Ein generalisierter Krampfanfall sieht dramatisch aus – und wir müssen meist schnell handeln. Was sind überhaupt die Ursachen und was tun wir? Welche Medikamente kann man geben und wieviel davon?
Wir besprechen diesen relativ häufigen Notfall mit PD. Dr. Simon Fandler. Um das Vorgehen nach einem abgelaufenen Anfall und die Unterscheidung verschiedener Formen (inkl. konvulsiver Synkope) geht es im zweiten Video.
(Fast) jeder laufende (persistierende) Krampfanfall in der Notaufnahme oder Rettungsdienst ist potentiell bedrohlich und entspricht einem akut behandlungsbedürftiger Status Epilepticus. (Notaufnahme meist bereits prähospital ein- oder mehrfach gekrampft; Rettungsdienst: Meist >5 Min Krampfanfall bis zum Eintreffen.)
Ursachen:
Akronym für mögliche Ursachen von Krampfanfällen: BINTE (nach Video-Veröffentlichung ergänzt vom “alten” Akronym TINE + Blutzucker)
- Blutzucker (Hypoglykämie)
- Infektion (insbes. Meningitis, Sepsis, generell bei Infekten)
- Neurologie (Epilepsie, akuter/Z.n. Schlaganfall/Blutung, Raumforderung)
- Trauma / Toxin (Schädel-Hirn-Trauma, Alkohol, –Entzug, Intoxikationen)
- Elektrolyte (insbes. Hyponatriämie)
Formen:
- Generalisierter Anfall
- einfach fokaler (einzelne Körperteile, einer Hirnregion zuordenbar, ohne Bewusstseinsverlust) bzw. komplex fokaler / dyskognitiver Anfall (mit Bewusstsseinsverlust)
- nicht-konvulsiver Anfall („Absence“)
- Status Epileticus
Laufender Krampfanfall
Initiales Vorgehen:
- Fokus auf Stabilisierung (ABC)
- Sauerstoffgabe (15l Maske mit Reservoir)
- Orientierter Neuro-Status (Paresen? Was wird bewegt, was nicht?)
- Fokussierte Anamnese: Epilepsie bekannt? TINE-Schema (s.o.)
- BGA mit Elektrolyten und BZ
- falls nicht möglich / präklinisch: unbedingt BZ-Messung!
- Gabe von Antikonvulsiva, initial Benzodiazepin iv. oder in. (s.u.)
- Spezieller Krampfanfall (Alkoholinduziert, Schwangerschaft etc.)? Siehe unten!
Status Epilepticus – Definition:
- Epileptischer Anfall, Dauer >5Min
- ≥ 2 Anfälle mit insgesamter Dauer > 5Min (ohne zwischenzeitlich „normalen“ Bewusstseinsszustand)
Wenn DD zu psychogenem / dissoziativem Status unsicher: Frühzeitig EEG (Neurologie!)
Antikonvulsive Medikation
(Erwachsene, pragmatisch angepasst nach DGN Leitlinie 2020, Link unten)
- Benzodiazepin:
- iv-Zugang vorhanden oder sehr schnell etablierbar:
Lorazepam: Initialer Bolus 2-4 mg langsam iv, insgesamt bis 0,1 mg/kgKG ODER
Midazolam: Initialer Bolus 3-5 mg langsam iv, insgesamt bis 0,2 mg/kgKG - kein iv-Zugang vorhanden:
Midazolam 10mg in. oder im. (Pat<40Kg: 5mg)
- iv-Zugang vorhanden oder sehr schnell etablierbar:
Falls weiterhin Status: iv-Zugang etablieren, alternativ Intraossär-Zugang
- Antiepileptika:
- Levetiracetam 60mg/kg (max. 4500mg) über >10min iv. (Kurzinfusion)
(Achtung, wird oft unterdosiert) ODER - Valproat 40mg/kg (max. 3000mg) über >10min iv. (Kurzinfusion)
- Levetiracetam 60mg/kg (max. 4500mg) über >10min iv. (Kurzinfusion)
Refraktärer (generalisierter*) Status = Narkose
- Narkoseeinleitung + Intubation:
- Propofol (1-)2mg/kg iv. UND
- Esketamin 0,5(-1)mg/kg iv. UND
- Relaxans z.B. Rocuronium 1mg/kg iv.
(Die Leitlinie „Status Epilepticus“ empfiehlt Ketamin erst bei Stufe 4 – dem EEG-gesicherten „superrefraktären“ Status; pragmatisch bietet sich die Kombination aus Propofol/(Es)ketamin bereits in Stufe 3 an.)
*bei reinem fokalem Anfall ohne Bewusstseinsverlust kann auf Narkose verzichtet werden, ggf. alterantive Antiepileptika nach Rücksprache Neurologie!
Hier die offiziellen “Clinical Pathways” der DGN-Leitlinie 2020:


Sonderfälle:
- Bei Kindern (v.a. <6 Jahren) + Fieber: V.a. Fieberkrampf (meist selbstlimitierend).
- Bei Schwangeren: V.a. Eklampsie. 4-6g Magnesium iv. (Kurzinfusion) + Therapie wie Status (s.o.)
- Bek. C2-Abusus oder V.a. alkohol/entzugsinduziertem Anfall:
- Thiamin 100mg iv. Kurzinfusion
- Bei Hypoglykämie:
- Glukosegabe (initial z.B. 8(-24)g G40% über gut laufenden Zugang), siehe auch Video zu Hypoglykämie
- ev. auch Thiamin 100mg bei DD. alkoholbedingtem Anfall / Unterernährung
Hallo ihr Lieben,
Erstmal danke für das tolle Video. Macht wie immer riesen Spaß!!
Nun meine Fragen:
1. Wäre es nicht sinnvoll TINE um ein G (für Glukose) zu erweitern? Oder fällt das unter einen anderen Punkt?
2. Wie steht ihr zu der krampffördernden Wirkung von Sauerstoff? Habe da vor kurzem etwas gelesen und das verwirrt mich etwas. Habe mich nun mit mir geeinigt im akuten Anfall O2 hochdosiert zu geben und postiktal eher regressiv runter drehen (wenn es der SpO2 zu lässt). Habt ihr da eine Empfehlung?
3. Wie eskaliert ihr in der Präklinik ohne Antikonvulsilva? Benzo, Benzo, Propofol, Narkose?
Liebe grüße und macht bitte weiter so
Marc
Hallo ihr Lieben,
Erstmal danke für das tolle Video. Macht wie immer riesen Spaß!!
Nun meine Fragen:
1. Wäre es nicht sinnvoll TINE um ein G (für Glukose) zu erweitern? Oder fällt das unter einen anderen Punkt?
2. Wie steht ihr zu der krampffördernden Wirkung von Sauerstoff? Habe da vor kurzem etwas gelesen und das verwirrt mich etwas. Habe mich nun mit mir geeinigt im akuten Anfall O2 hochdosiert zu geben und postiktal eher regressiv runter drehen (wenn es der SpO2 zu lässt). Habt ihr da eine Empfehlung?
3. Wie eskaliert ihr in der Präklinik ohne Antikonvulsilva? Benzo, Benzo, Propofol, Narkose?
4. Ein Pat mit andauerndem fokalem Krampfanfall (bspw. nur das Bein), soll der ebenso behandelt werden oder wie geht man da vor (reiner Transport?). Ich hatte den Fall mal, die Pat war dabei wach, ansprechbar, mit bekannten fokalen Krampfanfällen, da kam mir eine Benzo Therapie etwas unverhältnismäßig vor…
Liebe grüße und macht bitte weiter so
Marc
Hi Marc,
danke für das tolle Feedback! 🙂
1.) Ja, das könnte man machen. Bei TINE könnt man es theoretisch unter “Elektrolyte” verorten (wird zumindest in der Klinik in der gleichen BGA gecheckt). Aber warum nicht erweitern -jetzt brauchen wir nur ein gutes Akronym: TINGE? BINTE (B für BZ)? Bin für Vorschläge offen!
2.) In der wissenschaftlichen Literatur haben wir dazu bisher nichts gefunden. Dein Vorgehen klingt sehr pragmatisch – so machen wir es auch. Initial Sauerstoff drauf, sobald die Situation etwas ruhiger (und die SpO2 Messung möglich ist) Dosierung wie bei allen anderen Notfällen nach SpO2.
3.) Genau so. Benzo, Benzo, Benzo, dann Narkose mit Propofol/Ketamin. Aber Simon meinte aus seiner Erfahrung, dass in der Präklinik immer wieder zu wenig Benzos gegeben werden und der Trigger zur Narkoseeinleitung recht früh gestellt wird.
4.) Bei unkompliziertem fokalem Krampfanfall (Pat. stabil und vor allem wach/orientiert) keine Indikation zur präklinischen Therapie und auf in die nächste Neurologie (optimal die, die den Pat. schon kennt).
Danke für die prompte Antwort 😀
1) BINTE finde ich stark ^^
2) Das ist der Artikel der mich dazu gebracht hat https://link.springer.com/article/10.1007/BF00343754
Liebe Grüe Marc
BINTE finde ich sehr gut – wird oben in den Shownotes ergänzt. Danke! 🙂
Der Artikel ist tierexperimentell, daher würde ich daraus nichts für die klinische Praxis umsetzen. Ich denke die Evidenz spricht dafür, dass längere hochdosierte Sauerstoffgabe potentiell schädlich sein könnte – das gilt v.a. für das intensivmedizinische Setting mit invasiver Beatmung. Gleichzeitig gibt es ganz klar wiederholt Hypoxien im Rahmen eines Krampfanfalles – und bei Hypoxie wissen wir, dass es schädlich ist 😉
Daher bleibt meine Praxis das, was du oben beschrieben hast (initial Hochdosis, dann nach SpO2). 👍
Hallo zusammen,
auch von mir herzlichen Dank für eure Videos. Sie eignen sich klasse, um während irgendwelcher langweiligen Tätigkeiten (z.B. Wäsche zusammenlegen) lohnenswerte Inputs zu bekommen.
Meine Frage bezieht sich auf die Gabe von Thiamin bei Ethanol assoziierten Krampfanfällen. Da sie recht häufig vorkommen, begegnen sie mir oft im Notarztdienst. Thiamin haben wir allerdings nicht auf dem NEF vorrätig. Sollte der BZ nun niedrig sein, würde man dann der Glucose-Substitution Vorrang geben und das etwaige Auslösen einer Wernicke-Enzephalopathie in Kauf nehmen oder je nach Fahrtzeit die Thiamin-Gabe in der Klinik abwarten? Ist hier in verschiedener Hinsicht eine Einzelfall-Abwägung nötig, und wenn ja, wie hoch ist das Risiko, ohne Thiamin Gabe eine Enzephalopathie auszulösen?
Vielen Dank für eure Einschätzung!
Hallo, danke für das schöne Feedback und dass wir dich beim Wäsche zusammenlegen begleiten dürfen! 😉
Du stellst eine nicht unrelevante Frage, zu der es interessanterweise relativ wenig klare Aussagen gibt. Vielfach bezieht sich die Literatur auf Notaufnahme-Settings, wo beide Medikamente vorhanden sind. Aufgrund der Empfehlungen ist z.B. auch in Bayern auf jedem Rettungsmittel Thiamin verlastet.
Ich habe zum Thema zwei relativ aktuelle Publikationen gefunden: Beide empfehlen bei einer relevanten Hypoglykämie NICHT auf eine Glucosegabe zu verzichten und bei Risikopatient:innen dann einfach möglichst zeitnah Thiamin zu substituieren: https://www.scirp.org/journal/paperinformation.aspx?paperid=95093 und https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/22104258/ – ein Editorial, das sich auf die zweite Publikation bezieht sagt:
“In this issue, Schabelman and Kuo evaluate a dictum that they identify as a medical myth, namely that administration of thiamine must precede that of glucose to avoid the precipitation of an acute Wernicke encephalopathy (1). Dextrose and thiamine are components of a traditional “coma cocktail” often used in the management of patients with an altered level of consciousness. The recommended order of administration of these agents (i.e., thiamine before dextrose, especially in alcoholic and malnourished patients) has long been codified in medical teaching.
As the authors demonstrate through an extensive literature evaluation, though, such acute precipitation of Wernicke encephalopathy has little basis in medical science. No randomized trials or case-controlled studies on this phenomenon exist, nor are they likely to be performed. Methodological concerns mar the case reports and observational studies in this area. Animal studies that have been done suffer from uncertain extrapolation to humans.
Although it seems that prolonged glucose administration without concomitant thiamine may produce or exacerbate Wernicke encephalopathy, the case studies described by Schabelman and Kuo bear little relation to the setting of emergency medicine (1). None involve the acute administration of glucose.”
Prima, vielen Dank! 🙂
Hallo, vielen lieben Dank für die ganzen Videos und Beiträge. Wo findet man denn den zweiten Teil des Status-Videos? Vielen Dank und liebe Grüße!
Hallo und auch vielen Dank für das nette Feedback! 🙂
Das zweite Video zum Thema Krampfanfall ist schon fast fertig und folgt genau in einer Woche (am 20.3.)
In der Psychiatrie hat man auch gerne mal einen krampfenden Pat. auf Station, der unterhalb der 5min ist. Wie lange soll man dem Krampfanfall “zuschauen” bevor man Benzos gibt? Kann man auch eine Diazepam Rektiole geben?
Hallo Tobias,
danke für deine Frage. Normalerweise dauert ein epileptischer Anfall 60-90 Sekunden. Bis ein epileptischer Anfall bemerkt wird, kompetente Hilfe gerufen wird, der iv-Zugang gelegt/getestet wird und das Benzodiazepin aufgezogen wird, dauert es selbst unter Idealbedingungen wohl länger als diese Zeit – d.h. wenn der Patient/die Patientin dann noch krampft, dann würde ich jedenfalls die Therapie starten. 5 Minuten sollten jedenfalls NICHT abgewartet werden, wenn man es erst gar nicht zum Status epilepticus kommen lässt, ist das sicher besser.
Diazepam Rektiolen sind eine ältere Alternative, die grundsätzlich möglich sind (häufiger im pädiatrischen Bereich verwendet), aber bei Verfügbarkeit besserer Alternativen (Lorazepam/Midazolam iv oder Midazolam im/in) eher nicht verwendet werden sollten (weil: rektaler Zugang während dem epilept. Anfall eher schwierig, Resorption nicht so einfach und effektiv sichergestellt).
Danke!
Vielen Dank für eure Videos! Bin bekennender Fan , selbst als Hausärztin!;-). Ginge zur Akuttherapie eines Anfalls auch Tavor expedit? LG
Hallo Ulrike,
danke für das tolle Feedback! 🙂
Orale Gabe wäre theoretisch denkbar (es gibt ja z.B. “Buccolam” als orale Applikationsform), im akuten Status wäre das aber aus meiner Sicht “last line” wenn du nichts Anderes zur Verfügung hast (quasi die “Berghütten-Option”), da die Resorption und der Wirkeintritt schwer einzuschätzen und im Vergleich prolongiert sind. Die Leitlinie empfiehlt ohne i.v. Zugang intramuskuläre oder intranasale Gabe, das würde ich persönlich auch machen.