Tonsillektomie-Nachblutung: Worst Case

Blutungen nach Tonsillektomie sind gar nicht so selten… aber selten dramatisch. Anästhesist und Airway-Experte Chris Engelen bespricht mit uns was wir tun können, wenn es gefährlich wird.

Nachblutungen nach Tonsillektomie sind gar nicht so selten (bis 15% beschrieben), allerdings meistens harmlos. Schwere Blutungen sind glücklicherweise sehr selten. Schweren Blutungen gehen häufig Warnblutungen voraus – daher jede (!) Blutung, auch minimale, einem HNO-Arzt vorstellen! Nachblutungen sind in Fallberichten auch Wochen / Monate nach der OP beschrieben.

Chris schlägt bei vermuteter Tonsillektomie-Nachblutung ein Vorgehen als Stufenkonzept vor:

Stufe 1: Leichte Blutung

=etwas Blut spuckend, kein A-/B-/C-Problem

  • Ruhe ausstrahlen (besonders bei Kindern)
  • i.v. Zugang eher zurückhaltend (bei Kindern)
  • „Eiskrawatte“ (Kühlung im Nacken)
  • So lange wie möglich wach und sitzend lassen, Ausspucken unterstützen
  • Transport in Klinik mit HNO-Abteilung

Verneblung von Suprarenin / Tranexamsäure wird diskutiert (off-label), bei leichter Blutung eventuell hilfreich; bei schwerer Blutung vermutlich kaum Effekt. Als Option möglich, wenn durch Patient toleriert.

Stufe 2: Mittelschwere Blutung

=nicht kritisch krank, aber etwas Blässe, Dyspnoe… Bauchgefühl „das könnte gefährlich sein“

  • Primär: A-Problem oder C-Problem?
  • C-Problem IV-Zugang, Volumengabe
  • eventuell (vorsichtig!) Sedierung (z.B. Ketamin-basiert) – möglichst Schutzreflexe erhalten!
  • Wenn toleriert: Sauerstoffgabe hochdosiert
  • Rascher Transport unter Vorankündigung
  • frühzeitig Atemwegssicherung (Intuation und Narkosemedikation, Absaugbereitschaft) vorbereiten!

Tipp: Absauger – mehrere großlumige Absaugkatheter bereit halten (oder direkt Absaugschlauch ohne Katheter), an zweite Absaugpumpe (z.B. aus NEF) denken!

Stufe 3: Schwere Blutung

=akutes A/B/C-Problem, Aspiration, Bewusstseinstrübung, Schutzreflexe nicht mehr gesichert

  • möglichst „stabile Narkoseeinleitung“: Ketamin-basiert
  • großzügige Relaxation: Bestmögliche Intubationsbedingungen
  • Absaugbereitschaft (s.o.), bei großen Blutmengen 1-2 Absaugkatheter in den Mund
  • Primär Videolaryngoskopie erwägen
  • Larynxtubus eher kritisch; „Überblockung“ als lokale Tamponade fraglich wirksam – im Worst Case denkbar. Larynxmaske ebenso kein Aspirationsschutz. Eventuell als Zwischenschritt für Notfall-Oxygenierung zur Koniotomie.
  • Koniotomie auch im Team frühzeitig erwägen

Schwere Blutung: Lokale Therapie mit Hämostyptika / TXA bei intubierten Patienten denkbar (z.B. Hämostyptika-Tupfer mit Magillzange auf Blutungsquelle pressen).

Quellen / Nachlese:

  • Leitlinie Prähospitales Atemwegsmanagement 2019 (AWMF)
  • Disseration D. Baburi „Lebensbedrohliche und tödliche Tonsillektomie-Nachblutungen“ RWTH Aachen 2009 (PDF)
  • Fallbericht „Lebensbedrohliche Blutung nach Tonsillektomie“ Paul et al. Notfall und Rettungsmedizin 02/2018. (DOI)

Zum schwierigen Atemweg gibt’s noch mehr Tipps im Airway-Video mit Chris, außerdem haben wir noch ein paar Atemwegs-Fälle vorbereitet!

Autor: Martin Fandler

I like EM, critical care, prehospital EM, medical education and #FOAMed too.

8 Kommentare zu „Tonsillektomie-Nachblutung: Worst Case“

  1. Hallo Jungs.
    Kurze Wissensfrage zum erwähnten Ketamin. Er meinte auch dies würde bei Schock den RR senken in der Einleitung. Hier dachte ich immer ketamin würde dies eben nicht tun wie die meisten anderen medis und uns den Druck eher aufrechterhalten bzw. Erhöhen. Oder hab ich da was falsches in Erinnerung?
    Auch ich finde das thema sehr gut gemacht von euch und wer denkt denn schon nach 3 monaten Post Tonsillektomie noch an diese Ursache.
    Danke

    1. Hi Patricia,
      Ketamin führt über Wiederaufnahmehemmung von peripheren (körpereigenen) Katecholaminen zu einer meist eher kreislaufstabilen Narkose. Im (vor allem prolongierten) Schock sind aber auch die ausgeschütteten Katecholamine schon ziemlich knapp… und Narkose nimmt gleichzeitig den Sympathikusreiz / Stress des Patienten. Daher kann es bei schockigen Patienten auch unter Ketamin zu Hypotonien kommen (wobei andere Narkoseformen deutlich mehr Hypotonie machen würde!), wenn möglich sollte man hier gleich parallel Katecholamine geben (z.B. Noradrenalin via Perfusor oder „Push Dose“ aus der Hand.

  2. Hallo liebe Nerdfallmediziner,
    ich kann mich auch an einen Fall einer deutlichen Nachblutung nach Zungengrundresektion bei Malignom unter NOAK erinnern, in der ich nachgefordert wurde, da der Blutdruck so hoch war (210/100 mmHg). Würdet ihr in so einer Situation versuchen den Blutdruck zu senken?
    Vielen Dank in Voraus
    LG
    Regina

    1. Hi,
      Ich würde vermutlich versuchen den Blutdruck um 20-30% zu senken um die Blutung zu reduzieren. Allerdings sehr sehr vorsichtig bei dem Hintergedanken, einer evtl beginnenden Hypovolämie.

  3. Hallo Martin, Phillipp und Chris,

    als treuer Nerdfall-Follower mal einen Daumen hoch für eure kontinuierlich guten und spannenden Videos/Beiträge bei Whatsapp. Es ist sehr angenehm wie ihr die vielen (manchmal auch kontrovers diskutierten) Themen der Notfallmedizin vermittelt. Toll ist, dass ihr immer wieder interessante Gesprächspartner einbindet und diesen ein Forum gebt, ohne euch ständig krass selbst darstellen und produzieren zu müssen oder mit dem erhobenen Zeigefinger daher zu kommen (das #FOAM könnte sich da leider mittlerweile mal ne Scheibe abschneiden von euch…). Ich finde es auch sehr cool, dass ihr immer eure persönlichen Erfahrungen aus eurem Arbeitsalltag mit einfließen lasst und auch total offen eure Probleme und Fragestellungen die euch da so begegnen ansprecht und diese zur Diskussion stellt. Macht weiter so!

    Und nun zum Thema Selbstdarstellung : Als Feedback zu eurem Beitrag von mir mal einen kleinen privaten „Case Report“ 😉

    Ich hatte eine schwere Nachblutung nach meiner Tonsillektomie im 18. Lebensjahr. Dies geschah am 6. Tag postoperativ zu Hause (ein paar Stunden nach der Entlassung). Der Blutung ging keine Warnblutung voraus, insgesamt war der postoperative Verlauf auch soweit normal bzw. unauffällig. Nicht bekannt war zu dem Zeitpunkt mein Von-Willebrand-Syndrom (Typ 1), welches dann später, aufgrund der Ereignisse, vom Hämatologen in der Klinik festgestellt wurde.

    Die Blutung setzte bei mir sofort extrem stark ein, das heißt arteriell und in einer ziemlich großen Menge. Natürlich ist in so einer Situation die Wahrnehmung sehr subjektiv wie wir alles wissen, gerade was die Menge des Blutverlustes angeht. Nach mehrjähriger Tätigkeit als RA sowie mittlerweile ein paar Jahre auf der Arztschule, würden ich (sowie die zwei anwesenden Promovierten) realistisch betrachtet schätzen, in 2-3 Minuten circa. 500ml – 1 Liter Blut verloren zu haben. Klingt super viel, war es aber auch. Wenn einem schwallartig ein pulsierender Blutstrahl in der Größe des kleinen Fingers ununterbrochen aus dem Hals fließt, ist das C-Problem natürlich nicht weit entfernt… Zum Glück war ich in diesem Alter noch zu Hause und hatte zwei frisch approbierte Ärzte als Erziehungsberichtigte. Die holten geistesgegenwärtig aus ner Schublade schnell eine Magill-Zange plus diverse Tupfer hervor und drückten dann einfach nur in Richtung der vermuteten Blutungsquelle, welche sich zu tief und zu weit hinten im Rachenraum befand um überhaupt sichtbar zu sein. Den sehr schnell eintretenden Schock hab ich nur noch sehr „komisch“ in Erinnerung. Ich habe plötzlich einen massiven Tinnitus gehabt, ständig das Problem des „Schwarz vor Augen werden“ und den extremen Kraftverlust am ganzen Körper (hatte Mühe mich aufrecht zu halten, kann das gar nicht richtig beschreiben, ist wie nen KO-Schlag beim Boxen). Die eintreffende Notärztin hat dann nach dem Ersteindruck (RA: „Sieht ja aus wie im Schlachthaus hier“) und Erhebung der Vitalparameter eine ähnliche Hautfarbe wie ich angenommen 🙂 Dann hat Sie aber zum Glück nicht lange gefackelt und mich per Schocklagerung und Druckinfusion stabilisiert. Bzgl. Lagerung kann man sich natürlich streiten, da ja in so einer Situation immer ein A-Problem im Raum steht. Allerdings war zu diesem Zeitpunkt, auf Grund der Hypovolämie und des stetigen Drucks der Magill-Zange in meinem Rachenraum, die Blutung relativ wenig geworden, also nur noch ein Rinnsal. Auf Deutsch gesagt war ich also ausgeblutet.
    Um den Rest der Geschichte des Abends kurz zu fassen: junger Mann, also gut kompensiert -> load and go; Das Glück der Großstadt -> KH mit Maximalversorgung in 5 Minuten erreicht; HNO-Assistenzärztin in der Rettungsstelle ist auch sofort blass geworden, wie so vor schon die Notärztin und ich; hat dann kurz erfolglos versucht zu kauterisieren, folglich ging es sofort ab in den OP mit mir; fast ne Stunde lang im OP, weil Blutung nicht zu stoppen; im Endeffekt Gefäß umnäht und 2 Liter aus dem Magen abgesaugt; eigentlich Transfusionspflichtig, da aber ich aber jung war und nach wie vor halbwegs kompensiert wurde darauf verzichtet; somit insgesamt also knapp überlebt.

    Ich habe im weiteren Lebensverlauf ab und zu mal ein paar erfahrene Kollegen, aus dem ärztlichen und nicht-ärztlichen Bereich der Notfallmedizin, gefragt, was wir denn in so einem Fall mit solch einem Patienten wie mir machen würden. Ich meine hier die beschriebene worst case Situation, in welcher ein Patient ein sehr seltenes und kompliziertes (weil schwer zugängliches) C-Problem hat, also einfach massiv aus dem Rachenraum blutet, die Blutungsquelle aber nicht zugänglich ist und die Zeit das Ganze zu beherrschen entsprechend knapp ist. Die Frage stellt ihr ja auch in eurem Video, allerdings habt ihr euch im Endeffekt dann am Ende eher auf die A und B -Problematik konzentriert. Was aber mit dem C-Problem machen? Das ist ja das eigentliche (tödliche) Problem.

    Da solche Fälle (also die wirklich lebensbedrohlich massive (!) Nachblutung) sehr selten sind, ist es halt auch echt schwer die optimale präklinische Therapieoption zu finden. Einen Vorschlag eines (langjährigen) Notarztes fand ich dann doch ganz gut:

    1.RSI und zwar so schnell wie möglich, hier aber unbedingt endotracheale Intubation-> nicht wegen des drohenden A+B Problems, sondern weil

    2. C-Problem muss in den Griff bekommen werden! (Patient überlebt sonst nur durch Glück die Zeit bis Schockraum, teilweise ja leider auch nicht)

    3. Und zwar durch komplette und massive Tamponierung des Rachenraums („Alles was du im RTW an Tupfern/Verbandstüchern hast reindrücken und dann den Druck aufrecht erhalten!“)

    Wir kriegen ja, gerade in der Diskussion um den LT, immer alle ein bisschen Bauchschmerzen, weil Druckerhöhungen im Bereich des Rachenraums ja auch von innen auf die Carotiden drücken und ggf. zu einer cerebralen Minderperfusion führen können. Trotzdem erscheint mir diese Vorgehensweise als die pragmatischste in so einer Situation. Ein gut gesicherter Atemweg inkl. zweite Absaugpumpe ist zwar definitiv der erste wichtige Schritt, jedoch denke ich in dieser beschrieben worst case situation nur bedingt ausschlaggebend für das Überleben des Patienten.

    Sowohl ich, als auch die beiden Approbierten damals bei der Erstversorgung, sind bis heute der Meinung, dass ohne Magill-Zange+Tuper und jede Menge Druck, die ganze Geschichte anders ausgegangen wäre.
    Schade, dass da nicht aus dem HNO Bereich mal ne Leitlinie kommt. Aber vielleicht ist diese massive Nachblutung ja einfach (zum Glück) wirklich zu selten für vernünftige Evidenzen und bleibt auf der Case-Report-Stufe.

    1. Lieber H, vielen herzlichen Dank für deinen Kommentar und deine Geschichte. Beim Lesen lief es mir echt kalt den Rücken runter… Sehr sehr gute Tipps von dir – gerade der Punkt „alles rein zum ausstopfen“ ist sehr plastisch.
      Zur Kreislauftherapie würde ich es analog zur schweren traumatischen Blutung sehen, d.h. präklinisch permissive Hypotonie, vorsichtige Volumengabe, TXA; Voranmeldung und Vorbereitung von Massivtransfusion und gezielte Gerinnungstherapie nach z.B. nach ROTEM… was sind da deine Gedanken?

      1. Hallo Martin,

        jenseits der Kreislauftherapie (so wie von dir beschrieben finde ich die top) habe ich mir Gedanken über präklinische Tamponierungsversuche gemacht. Hier ist die Schwierigkeit ja nicht nur die anatomisch blöde Situation, sondern auch die häufig nicht sichtbare Blutungsquelle.
        Ich habe drei Ideen dazu, allerdings sind alle mit den aktuellen Geräten die ich so kenne nicht möglich, man müsste entsprechend als so etwas herstellen.

        Die erste Idee ist im Endeffekt nichts anderes, als das Prinzip der Senkstaken-Sonde auf den Rachenraum zu adaptieren. Man müsste den Patienten schnell endotracheal mit einem Spiraltubus (damit der später nicht abgedrückt wird) intubieren. Nun müsste man sich als zweites Gerät einen modifizierten Larynxtubus vorstellen, bei welchem lediglich die Funktionen der Cuffs von Bedeutung sind, das große Lumen für die Ventilation wäre überflüssig da die ja per ET-Tubus erfolgt. Ein kleines Lumen für einen Katheter in Richtung Ösophagus (Patient hat vermutlich Blut im Magen -> Errbechen) wäre sinnvoll. Hier würde man diesen entsprechend in den Ösophagus vorschieben, den unteren Cuff dann wie gehabt mit Luft blocken. Der obere Cuff muss dann allerdings mit Wasser geblockt werden (um einen entsprechend höheren Druck über dem systolischen RR zu erreichen) und sollte entsprechend groß sein, um den gesamten Rachenraum auszufüllen. Natürlich ist die Frage in wie fern hier ein Abdrücken von größeren Arterien und Venen im Halsbereich ein Problem darstellen könnte, ähnlich der Problematik des Larynxtubus, welche ja aktuell diskutiert wird.

        Die zweite Idee kann man vermutlich nicht ernst nehmen, aber ich versuche mal meine Grundidee zu schildern. Diese kam mir, als mir „ein Freund“ erzählte, er hätte, auf einer Seite welche Spielzeuge für Erwachsene verkauft, ein sehr schnell aushärtendes Silikongemisch gefunden. Dieses härtet innerhalb von 90-120 Sekunden aus und somit können diverse Abdrücke von Körperteilen erstellt werden…
        Angenommen ich habe den Patienten wieder mit Spiraltubus endotracheal intubiert und blocke dann noch den Ösophagus mit einem „Osophagus-Tubus“ (also sowas wie ein ET-Tubus, nur halt für den Ösophagus), dann könnte ich nun den kompletten Rachenraum mit diesem Silikon füllen und aushärten lassen. Ich denke ein Vorteil könnte hier sein, dass sich das Silikon deutlich besser anatomisch anpassen kann, als ein mit Wasser gefüllter Cuff/Sonde. Würde mein „Ösaphagus-Tubus“ sich nach der Aushärtung des Silikons noch Ausdehnen können (per Luftdruck oder per Wasserspritze) und somit aus einer mittigen Position das ihn nun umgebende härtere/Gummi-artige Silikon stärker an alle Rachenwände/Zunge etc. drücken, könnte man so denke ich eine Blutung gut tamponieren.
        Allerdings kann ich mir gut vorstellen, dass sich hier bestimmte Strukturen (z.B. Stimmritze, etc.) relativ wenig damit vertragen könnten.

        Die dritte „Idee“ ist eigentlich nur eine Kombination aus einem Bronchoskop für den Rachenraum und einem Kauter. Also wie in der Schlüssellochchirurgie sozusagen. Die HNO-Ärzte haben bei mir damals auch ohne jegliche Analgesie, etc. erstmal versucht in der Rettungsstille halb blind im Rachenraum rum zu kauterisieren. Da hat man als nicht-HNO natürlich keinen Bock drauf dem Patienten im Rachen etwas weg zu brutzeln, sind ja auch viele wichtige Strukturen dort. Aber im worst case besser als den Patienten 15 Minuten später Tod in der RS abzugeben denke ich.

  4. Hallo Zusammen,

    super Video, ich befasse mich aktuell aufgrund meiner Dissertation über eben dieses Thema sehr eng damit. Was ich noch aus eigener Erfahrung interessant finde, ist der starre Absaugkatheter wie beim Zahnarzt. Dieser ist nicht nur für die TE Nachblutung sondern auch für Massives erbrechen gut. Ebenso finde ich auch enorm wichtig , wie durch Paul et al. erwähnt, die zweite Absaugpumpe nicht zu vergessen.

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