Teilweise konnte ich mein Handy am Wochenende nicht weglegen, da ich die Diskussion um den Fall unglaublich spannend und lehrreich fand. Natürlich freuen wir uns weiterhin auf eure Meinung zu dem Fall, genauso wie auf weitere Einreichungen für unsere (inner– und präklinischen) NERDfälle.
Eins Vornweg: wir sprechen ja häufiger über die alltäglichen Fallstricke und Kommunikationsschwierigkeiten – dieses Mal wurde nicht klar und deutlich bzgl. der Midazolamdosierung kommuniziert, jedoch ist im 4 Augen Gespräch und in der Kontrolle aufgefallen, dass hier ein Fehler vorliegt, der sofort korrigiert werden konnte. Kurzum – das ist ziemlich gut gelaufen!
Hier gehts zu Teil 1!
Jetzt geht es erstmal zurück in den Schockraum der angefahrenen Klinik….
Inhaltsverzeichnis
- Fallauflösung
- Krampfanfall
- Serotoninsyndrom
- Take-Home Message
- Quellen
1. Fallauflösung
Im Schockraum des Krankenhauses zeigt sich ein unveränderter Zustand des Patienten, lediglich der Blutdruck ist weiter auf 114/54 mmHg angestiegen.
Die Kolleg:innen des Krankenhauses entscheiden sich zur Intubation im Schockraum – währenddessen wird der Patient katecholaminpflichtig und schlussendlich benötigt er 1,0mg/h Noradrenalin um einen MAD von 65 mmHg aufrecht zu erhalten.
In den weiteren Untersuchungen, insbesondere cCT und Labor, zeigen sich keine spezifischen Befunde. Durch eine ausführliche Anamnese stellt sich heraus, dass der Patient bereits einige Jahre unter Depressionen leidet. Vor einigen Jahre hatte er das Venlafaxin abgesetzt, da es ihm viel besser ging und die Symptome rückläufig waren. Auf Grund einer Zustandsverschlechterung nahm er das Medikamente in der ursprünglichen Dosierung (ohne einschleichen) wieder selbstständig ein. Ob noch weitere Medikamente/Substanzen eingenommen wurden ist unklar. Das Venlafaxin wurde abgesetzt. Der Patient wurde in eine andere Klinik verlegt und dort weiterhin intensivmedizinisch betreut. Nach einigen Tagen kann der Patient extubiert werden und verlässt ohne neurologische oder kardiologische Defizite im Verlauf die Klinik.
2. Krampfanfall
Für den Krampfanfall, den Status epilepticus und die postiktale Phase gibt es natürlich auch schon richtig gute Videos: wer das eigene Wissen auffrischen möchte, findet hier die Aufarbeitung von Simon und Martin.
3. Serotoninsyndrom
3.1 Was ist Serotonin?
Um das zu klären, machen wir einen (hoffentlich) kurzen Abstecher in die Biochemie.
- Serotonin ist ein Botenstoff und Neurotransmitter
- Synonym: 5-HT (von 5-Hydroxytryptamin)
- entsteht aus essentieller Aminosäure Tryptophan (genauso wie Melatonin)
- vielfältige Wirkung im gesamten Körper u.a. ZNS, GI-Trakt, Thrombozyten
- individuelle Wirkung hängt vom jeweiligen 5-HT Rezeptorsubtyp ab (5-HT1-7), “bekanntester” Rezeptor in der Notfallmedizin: 5-HT3 -> Auslösung von Übelkeit und Erbrechen -> Ondansetron = 5-HT3 Antagonist
- Abbau u.a. über Monoaminooxidase (CAVE: MAO-Hemmer!), Renale Elimination der Abbauprodukte
Serotonin im GI-Trakt | Stimulation neuroendokriner Zellen im Dünndarm -> Stimulation der Darmperistaltik, Stimulation der Sekretion, Steuerung enterisches NS |
Serotonin in den Gefäßen | Serotoninausschüttung -> Ca2+ Anstieg im Zytosol -> Vasokonstriktion der glatten Gefäßmuskulatur -> RR Anstieg (auf Grund der Vasokonstriktion hat das Serotonin seinen Namen) |
Serotonin in den Thrombozyten | Gefäßverletzung -> Anheftung von Thrombozyten -> Freisetzung von Serotonin -> lokale Vasokonstriktion + Thrombozytenaggregation |
Serotonin als Neurotransmitter | Bildung in den Raphe-Kernen im Bereich von Hirnstamm + Hypophyse. wirkt v.a. anxiolytisch, antidepressiv, senkt Sympathikotonus (-> RR sinkt), schlafhemmende Wirkung, Auslösung von Brechreiz |
Serotonin kann die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden und wirkt daher nicht global auf das ZNS ein. Die Freisetzung erfolgt immer nur lokal auf zellulärer Ebene und je nach Einfluss auf das ZNS in unterschiedlichen Hirnregionen. Die unterschiedlichen 5HT-Rezeptorsubtypen sind wiederum jeweils in unterschiedlichen ZNS-Arealen anzutreffen. So erklärt sich, warum Serotonin so viele unterschiedliche Wirkungen im ZNS auslösen kann, ohne dass dabei alle gleichzeitig auftreten.
3.2 Wie kommt es zum Serotonin Syndrom?
-> Überschuss an Serotonin (zentral und/oder peripher) -> Überstimulation der 5-HT Rezeptoren (vmtl. allein Rezeptortyp 5-HT2A betreffend)
– CAVE Medikamenteninteraktion: Fluoxetin (SSRI) mit längerer HWZ (1,5-2 Wochen) als andere SSRIs -> erhöhte Gefahr für Serotoninsyndrom
Überschuss an Serotonin durch: | |
Hemmung des Abbaus von Serotonin | z.B: durch MAO Hemmer (bei Morbus Parkinson), Methylenblau |
Hemmung der Wiederaufnahme von Serotonin | durch SSRI, SSNRI, Johanniskraut, Opiate (Fentanyl!) |
vermehrte Zufuhr von Serotonin | durch Nahrung (Kakao, Bananen) |
vermehrte Freisetzung von Serotonin | Amphetamine, MDMA, Cocain, Mirtazapin, Methadon |
Medikamente als 5-HT Rezeptoragonisten | LSD, Lithium, Urapidil, Triptane |
Hemmung von CYP450 | durch SSRIs, Antibiotika (wie Ciprofloxacin), Fluconazol, Citalopram |
Hier auch nochmal eine Übersicht an Medikamenten, die über eine Interaktion mit Serotonin wirken.
Im Fall:
– Überdosierung von Venlafaxin (hier am ehesten akzidentiell) -> Einstiegsdosis wie Höchstdosis bei letztem Therapiezeitraum -> starke Hemmung der Wiederaufnahme von Serotonin im Synaptischen Spalt
– evtl. Medikamenteninteraktion
-> Medikamente wie SSRIs/SSNRIs müssen ein-/und ausgeschlichen werden!
3.3 Symptome eines Serotoninsyndroms

- Beginn der Symptome innerhalb von 6 Std. bei 60% der Patient:innen
- teilweise sehr unspezifische Symptome, unterschiedliche Ausprägung und Schweregrad der Symptome
- lebensbedrohliches Serotoninerges Syndrom: tonisch-klinische Krämpfe (wie im Fall beschrieben) Muskelrigidität, Fieber, Koma, Rhabdomyolyse (-> Nierenversagen), metabolische Azidose, DIC
- Serotoninsyndrom ist schwer vom malignen neuroleptischen Syndrom (MNS) zu unterscheiden -> Abgrenzung durch Symptombeginn
EXKURS: malignes neuroleptisches Syndrom
- sehr seltene, lebensbedrohliche Nebenwirkung einer Therapie mit Dopaminantagonisten, v.a. Antipsychotika (v.a. konventionelle und hochpotente Antipsychotika: Haloperidol oder Fluphenazin); Lithium und trizykl. Antidepressiva
- Patho: noch unklar, vermutlich durch niedrige Dopaminspiegel hervorgerufen
- Zeitraum bis Symptombeginn: innerhalb 1-2 Wochen nach Therapiebeginn/Dosissteigerung
- Symptome: Störung der extrapyramidal Motorik (v.a. Rigor), vegetative Entgleisung (Hypertonie, Tachykardie, Hyperhidrose), Bewusstseinsveränderungen
- Labor: Erhöhung von CK, Alkalische Phosphatase, AST, ALT, Myoglobin, Leukos
- Therapie: intensivmedizinische Überwachung, Absetzen der Antipsychotika! -> Gabe von Dopamin-D2 Agonisten (Bromcriptin, Dantrolen); Lorazepam, symptomatische Therapie (Kühlen, Volumensubstitution), Ultima Ratio: Elektrokonvulsionstherapie
3.4 Diagnostik

- Diagnostik nach präsentierender Klinik zum Ausschluss von Differentialdiagnosen
- Anwendung der Hunter-Kriterien
- Labor: je nach Symptomen und unspezifisch; am ehesten Anstieg von CK
- Anamnese als wegweisender Punkt (oft Intox-Anamnese)
- Was wurde eingenommen?
- In welcher Dosierung?
- Wurden Nahrungsergänzungsmittel/Medikamente zusätzlich eingenommen?
- Welche Vorerkrankungen bestehen?
- Wann zuletzt?
- Warum?
3.5 Therapie
- beste Therapie: vorbeugende Strategie -> kenne die Wechselwirkungen! inkl. Aufklärung von Patient:innen -> Medikamente wie SSRIs und SSRNIs müssen ein-/ und ausgeschlichen werden!
- Absetzen der Medikamente! -> Besserung in 90% der Fälle
- je nach Schwere: intensivmedizinische Überwachung
- ggf. Kühlung von Patient:innen
- ggf. Sedierung mittels Benzodiazepinen
- da vmtl. ausschließlich Interaktion 5-HT2A Rezeptor -> selektiver Blocker für diesen Rezeptor möglich, aber noch nicht zugelassen
- aktuell: Therapie mit Cyproheptadin (Peritol®) -> nicht selektiver 5-HT-Rezeptor Antagonist (5-HT1A + 5-HT2A) oder Olanzapin (atypisches Antipsychotikum)
- ggf. auch Propranolol -> 5-HT1A Antagonist + ß-Blocker
- symptomatische Therapie
4. Take-Home Message

5. Quellen
- natürlich die bereits verlinkten Artikel/Quellen im Text
- Ein Beitrag von Ines von den pinupdocs – natürlich auch zum Nachhören:
- Rote Hand Brief Fentanyl und Serotoninsyndrom
- Auf die Ohren gibts auch das hier: When Medication goes wrong von Heavy lies the helmet
- Gelbe Liste zum Serotonin Syndrom und Arzneimittelsicherheit
- Leopoldt D, Gefürchtetes Serotonin-Syndrom. DAZ 20129, Nr. 35. 2019, August
- Francescangeli J, Karamchandani K, Powell M, Bonavia A. The Serotonin Syndrome: From Molecular Mechanisms to Clinical Practice. Int J Mol Sci. 2019 May 9;20(9):2288. doi: 10.3390/ijms20092288. PMID: 31075831; PMCID: PMC6539562.
- Ware MR, Feller DB, Hall KL. Neuroleptic Malignant Syndrome: Diagnosis and Management. Prim Care Companion CNS Disord. 2018 Jan 4;20(1):17r02185. doi: 10.4088/PCC.17r02185. PMID: 29325237.
- Wang RZ, Vashistha V, Kaur S, Houchens NW. Serotonin syndrome: Preventing, recognizing, and treating it. Cleve Clin J Med. 2016 Nov;83(11):810-817. doi: 10.3949/ccjm.83a.15129. PMID: 27824534.
- Martens F, Muskelzuckungen mit Verwirrung, Notarzt 2011, 27(04): 161 – 162. 10.1055/s-0031-1276842
- Wimmer B, Steffling D, Kohl Z, Schlachetzki F, Notfälle bei Bewegungsstörungen, Notarzt 2021, 37(05): 258 – 260, DOI: 10.1055/a-1576-7326
- E.J.C. Dunkley, G.K. Isbister, D. Sibbritt, A.H. Dawson, I.M. Whyte, The Hunter Serotonin Toxicity Criteria: simple and accurate diagnostic decision rules for serotonin toxicity, QJM: An International Journal of Medicine, Volume 96, Issue 9, September 2003, Pages 635–642, https://doi.org/10.1093/qjmed/hcg109