NERDfacts Folge 7/2022 Symptomkontrolle beim palliativmedizinischen Notfall

Symptomkontrolle beim palliativmedizinischen Notfall

Wie kann Palliativmedizin ein Notfall sein?

Patienten mit unheilbaren Erkrankungen können im Verlauf verschiedene belastende Symptome entwickeln. Diese können auch plötzlich auftreten. Vor allem Luftnot, Schmerzen, Übelkeit und Angst spielen eine große Rolle. Leider sind wenige Patienten mit einem entsprechenden Palliativdienst (z.B. SAPV) versorgt. So kommt es häufig vor, dass der Rettungsdienst alarmiert wird. Im Spannungsfeld zwischen Palliativ- und Notfallmedizin müssen Patientenwillen, medizinisch notwendige Therapie und Limitationen durch die Grunderkrankungen abgewogen werden – und das unter Zeitdruck.

Das pdf zu dieser Folge findet Ihr hier:

Akronym PALLIATION

Das Akronym PALLIATION kann einen Leitfaden geben, was in palliativmedizinischen Notfallsituationen zu beachten ist. Das Akronym ist eine eigene Erfindung. Mit den Kollegen der Rettungsaffen durfte ich bereits über das Thema sprechen, dort findet ihr auch eine Taschenkarte zum Thema. Über Rückmeldungen, Kritik und Verbesserungsvorschläge würde ich mich freuen. Die Kolleg*innen der GEMS-Kurse (DBRD Akademie) haben das Konzept bereits in ihr Kursformat eingebaut. Das freut mich sehr!

Das I kann auch für „Indikation zur Krankenhauseinweisung“ stehen.
Zuerst veröffentlicht bei den Rettungsaffen.

Fact 1 – NICHT NUR ONKOLOGISCHE PATIENTEN!

Palliativmedizin beschränkt sich nicht nur auf onkologische Patienten. Auch Patienten mit schweren kardialen, pulmonalen oder neurologischen Erkrankungen benötigen eine palliativmedizinische Versorgung. Eine schwere Herzinsuffizienz oder eine fortgeschrittene ALS haben eine ähnliche Prognose wie fortgeschrittene Tumorleiden.

Fact 2 – THERAPIEZIEL?!

Nicht selten ist unklar, welches Therapieziel besteht. Patientenverfügungen sind oft vage formuliert oder passen nicht auf die akute Situation. Nur selten sind Patienten an ein SAPV-Team angebunden. Angehörige oder Hausärzte sind nicht immer erreichbar. Angehörige sind in der Situation zudem häufig überfordert. Bei akuter vitaler Bedrohung fehlt die Zeit für ein differenziertes Gespräch. Häufig erfolgt daher eine Krankenhauseinweisung.

Fact 3 – INDIKATION UND PATIENTENWILLE!

Für jede medizinische Maßnahme bedarf es der medizinischen Indikation und der Zustimmung des Patienten. Liegt eines der Beiden nicht vor, ist die Maßnahme unzulässig. Leider lässt sich nicht immer im Notfall genau klären, was der (mutmaßliche) Wille des Patienten ist. Bei Unklarheit gilt „im Zweifel für das Leben“ und es werden bei entsprechender Indikation lebensrettende bzw. stabilisierende Maßnahmen eingeleitet. Begonnene Maßnahmen können aber jederzeit auch wieder beendet werden, falls sich rausstellt, dass die eingeleiteten Maßnahmen vom Patienten nicht gewünscht sind.

Fact 4 – SAPV/ACP/BVP!

Es gibt gut organsierte Strukturen zur ambulante Patientenversorgung. SAPV-Teams sind 24/7 für die Patienten erreichbar. Mittels ACP/BVP („Advance Care Planning“ – „Behandlung im Voraus planen“) können Maßnahmen festgelegt werden, die durchgeführt oder unterlassen werden sollen. Meist finden sich spezielle Ordner bei den Patienten mit Verfügungen und Kontakttelefonnummern. Weitere Informationen zum Thema ACP/BVP findet ihr z.B. hier.

Fact 5 – SYMPTOMKONTROLLE!

Luftnot, Schmerzen, Übelkeit oder Angst sind die häufigsten belastenden Symptome. Hier findet ihr eine Tabelle mit Medikamenten, die zur Symptomkontrolle eingesetzt werden können. Opiate müssen ausreichend hoch dosiert werden. Immer muss eine Nachsorge gewährleistet sein, da die Medikamente nur einige Zeit lang wirken. Dies kann der Hausarzt, ein SAPV-Team oder medizinisch geschulte Angehörige sein.

Alle Kontraindikationen und CAVE sind im Zusammenhang mit einer palliativmedizinischen Situation relativ zu sehen und sollten immer gegen den Nutzen in der individuellen Situation abgewogen werden. Die Dosierung, Indikation und Applikationsformen sind in den meisten Fällen off-label. Die Medikamente, Dosierungen und Indikationen sind Vorschläge. Die Verantwortung für eine Therapie bleibt beim Anwender!


Quellen und weiterführende Infos:

Nerdfallmedizin-Video: Palliativmedizin im Notfall und Nerdfallmedizin Shortcut

Die Rettungsaffen GIN-Serie Teil 4: Palliative Notfälle – es gibt sie!!!

Eschbach, T.; Sanftl, P. SOP Symptomkontrolle beim palliativmedizinischen Notfall. Notfallmedizin up2date; 16(03): 267-271. Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York. DOI: 10.1055/a-1483-0564

Rave, F. Ethik in der präklinischen Notfallmedizin. Notfallmedizin up2date; 16: 283-294. Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York. DOI: 10.1055/a-1201-3888

Tiesmeier J, Lehning B, Jakob T et al. Palliativmedizinische Notfallpatienten Teil 1 – Handlungsoptionen und Symptomkontrolle. retten! 2018; 7(01): 25-36. doi:10.1055/s-0043-119201

Uberall MA. Transmucosal fentanyl administration: sublingual, buccal, nasal – all the same? Treatment of breakthrough cancer pain. MMW Fortschr Med 2017; 159: 15-22. doi:10.1007/s15006-017-0081-1

Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft DK, AWMF). Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung, Kurzversion 2.2, AWMF-Registernummer: 128/001OL,. In; 2020

Autor: Tim Eschbach

Ich bin leidenschaftlicher Notfallmediziner und Notarzt. Ich engagiere mich für die Fort- und Weiterbildung im Bereich der inner- und präklinischen Notfallmedizin, insbesondere im Bereich SOPs, CRM und Fehlerkultur.

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