert.
Der Patient wird nun die Treppe heruntergetragen und in den RTW umgelagert. Im allgemeinen Chaos und bei auf niedrigem Niveau stabilen Vitalparametern entscheidet man sich für den Transport ohne weitere Maßnahmen. Ohne Komplikationen wird innerhalb weniger Minuten der nicht-traumatologische Schockraum des um die Ecke gelegenen Maximalversorger erreicht.
Bei Typ 1 Lungenversagen im Rahmen eines hypertensiven Lungenödems wurde der Patient zügig einer nicht-invasiven Beatmung zugeführt und auf die internistiche Intensivstation verbracht. Hier verblieb er zwei Tage, konnte anschließend auf Normalstation verlegt und nach einigen Tagen nach Hause entlassen werden.
Die Leitstelle hat die Aufzug-Problematik im Anschluss genau beim Team erfragt, um die Teams zukünftiger Einsätze im betreffenden Wohngebäude vorab warnen zu können.
2. Aufzüge
- Ein Aufzug ist eine potentielle Gefahrenquelle
- Bei grenzwertig kleinen, alten Aufzügen: vor Befahren mit Patient genau vergewissern, ob Platz in der Kabine ausreichend ist
- Lebenswichtiges Material (Sauerstoff, bestimmte Medikamente, Monitor mit Defi, ggf. Absaugpumpe) immer mitführen. Wenn nicht möglich -> eher Treppe nutzen
- Sauerstoffvorräte vor Aufzugsfahrt bzw. Treppenhaustransfer überprüfen und eher großzügig Flasche wechseln
- Wenn nur eine Person zusätzlich in Aufzug passt -> nicht das unerfahrenste Teammitglied! (i.d.R. RTW-NFS oder NÄ, bzw. nach Vorerfahrung)
Notentriegelung von Fahrschachttüren:
- In zeitkritischen Situationen immer sofort die Feuerwehr alarmieren! (kann im Zweifel immer noch abbestellt werden)
CAVE: Solange der Hauptschalter eines Aufzuges nicht umgelegt wurde, besteht jederzeit die Möglichkeit, dass sich die Kabine in Bewegung setzt. Treten in diesem Moment Menschen, Körperteile oder Gegenstände zwischen Treppenhaus und Kabine über, besteht Unfall- und Lebensgefahr. Eine Notentriegelung darf daher grundsätzlich erst nach Umlegen des Hauptschalters erfolgen.
- Alle Fahrschachttüren sind von Hand entriegelbar – jedoch nicht immer von außen
- Für die Notentriegelung ist ein besonderer Schlüssel (häufig “Dreikant”) nötig, welcher im Triebwerksraum vorhanden sein sollte (-> Hausmeister verfügbar? Kontakt ggf. über Aufzug-Notruf / ausgehängte Telefonnummer / Anwohner herstellbar)
- Die Feuerwehr führt einen Satz der gängigsten Schlüssel mit sich
- Wenn medizinisches Material innen benötigt werden (wie im Fall), sollten diese schnell und ganz in den Aufzug hinein gereicht werden. Kabelverlegung von außen vermeiden (Kabine kann sich in Bewegung setzen)
- Bei Falttüren wie in diesem Fall kann der Stuhl durch starke Manipulation ggf. so verrückt werden, dass die innere Tür wieder frei wird
- Rescue-Maßnahmen wie bspw. das Einschlagen der Scheibe (wie in diesem Fall) sind zwar Sachbeschädigung, jedoch im Rahmen des Rechtfertigenden Notstandes (s.u.) legal. Die Abwägung sollte dennoch extrem sorgfältig erfolgen -> auch weil enormer Stress für Patient*innen.
Strafgesetzbuch (StGB) § 34 Rechtfertigender Notstand
Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.
Ausgewählte Kommentare aus unserer Telegram-Gruppe:
Demy (NFS): “[…] Üblicherweise geht die Tür bei Hindernisbeitigung weiter zu und alles ist gut. Alternativ geht sie wieder von selbst auf und die Tür öffnet sich (was hier vermutlich nicht der Fall sein soll). Der RS muss den „Rücken“ des Stuhls mit ordentlich Kraft nach links schieben, dann sollte die Tür weiter zugehen – Erfahrung. Wenn sich das Problem nicht unmittelbar lösen lässt würde ich die Feuerwehr bestellen. […] Den RS unter kontrollierten Bedingungen den Sauerstoff reduzieren lassen – mit Blick auf den Patienten und die Sättigung – um Zeit zu gewinnen (2 Liter Flasche mit 50bar macht 100L – bei 15 l/min haben wir noch ca. 6min – das wird wohl eher nicht reichen bis die Feuerwehr vor Ort ist. Bei 9 l/min sind es 11min – ob das allerdings für den Patienten “reicht” ist fraglich. Reserveflasche O2 (idealerweise mit angeschlossener Maske) sowie Beamtungsgerät (NIV) aus dem Auto holen sowie irgendwas zum Gewalt anwenden mitbringen (Halligan-Tool) und vor dem Fahrstuhl bereithalten. Notrufknopf im Fahrzstuhl ist selbstverständlich gedrückt, ob das hilft ist fraglich. Ein Kollege sollte parallel im Erdgeschoss am Aufzug schauen ob es dort ein Schild gibt bzgl. Hausmeister o.ä. Im absoluten Notfall müssen sich Patient und RS wohl unter der Softshelljacke des RS verstecken und die Scheibe muss kurzzeitig dran glauben. […]“
Stefan (RS & Verbandführer Feuerwehr): “Vielleicht ein Wort zum Aufzug aus Sicht der Feuerwehr: Ich würde zunächst jede gewaltsame Manipulation an der Türe unterlassen. Hier ist von (feuerwehrtechnischen) Laien gut gemeint oft das Gegenteil von gut gemacht und verschlimmbessert die Situation. […] Irgendwelche Gewaltakte mit Feuerlöschern, Sauerstoffflaschen oder Brecheisen sind aller Wahrscheinlichkeit nach 1. nicht zielführend 2. nicht schneller als eine Öffnung durch die FW und 3. Stress für den Patienten, der eh schon viel zu wenig O2 dabei hat.
Grundsätzlich: Sofort nachalarmieren. Dann haben wir bei einer BF max. 8-10 Minuten Eintreffzeit zu überbrücken. (+ Treppensteigen).
Dann Alternative 1 (falls möglich): Pat. aufstehen lassen, Stuhl zusammenklappen / drehen und Pat wieder setzen lassen. Dann hat man gute Chancen, dass die innere Türe schließt und der Aufzug fährt.
Fall nicht: Agressives Zuwarten und O2-Management (Flow soweit runterdrehen wie möglich) und Ruhe reinbringen. Mit einem Dreikant ist die Tür in der Regel in 5 sek. auf, sofern sie und Dreikant nicht beschädigt sind […]”
3. slow is smooth and smooth is fast
In der Notfallmedizin möchten wir oft schnell sein. Schnell ist man in der Regel aber gerade nicht, wenn man “schnell schnell” macht. Macht man “schnell schnell”, schleichen sich öfter Fehler und Komplikationen ein, deren Behebung wiederum aufwendig ist oder im schlimmsten Fall zu einem manifesten Schaden führt. Zudem übersieht man so viel leichter Spielräume für parallele statt serieller Arbeit und nutzt wohlmöglich nicht effizient alle verfügbaren (personellen) Ressourcen.
So paradox es auch auf den ersten Blick klingen mag: schnell arbeiten wir gerade dann, wenn wir im Kleinen bewusst langsam vorgehen. Gehen wir langsam vor, haben wir die Zeit, im gesamten Team und unter Ausnutzung aller Informationen zu denken. Unter Antizipation etwaiger Risiken können wir dann gemeinsam einen geschmeidigen Plan für die nächsten Minuten entwerfen, dessen Abarbeitung am Ende wesentlich schneller geht, als eine Slalomfahrt um “plötzlich” auftretende Hindernisse herum.
Je mehr der Sog der Dynamik an uns zerrt, umso mehr sollten wir uns darauf besinnen, dass wir besser und schneller performen, wenn wir uns die Zeit dafür nehmen, langsam zu atmen und zu denken. Gerade in sehr fordernden Situationen, wie bspw. initial nach einem kritischen primary survey, bei Zustandsänderungen, Müdigkeit, starker emotionaler Beeinflussung oder auch größeren logistischen Fragen. Eigentlich immer. slow is smooth and smooth is fast!
Wie hätte das Team im vorliegenden Fall von diesen Gedanken profitieren können? Zum Beispiel so: vor dem Aufbruch in Richtung RTW hätte man sich im Team einmal langsam und gründlich der Frage nach dem konkreten Vorgehen beim Transfer annehmen können. Wie ein solches Gespräch hätte aussehen können, hier einmal exemplarisch nach FORDEC-Schema aufgeführt:
NÄ: “Okay Team, habt ihr gerade ein Ohr? Atmet mal kurz durch und lasst uns das weitere Vorgehen besprechen. Wir gehen von einem hypertensiven Lungenödem aus, die Therapie schlägt an. Der Sauerstoff hält nur noch 8 Minuten. Wir möchten zügig mit einer NIV beginnen und den Patient in den RTW verbringen (Facts).
Welche Optionen haben wir?”
NFS: “Wir können jetzt per Aufzug runter gehen, einer kann unten schon mal alles fertig machen. Oder wir holen Sauerstoff und NIV hier hoch.”
NÄ: “Klingt gut. Wenn wir jetzt runter gehen und auf dem Weg Komplikationen auftreten, könnte der Sauerstoff knapp werden. Insgesamt müssten wir uns da echt beeilen, könnte stressig werden. Hier oben mit der NIV zu beginnen könnte den Transfer deutlich erschweren. Wir sind im 3.OG… (Risks)“
RS: “Okay, wie wäre es, den Sauerstoff hier in der Wohnung zu wechseln, dann kann ich mir auch nochmal kurz das Treppenhaus und den Aufzug anschauen. Dann können wir gleich gemütlich runter und unten mit der NIV beginnen.”
NÄ: “Gut! Kommt ja auch nicht auf jede Minute an. Dann holst du jetzt die frische Flasche aus dem RTW und checkst den Weg runter nochmal ab. NIV dann im Auto. Jemand Einwände? […] Nein, okay! Dann legen wir jetzt los. (Decision)“
(Execution)
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(Check?)
Passend dazu:
4. Hypertensives Lungenödem
Das hypertensive Lungenödem ist zwar das zugrundeliegende Krankheitsbild in NERDfall Nr.28, jedoch nicht Mittelpunkt der diesmaligen Fallbesprechung. Trotzdem gibt es hier einen kurzen Überblick und ein, zwei Worte zur Furosemid-Frage. Mehr findet ihr in den Quellen und im Chatverlauf der Telegram-Gruppe! 🙂
Überblick:
- Auch “hypertensiv kardiogenes Lungenödem” oder “Sympathetic Crashing Acute Pulmonary Edema (SCAPE)”
- Akute Komplikation chronischer Herzinsuffizienz, wenn Blutdruck schnell stark ansteigt. Entstehung innerhalb von Minuten bis Stunden
- Linker Ventrikel kommt nicht gegen Nachlast an -> Blut-Rückstau in Lungenkreislauf -> Erhöhter hydrostatischer Druck im Lungenkreislauf -> intrapulmonal Übertritt von Flüssigkeit in Interstitium und ggf. Alveolen -> verlängerte Diffusionsstrecke und ggf. verkleinerte Gasaustauschfläche -> Oxygenierungsstörung
- Hoher Sympathikotonus ist auslösend, Angst und Stress aufgrund von Dyspnoe führen in Teufelskreis
- Kann eu-, hypo- und hypervoläm sein (Diuretika nicht pauschal verabreichen)
Furosemid!?
Dieser Artikel möchte keine Position zur Frage beziehen, ob und welchen Patient*innen mit akutem Lungenödem man Furosemid verabreichen soll, oder nicht. Es soll lediglich dafür sensibilisiert werden, dass es zur Schaffung eines differenzierten Überblicks mehr als das Berufen auf einzelne FOAM-Quellen braucht. Zudem ist es notwendig, das Lungenödem nicht als ein Krankheitsbild, sondern als Symptom unterschiedlicher zugrundeliegender Pathologien mit wiederum unterschiedlichen therapeutischen Notwendigkeiten zu verstehen. Lungenödem ist nicht gleich Lungenödem.
In unserer Telegram-Gruppe wurde diesbezüglich ausführlich diskutiert: falls ihr Interesse habt, findet ihr den betreffenden Chat-Abschnitt in der Zeit vom 23.-27. Februar 2023.
5. Take Home Messages
– slow is smooth and smooth is fast
– In Aufzügen lebenswichtiges Material in ausreichender Menge in der Kabine mitführen
– Interaktion mit Fahrschachttüren erst, wenn Hauptschalter umgelget wurde
– Fahrschachttüren lassen sich von außen oftmals mit “Dreikant” öffnen
– Lungenödem ist nicht gleich Lungenödem
6. Quellen & Weiterführendes
- Ausführliche, englischsprachiger Artikel beim emcrit, welcher das hypertensive Lungenödem beleuchtet und dem “FOSPE” gegenüberstellt.
- Ab Seite 49 wird in der DGK-Leitlinie “Management der arteriellen Hypertonie” auf hypertensive Notfälle eingegangen
- Auch schon in der NERDwoche gewesen: eine kompakte Zusammenfassung der iv.-Nutzung von Nitro bei umem.org
- Vielen herzlichen Dank an Stefan für den wertvollen feuerwehrtechnischen Input bei Aufarbeitung der Aufzug-Thematik!