NERDfall Nr. 33 – Teil 1: Sturz in der Schule

Wir starten endlich in die nächste Runde 😃
Hoffentlich habt ihr euch die letzten Wochen gut erholt, denn es geht gleich richtig zur Sache. Mehr Infos wollen wir noch gar nicht preisgeben, denn auch das Team wurde ziemlich überrumpelt.
Aber lest selbst, viel Spaß und vor allem gehaltvollen Austausch!

In der Dönerbude werden gerade die Saucen-verschmierten Alufolien und Servietten der RTW- und NEF-Besatzung vom Tisch geräumt, als die vier Melder gehen: >Goethe-Realschule – Sturz; Info: Einweiser am Schultor<
„Ach das ist ja gleich neben an. Keine 2 Minuten!“ – „Wenn da mal nicht der Hausmeister von der Leiter gefallen ist.“

Die beiden Fahrzeuge fahren in Kolonne und erhalten vor der letzten Kreuzung über Funk noch ein unerwartetes Update: „Jetzt laufende Reanimation. Mehr haben wir aktuell leider nicht.“

Empfangen werden beide Fahrzeuge von einer wild gestikulierenden, ca. 13/14-jährigen Schülerin vor der Schule (kürzester Zugang). Nachdem sämtliches Material geschultert wurde, folgen die vier in das Gebäude. Die Mittagsschule scheint gerade beendet zu sein, denn auf dem Schulhof und im Haus machen sich offensichtlich Schüler*innen gerade auf den Heimweg. Die einweisende Schülerin würde offensichtlich am liebsten rennend den Weg weisen, passt sich aber regelmäßig zurückblickend dem Tempo ihrer bepackten Gefolgschaft an. Ihr Vorsprung und das rege Schultreiben lassen es zu keinem Info-Austausch kommen. Sie biegen nach insgesamt ca. 250m in ein Klassenzimmer im Erdgeschoss ein, wo sich folgendes Bild bietet:
Ein Schüler, ca. 13-jährig, eher jugendlicher als kindlicher, normalgewichtiger Körperbau (bei ca. 165cm), liegt rückwärts mit dem Kopf in einer riesigen, frischroten Blutlache (Durchmesser ca. 80cm), während andere, z.T. auch ältere Schüler*innen und eine Lehrkraft eine kardiopulmonale Reanimation mittels Laien-Defi durchführen. Der betroffene, blasse, leicht zyanotische Schüler zeigt keinerlei Muskeltonus und wehrt sich offensichtlich nicht gegen die Thoraxkompressionen. Beim Herantreten scheint sich die Blutung aus Mund und Nase zu ergeben. Zähne, Gesichtsknochen sowie -haut scheinen intakt.

Auf Nachfrage antworten aufgebracht mehrere umstehende Schüler*innen: Es habe zum Schulschluss geklingelt, Timo sei von seinem Stuhl aufgestanden, ein paar Meter gegangen, habe einen undefinierbaren Laut von sich gegeben und sei dann prompt umgefallen und mit dem Gesicht auf einem Schultisch aufgeschlagen. Er sei regungslos auf dem Boden liegengeblieben und habe zunächst eine schnappende Atmung gezeigt; im Verlauf sei er dann „blau angelaufen“, kurz darauf habe er gar nicht mehr geatmet. Der Schulsanitätsdienst sei schnell durch die Klassenlehrerin verständigt worden und habe in der beschriebenen Auffindesituation direkt mit der Laienreanimation begonnen. Ein Schüler habe parallel den AED geholt, welcher nach Anbringen der Patches sofort eine Defibrillation freigegeben habe.

Daraufhin lässt die Notärztin die Reanimation kurz unterbrechen: Der Junge zeigt eine Eigenatmung, wenn auch flach, AF 20. Der Carotispuls ist etwas schwach, jedoch rhythmisch tastbar.
Der NEF-Fahrer wird umgehend wieder zum Fahrzeug geschickt, um einen RTH zum Transport in den Maximalversorger zu bestellen (Handfunkgerät wurde nicht mit zur Einsatzstelle genommen).
Zur A-Beurteilung wird oral und nasal abgesaugt* ohne dass die Blutungsquelle ausgemacht werden kann. Es blutet nach. Ein NotSan kümmert sich parallel um ein initiales Monitoring: Pulsoxy, EKG, Blutdruckmanschette. Da fängt der junge Patient an generalisiert zu krampfen.

* kein Yankauer-Katheter o.Ä. vorhanden

Zusatzinfo 1 – 21.10.2023:
Ein der RTW-NotSan legt einen Zugang in die Ellenbeuge und es werden 2mg Midazolam appliziert. Der Krampf sistiert. Bei assistierter Beutel-Masken-Beatmung mit Guedel-Tubus mit einem O2-Flow von 8lwird eine SpO2-Sättigung von 92% erreicht. RR 80/60mmHg, HF ca. 110/min, Sinusrhythmus. BZ und Temperatur normwertig. Ein zweiter i.v.-Zugang wird in die andere Ellenbeuge etabliert. Sofort folgt ein zweiter Krampfanfall, dieser kann durch weitere 2 mg Midazolam i.v. erneut durchbrochen werden.
Die umstehenden Schüler*innen wissen nichts von Vorerkrankungen oder einer regelmäßigen Medikamenteneinnahme. Heute, aber auch in den letzten Tagen, sei ihnen nichts Besonderes bei Timo aufgefallen. Er habe normal zu Mittag gegessen (ca. 12.30h; Gemüsecurry). Die Klassenlehrerin versucht im Sekretariat die Eltern zu erreichen. Das Team setzt zum 10-for-10 an.

Zusatzinfo 2 – 22.10.2023:
Eine RSI wird vorbereitet: Midazolam, Ketanest, Succinylcholin und Noradrenalin, mehrere Tubusgrößen, als Backup Larynxmasken in zwei verschiedenen Größen, die Absaugung & Kapnographie sind bereit, das Videolaryngoskop wird mit einem 3-er Spatel bestückt.
Es geht los: Narkoseeinleitung unter Absaugung bei persistierender enoraler oder nasaler Blutung. Ein schwieriger Atemweg wird erwartet und im Team kommuniziert; Es herrscht konzentrierte Anspannung im Team.
Trotz Absaugung bietet sich das Bild eines Blutsees bis zur Spitze der Epiglottis. Die Notärztin sieht kleine Luftbläschen im Blut aus der mutmaßlichen Richtung der Trachea aufsteigen; es wird versucht mit dem Tubus „an der Epiglottis entlangzurutschen“. Die angeschlossene Kapnometrie ist negativ, auskultatorisch brodelt es unter dem Xiphoid und die SpO2 fällt langsam ab.  

Zusatzinfo 3 – 23.10.2023:
Der Tubus wird wieder entfernt und erneut eine Beutel-/Maske-Beatmung inkl. Guedeltubus durchgeführt. Der Patient lässt sich darunter schnell aufsättigen. Eine LAMA wird diskutiert, jedoch im Konsens kein sicherer Aspirationsschutz vermutet. Im Hintergrund nähert sich ratternd ein Helikopter.
Ein zweiter Intubationsversuch unter manueller Inline-Stabilisierung folgt: Es wird nun noch energischer abgesaugt, bis sich der Blick auf die freie Stimmritze ergibt. Es wird ein Bougie in die Trachea eingeführt und darüber ein 7,5er Tubus geschoben. Jetzt Kapnometrie positiv (38mmHg) , auskultatorisch beidseits belüftet, Sättigung im Verlauf 97% (FiO2 1,0), RR 110/85mmHg, HF 135bpm. Die Anspannung fällt im Team merklich ab. Es stellt sich die Frage bzgl. des weiteren Transportes. Währenddessen beginnt ein erneuter generalisierter Krampfanfall.


Welche Gedanken schießen dir in den Kopf? Wie würdest du weiter vorgehen?
Äußert wie immer auch gerne alle anderen Überlegungen zum Fall!


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