Intoxikationen Teil 2: Übergabe und Behandlung

Nach dem ersten Teil zum Thema Intoxikationen folgt nun der zweite Teil mit Christoph Hüser von toxdocs.de. Diesmal beschäftigen wir uns mit dem Thema Übergabe und dem “Erstangriff” – der Behandlung in der Notaufnahme.

Übergabe durch den Rettungsdienst

  • „Übliche“ ortstypische Übergabe zum Beispiel nach ABCDE, SBAR oder SOAP-Schema, anschließend besonderes Augenmerk auf die folgenden Punkte
  • Beschreibung der Auffindesituation
    • Diese gibt oft Hinweise, ob es sich um Unfall oder Suizid handelt
    • Bei unklaren Situationen ist oft der Ersteindruck des Rettungsdienstes wegweisend
  • Gibt es Hinweise zu Hobbies und Beruf des Patienten?
    • Intoxikationen oft mit Stoffen, an die Patienten herankommen (z.B. Methanol bei Modellbauern, Ethylenglykol in Frostschutzmitteln beim Alkoholiker, Chemikalien beim Laboranten)
  • Übergabe der gefundenen Medikamentenblister oder anderen Stoffbehältnisse
    • Hilft um die vermutlich maximal eingenommenen Medikamentendosen auszuzählen und danach die Aggressivität des weiteren Procederes zu bestimmen
  • Gab es schon einen Anruf bei einer Giftinformationszentrale, bei welcher war dieser und welche Empfehlungen wurden gemacht?

Erstangriff in der Notaufnahme

Untersuchung & Diagnostik

  • Zunächst Stabilisierung der Vitalparameter nach dem ABCDE-Schema (s.u.)
  • In der körperlichen Untersuchung auf Zeichen für Toxidrome achten (siehe Video Teil 1)
  • 12-Kanal-EKG
    • Breitkomplexe? àB. Intoxikation mit trizyklischen Antidepressiva (TCA)
    • Sinustachykardie àhäufig bei Antipsychotika (Quetiapin) und TCA
    • ST-Streckenveränderungen àB. STEMI bei Amphetaminen / Kokain, oder als Hinweis auf Zellgifte wie Zyanide
  • BGA siehe auch unser Nerdfallmedizin-Video
    • CO-Hb?
    • Met-Hb? (z.B. bei Nitraten wie „Poppers“ und einigen Lokalanästhetika)
    • Anionen-Lücken positive Azidose?
      B. bei Methanol, Ethylenglykol, Salizylsäure
      Laktaterhöhung kann Hinweis auf Metformin- oder Eisen-Überdosis sein, in Radiometer-BGA-Geräten wird das Abbau-Produkt des Ethylenglykol, das Glykolat, falsch als Laktat gemessen, dies als DD im Hinterkopf behalten
    • Verringerte Anionenlücke?
      möglicher Hinweis auf Lithium-Überdosierung
  • Labor
    • Elektrolyte, Nierenwerte, Leberwerte, Entzündungsparameter, TSH
    • Keine routinemäßigen Spiegel-Bestimmung, außer bei unklarer Intoxikation Paracetamol-Spiegel erwägen, initial und 4 Stunden nach Tabletteneinnahme (nach Ankunft falls Zeitpunkt der Einnahme unbekannt)
  • Nach Erheben der Befunde und Stabilisierung des Patienten gerne frühzeitige Rücksprache mit einer Giftzentrale zur Interpretation

Therapie

  • Die drei Säulen der Therapie:
    • Supportive Therapie (steht im Vordergrund)
    • Giftelimination
    • Antidot-Gabe (nur bei wenigen Giften)
  • Supportive Therapie: Stabilisierung der Vitalparameter z.B. nach ABCDE-Schema
    • A: Bei Intoxikationen sollte wahrscheinlich ab einem GCS von 8 intubiert werden* ist gibt aber auch Hinweise, dass dies eventuell nicht immer nötig ist*1
    • B: Beatmung Für eine Hyperventilation bei TCA-Intoxikationen gibt es keine Daten, die eine Wirksamkeit belegen
    • C: Volumen und Vasopressoren, bei Breikomplexen an NaBic-Gabe denken
    • E: Regelmäßige Temperaturkontrolle, besonders bei Intox mit Amphetaminen, ggf. kühlen oder erwärmen
  • Giftelimination
    • Statt Magenspülungwird heute in Deutschland meist die Gastroskopie und Tablettenbergung unter Sicht empfohlen. Diese Maßnahme ist ohne gute Evidenz und erfolgt im Rahmen der good clinical practice meist bei Tabletten, die im Magen Bezoare bilden und lange nachresorptionen bewirken können (z.B. Quetiapin, ASS, Lithium, Amitriptylin, Carbamazepin)
    • Die Aktivkohlegabeist keine Standardmaßnahme, kann aber besonders bei zu erwartenden schweren Intoxikationen oft die Aufnahme des Giftstoffes hemmen. Hierzu sollte innerhalb der ersten Stunde nach Einnahme 0,5-1g/kgKG Kohle-Suspension gegeben werden. Vorsicht bei nicht gesichertem Atemweg, da schwere Pneumonien bei Aspiration drohen, hier nur zurückhaltend. (Details auch hier)
    • Bei sehr wenigen Giften macht eine Dialyse Typischerweise sind das Ethylenglykol und Methanol, Salizylsäure, Lithium, Thallium und Barbiturate. (Details zur Dialyse bei Vergiftungen hier)
    • Die Giftinformationszentralen können hier wichtige Tipps geben, wann welches Verfahren sinnvoll ist
  • Antidot-Gabe
    • Vorsicht bei der Flumazenil-Gabe bei Mischintoxikationen, dies kann durch die sinkende Krampfschwelle Krampfanfälle auslösen (z.B. bei Mischintoxikation von TCA und Benzodiazepinen)
    • Flumazenil sollte daher zurückhaltend angewendet werden, bei reiner Benzodiazepin-Intoxikation zur Vermeidung einer Intubation bleibt es erwägenswert
    • Generell gibt es nur für wenige Intoxikationen wirksame Antidote, die Giftinformationszentralen geben hier detaillierte Informationen, wenn der Einsatz von Antidoten möglich und sinnvoll ist
  • Rescue-Strategien
    • Lipid Rescue wurde u.a. bei sonst nicht kontrollierbaren kardiovaskulären Symptomen bei Intoxikationen mit TCA, Antipsychotika und Calcium-Kanal-Blockern erfolgreich eingesetzt
    • Es gibt mehrere Berichte von Überleben ohne Folgeschäden nach Einsatz ECLS bei Kreislaufversagen und Herzstillstand im Rahmen von Intoxikationen. Dies daher früh bedenken und Patient ggf. in Zentrum transportieren.

 

* Chan et al. The use of Glasgow Coma Scale in poisoning. J Emerg Med 1993;11:579–82 sowie Eizadi-Mood et al. Comparative evaluation of Glasgow Coma Score and gag reflex in predicting aspiration pneumonitis in acute poisoning. J Crit Care 2009;24:470.e9-15.
*1Duncan et al. Decreased Glasgow Coma Scale score does not mandate endotracheal intubation in the emergency department. J Emerg Med 2009;37:451–5.

Autor: Martin Fandler

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