Anaphylaxie – richtig behandeln!

Die Anaphylaxie ist ein schwerer und lebensbedrohlicher Notfall – was kann und soll man tun? Was ist überhaupt eine Anaphylaxie?

Warum Adrenalin an erster Stelle der Therapie steht, welche Rolle Fenistil® und die vielen anderen Medikamente spielen und was man im Worst Case – der Reanimation vielleicht noch machen könnte bespricht Philipp mit Martin.

Definition “Anaphylaxie”: Schwere, allergische Reaktion mit unterschiedlichem pathophysiologischen Ablauf

Schnelles Auftreten eines der drei folgenden Szenarien:

  • Hautreaktion (Urtikaria, Schwellung, Rötung) PLUS respiratorische Symptomatik oder Hypotension
  • Zwei der folgenden Symptome: Respiratorische Beschwerden / Hypotension / GI-Symptomatik / Endorganschäden
  • Hypotension kurz (Minuten bis Stunden) nach Einnahme eines bekannten Allergens
In der deutschen Guideline: Stufenschema I – IV (Hautreaktion (I) bis Kreislaufstillstand (IV))

Bei fataler Anaphalaxie – wie schnell stirbt man?

  • Iatrogen (Medikamente etc.): 5min
  • Insektenstich: 15min
  • Nahrungsmittel: 30min

Therapie:

  • Allergen stoppen
  • Adrenalin 0,5mg i.m. in M.vastus.lat. (Kinder 6-12: 0,3mg / <6: 0,15mg) – Achtung: kleiner Fehler im Video! (hier wird 6-14J erwähnt)
  • Volumengabe ca. 1000ml VEL (Kinder 20ml/kg VEL)
  • Adrenalin inhalation (2-4mg pur)
  • Betamimetika Inhalation (Salbutamol…)

Weitere Therapie (nicht zeitkritisch, keine Evidenz für Verbesserung der Mortalität)

  • Eventuell: Prednisolon 1-2mg/kg iv (150-200mg)
  • H1- / H2-Blocker (Dimetiden (z.B. Fenistil®) 0,1mg/kg = ca. 8-10mg iv + Ranitidin 50mg)

Biphasische Reaktionen?

  • Unterschiedliche Angaben, 5-20%, innerhalb von 4-8-72h (Update: Nach den UK NICE Guidelines (Link unten) wird eine Überwachung von 6-12h nach Anaphylaxie empfohlen)

Wie oft Adrenalin intramuskulär?

  • alle 5-10min

Wie sicher ist Adrenalin?

  • Besonders bei älteren Patienten und/oder bei kardiovaskulärer Vorerkrankung: i.m. unbedingt bevorzugen, dann gutes Sicherheitsprofil.

Protrahierter Schock?

  • Adrenalin i.v. Boligabe 0,05mg Boli – 1mg/100ml, 5ml Boli
  • Adrenalin i.v. Perfusor – 0,3-0,5mg/h (bei 1:10.000 3-5ml/h)
  • Bei Patienten mit Betablockertherapie: Glucagongabe erwägen (1-3mg), CAVE Vomitus
  • Intubation – CAVE schwieriger Atemweg!

Reanimation?

(Keine Evidenz, nur Expertenmeinungen)

  • Beine hoch
  • Hochdosis-Volumengabe
  • Adrenalindosis bei CPR erhöhen (2-4x)
  • Kolloide erwägen (?)
  • ECMO?

Update: Die AAAAI (US) empfiehlt im Update zu Anaphylaxie 2019 mittlerweile keine H1/H2-Blocker-Gabe oder Kortisongabe zur Verhinderung von biphasischen Reaktionen

Quellen und weitere Informationen:

Autor: Philipp Gotthardt

Ich bin begeisterter Notfallmediziner aus Nürnberg. Ich arbeite in der Notaufnahme, Intensivstation und als Notarzt sowie ärztlicher Dozent und versuche mich mit Nerdfallmedizin an der FOAMed Welt zu beteiligen.

20 Gedanken zu „Anaphylaxie – richtig behandeln!“

  1. Hallo, was heißt Hochdosis Volumengabe (in ml/l)? Sind kristalloide den kolloiden zu bevorzugen? Muss ich die OP dann komplett abbrechen lassen? Und würde ich intraoperativ auch Adrenalin i.m. geben oder gleich i.v.? Vielen Dank im und super Videos um fürs M3 zu lernen!

    1. Hallo,
      primär Kristalloide; als initialer Volumenbolus bei Anaphylaxie machst du mit 500-1000ml meist nichts falsch (natürlich individuell anpassen an die klinische Situation).
      Egal in welchem Setting eine Anaphylaxie auftritt: Grundsätzlich muss natürlich so schnell wie möglich das Agens entfernt werden (z.B. Beendigung der Infusion, die potentiell verantwortlich ist). Tritt eine bedrohliche Anaphylaxie intraoperativ auf (z.B. bei Antibiotikagabe) ist der Fokus zunächst wie bei jeder anderen hämodynamischen Komplikation natürlich die Stabilisierung. Wie es dann weitergeht hängt vom Zustand und dann der gemeinsamen Entscheidung des Teams (Anästhesie / Chirurgie) ab.
      Die Empfehlungen sind relativ klar, dass primär eine i.m. Gabe empfohlen wird (auch bei liegendem i.v. Zugang). Bei entsprechender Erfahrung und sicherem Zugang UND einem anaphylaktischen Schock kann man aber durchaus auch eine direkte i.v. Gabe (z.B. 10µg-Boli) erwägen.

  2. Ich bin kein Mediziner, aber Mutter eines Kindes mit einer Lebensmittelallergie des Soforttyps.

    Danke für die Distribution und einem wichtigen Beitrag hin zu einem Standard in Deutschland, welchen ich bisher leider noch nicht erlebt habe.

    In der praktischen Anwendung scheitert die Adrenalingabe über den Pen, welcher zumindest Patienten mit sich führen, die um ihr Anaphylaxierisiko wissen, sehr oft an Fehlschulungen von Betreuungspersonen (Zitat: Medikamente darf ein Ersthelfer nicht geben/wenn was schief geht haftet der Ersthelfer/ Überdosierung kann tödlich enden).
    Einmal jährlich schule ich daher den gesamten Lehrkörper selbst und verweise regelmässig die einzelnen Personen, doch bei Erste-Hilfe-Schulungen ganz klar Position zu beziehen und zur Not die Seminarleitung an die AGATE Arbeitsgemeinschaft zu verweisen.

  3. “Das mit der IV-Gabe und Zeit habe ich nicht ganz verstanden, was meinst du da? 😉”

    Ich habe mich vmtl missverständlich ausgedrückt bzw. meinen Gedanken nicht vollständig ausgeführt.

    Ihr berichtet ja richtigerweise, dass es bei einer Anaphylaxie nach einer i.v.-Med.Gabe blöderweise schon nach 5 min zu einem fatalen Ende kommen kann. Ich wollte halt ausführen, dass dieses aber auch bedeutet, dass die anaphylaktische Reaktion auch sofort beginnt und es nur eine sehr kurze Latenz zwischen Injektion und Entwicklung von Symptomen kommt.
    Und diese kurze Latenz bedingt ja auch, dass i.d.R. noch unmittelbar medizinisches Personal beim Patienten ist und dass man differentialdiagnostisch auch als Erstes an das Auslösen einer Anaphylaxie nach Applikation des Medikamentes denkt und somit unmittelbar mit der richtigen Therapie (Adrenalin …) beginnt.
    Würde die Reaktion nach i.v. Gabe so langsam wie bei Nahrungsmitteln ablaufen, wäre das Erkennen oftmals erschwert (z.B. weil der Patient dann alleine wäre, sich in Narkose befindet und manche Symptome falsch gedeutet werden könnten, in der Zwischenzeit auch andere Maßnahmen ergriffen worden sind, die potentielle Komplikationen haben können oder sich die Grunderkrankung verschlimmert haben könnte).
    Daher führt die rasante Entwicklung von Symptomen zum einen zwar zu einem nur sehr kurzen Zeitkorridor, in dem man richtig handeln muss, um das Leben des Patienten zu retten (wie, habt ihr ja sehr schön im Video beschrieben), jedoch hilft dieser kurze Zeitkorridor aber auch, die Reaktion der Medikamentenapplikation zuzuordnen und so schneller die richtigen Schlüsse zu ziehen.

    Ich hatte als Anästhesist bislang erst einen Fall einer Anaphylaxie während der Narkoseeinleitung auf das Muskelrelaxans. Durch den sofortigen Beginn von Symptomen (war noch vor der Intubation, gleichzeitige Tachycardie und bei der Handbeatmung deutlich spürbare Bronchospastik, auch im Verlauf keine Hautreaktion) direkt nach Gabe des Medikamentes lag die Anaphylaxie sofort auf der Hand und es konnte innerhalb kurzer Zeit Suprarenin verabreicht werden. Wäre die Reaktion wie bei einer Lebensmittelreaktion in zeitlicher Latenz bzw. nicht so fulminant aufgetreten, hätte es sich nach erfolgter Narkoseeinleitung intraoperativ gezeigt, so dass zwar auch die Anaphylaxie als Differentialdiagnose bedacht worden wäre, ich jedoch sicherlich erst an operative Komplikationen, Spannungspneumothorax ect. gedacht hätte.

    Daher ist diese kurze Phase zwischen Applikation des Medikamentes bis zum möglicherweise Tod des Patienten zwar recht eng, um Maßnahmen zu ergreifen, hilft jedoch sicherlich gleichzeitig auch, sofort an eine Anaphylaxie zu denken und diese auch zu behandeln.

    Das wollte ich ursprünglich ausdrücken, hab es aber leider zu sehr gekürzt.

  4. Super, danke. Gestern erst die Leitlinien Fortbildung als RA in Ba-Wü absolviert, heute Euer Video zum Nachlernen / Verbessern gefunden. Mehr davon!

  5. Hallo ihr beiden, Vielen Dank erstmal für euer super interessantes Blog!
    Bei mir ist beim Anschauen des Videos eine Frage aufgetaucht, die ich mir schon vor längerer Zeit mal gestellt hatte: Werden die 0,5mg Adrenalin vor der i.m.-Injektion irgendwie verdünnt, damit nicht so viel im Konus und der Kanüle stecken bleibt? Oder kommt auch ohne Verdünnung genug von dem halben Milliliter an?
    Vielen Dank für eure Antwort schon jetzt und macht weiter so!! 🙂
    Jan

    1. Hi Jan,
      Danke für dein tolles Feedback und die netten Worte.

      Das Supra gibt man direkt und pur intramuskulär (sind dannn bei 1mg/ml 0,5ml), im Spritzenkonus sind dann vernachlässigbare Mengen Wirkstoff.

      1. Gerade für die intramuskuläre Injektion Von kleinen Mengen bieten sich auch die Tuberkulin/heparinspritzen an, Diese haben auch in den kleinen Bereichen eine gute Skala, zudem Ist der Spritzenkolben so geformt, dass auch der Konus leergedrückt wird.
        https://www.paed-kit.de/inhaltsübersicht-1/ Vergleiche beispielsweise damit, die haben alle benötigten Kleinteile inklusive Medikament in einem Stoffröhrchen gebündelt

        Im Video sagter ihr, Das nach Medikamenten-i.v. Gabe die Zeit so wahnsinnig schnell abläuft, Natürlich heißt das, dass man sehr schnell handeln muss, gleichzeitig bedeutet es aber auch, dass ein so enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Applikation und Symptombeginn besteht, So dass man natürlich sehr schnell an eine entsprechende Reaktion denkt und sie sofort behandeln kann (zudem fast immer auch noch am Patienten ist).

        Ansonsten super Videos! Weiter so

      2. Hallo Markus,
        vielen Dank!!

        Bei der 1ml-Spritze (“Heparinspritzen”) stimme ich dir voll zu. Leider haben wir die z.b. in Bayern nicht in der Standardausstattung der Rettungsmittel – zumindest habe ich sie noch nicht gefunden.

        Das mit der IV-Gabe und Zeit habe ich nicht ganz verstanden, was meinst du da? 😉

  6. Wie immer kurz und bündig absolut TOP.
    Mein frage ist, wenn kein Glucagon vorhanden dann vielleicht Dopamin / Katocholamine über Perfusor ?
    Und zweitens, bitte Video Angioödem 🙂 machen.

    LG aus Riesa
    Micha, NFS

    1. Hi Micha,
      vielen Dank für das positive Feedback.

      Zu Glucagon:
      Die Rationale ist die ß-Blockade aufzuheben um dadurch mit einer höheren Herzfrequenz auch ein höheres Herzminutenvolumen bzw. Herzzeitvolumen (HZV) zu erreichen (HZV=HF*Schlagvolumen).
      (Siehe auch diesen Blogbeitrag zu ß-Blocker Intoxikation https://www.dgina.de/blog/2012/10/21/bradykardie-und-hypotonie-was-ist-eigentlich-hiet-3/ )
      Übrigens stellt die HIET Therapie im Rettungsdienst keine Alternative dar, hierfür ist unbedingt ein Elektrolytmonitoring notwenig.

      Die Gabe von Katecholaminen bei progredientem Schock über Perfusor macht natürlich viel Sinn. Allerdings sollte man Adrenalin wählen (siehe auch Shownotes).

      Zum Thema Angioödem:
      Das haben sich ja nun schon einige gewünscht, da werden wir wohl was zu machen müssen 😉

      Bitte habe etwas Geduld (wird vermutlich vor Dezember nichts), aber der Beitrag kommt – versprochen!

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