Der ST-Hebungsinfarkt (STEMI) ist ein Evergreen der Notfallmedizin. Die Guidelines hierzu ändern sich alle paar Jahre. Grund genug mit dem Experten Klaus Fessele ein Gespräch über Neues und Altbekanntes zu führen!
Der ST-Hebungsinfarkt beschreibt das Vorliegen von typischen EKG Veränderungen als Zeichen einer myokardialen Ischämie, meist im Rahmen eines akuten Gefäßverschlusses der Herzkranzgefäße. Da das Herzmuskelgewebe durch die Sauerstoffunterversorgung schnell einen dauerhaften Schaden behält, muss eine schnelle Gefäßeröffnung erreicht und weitere Gefäßverschlüsse vermieden werden.
Definition STEMI:
ST-Hebungen in mindestens zwei benachbarten Ableitungen
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gemessen am J-Punkt (Übergang S-Zacke zur ST-Strecke)
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in Ableitung V2-3: ≥2,5 mm bei Männern <40 Jahren, ≥2mm bei Männern ≥40 Jahren, ≥1,5mm bei Frauen
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in allen weiteren Ableitungen ≥ 1mm
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In V7-9 sollte bei entsprechender Klinik bereits bei einer ST-Hebung von 0,5mm am J-Punkt ein posteriorer Infarkt in Betracht gezogen werden
Management:
Unmittelbarer Transport in ein Krankenhaus mit Herzkatheterbereitschaft! Möglichst sollte eine Voranmeldung des Patienten erfolgen und das EKG telemetrisch an das Krankenhaus geschickt werden. Der Patient profitiert von einem Zeitvorteil durch gutes Management, also einerseits den schnellen Transport in die richtige Klinik und andererseits eine sofortige Aufnahme im Herzkatheterlabor ohne unnötige Zeitverschwendung in der Notaufnahme oder Intensivstation.
Eine Lyse mit rtPA oder Tenecteplase bei STEMI sollte nur bei einer Dauer von >2h bis zum Herzkatheter erwogen werden.
Medikamentöse Therapie:
Immer:
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75-250mg ASS i.v.
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70 IE/kgKG Heparin i.v. oder Enoxaparin 0,5 mg/kgKG i.v.
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P2Y12 Inhibitor (z.B. Clopidogrel, Prasugrel, Ticagrelor) vor oder während Herzkatheteruntersuchung (PCI)
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Betablocker (wenn RR >120mmHg syst. und keine akute Herzinsuffizienz bzw. Kontraindikationen)
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zeitnah: Statin (z.b. Simvastatin 80mg p.o.)
Bei Bedarf:
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Morphin als Analgetikum (verzögerte Aufnahme der meist oralen P2Y12 Inhibitoren)
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Benzodiazepine zur Sedierung Benzodiazepine (z.B. Midazolam)
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Nitrospray bei symptomatischer Herzinsuffizienz und RR >90mmHg syst.
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Kontraindikationen: Aortenklappenstenose, Rechtsherzinfarkt, Einnahme von PDE-5-Hemmer (Viagra) in den letzten 24h
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AHAB-Akronym als Hilfe:
- ASS
- Heparin
- Analgesie (Morphin) wenn nötig / Anxiolyse (z.B. Benzodiazepin)
- Betablocker (wenn kein kardiogener Schock)
Die Specials:
Linksschenkelblock:
Ein neuaufgetretener Linksschenkelblock gilt bei passender Symptomatik auch weiterhin als STEMI Korrelat und sollte wie ein STEMI behandelt werden. Oft ist unklar, ob das Blockbild neu oder alt ist. Die Sgarbossa Kriterien (in unserer Praxis in Kombination mit Aspekten der modifizerten Sgarbossa-Kriterien nach Smith et al) (https://lifeinthefastlane.com/ecg-library/basics/sgarbossa/) können bei Linksschenkelblock (und Schrittmacherstimmulation) bei der Identifikation einer Ischämie helfen!

Rechtsschenkelblock:
Bei typischem Rechtsschenkelblock kann die ST-Strecke üblicherweise gut analysiert werden. Sollte ein Patient mit Rechtsschenkelblock im EKG infarkttypische Beschwerden haben, sollte eine zeitnahe PCI erfolgen. Das Vorliegen eines Rechtsschenkelblockes bei Infarktgeschehen geht mit einer schlechteren Prognose verbunden.
STEMI-Korrelate bzw. High-Risk-EKGs:
De-Winter T-Waves

Wellens-Sign

aVR-Hebung
aVR-Hebung (manchmal auch etwas in V1 oder aVL) + deutliche ST-Senkungen in (6-) 8 Ableitungen anterolateral (typisch I, II, aVL, V2-V6):
V.a. Hauptstammstenose, proximale RIVA-Beteiligung oder schwere Dreigefäß-KHK.
Zum Abschluss:
Bei anterioren (spiegelbildlichen) ST-Senkungen an den posterioren Infarkt denken! Am besten V7-9 schreiben. Mehr Infos zu den erweiterten Ableitungen hier.
Quellen:
2017 ESC Guidelines for the management of acute myocardial infarction in
patients presenting with ST-segment elevation; European Heart Journal.
NEWS PAPERS: Neue ESC-Guideline für den STEMI.
FOAMINA: ESC STEMI Guidelines 2017 – was ist neu, was ist geblieben?
Gotthardt, Fessele, Pauschinger. STEMI-Äquivalente und High-risk-NSTEMIs.
Notfall + Rettungsmedizin 2017. https://doi.org/10.1007/s10049-017-0356-9
würde es als STEMI-Äquivalent bezeichnen
die punktebewertung bei modigfizierten Sgarbossa leuchtet mir nicht ein.
1)5, 2)3, 3)2, ab 3 positiv
dann kann ich mir die 3) sparen, brauche für positvbewertung immer die 1) oder 2)
…zumindest beim nichtmodifizierten, beim modifizierten find ich nichts zum score
Hallo Nerd`s
Vielen Dank für das sehr gute Movie, Top erzählt langsam und verständlich.
Ich habe drei fragen:
– Lyse: wir benutzten für den Fall das wir aus irgendwelchen Gründen das HKL nicht im Zeit-Fenster erreichen “Rapilysin”, die Frage : ASS davor und danach also unmittelbar vor der Gabe und unmittelbar danach ?
Richtig oder Falsch…laut Packungsbeilage ja aber mache Notärzte wollen es nicht so ?!?!
-Aspirin: wenn der Patient in seiner eigenen Dauermedikation schon z.b. ASS 100 hat und diese schon am Tag (früh zum Beispiel) genommen hat, ergänze ich nun meine Dosierung auf die 250mg ? oder gebe ich sie “dazu”
– P2Y12: wie haben zwei auf den NEF (Clopidogrel-75mg und Ticagrelor-90mg) könnte man auf eins verzichten ?
Bzw. sind beide “noch Zeitgemäß” zu mal wir den Patienten vorher ja im HKL anmelden und sie in 99% der Fälle es nicht vorher haben wollen…zur Dosierung: Pat. Plavix älter 75 Jahre 75mg und unter 75Jahre 300mg ??? Ticagrelor immer 180mg ?? und was wenn Patient diese Medikation schon in seiner “Nahrungskette” hat…
LG. aus Riesa
Hi Micha,
vielen Dank für das Feedback und deine interessanten aber auch nicht ganz einfach zu beantwortende Fragen.
Aspirin:
Selbst wenn ein Patient 100mg Aspirin einnimmt, kann man sich bezüglich der Einnahme nie sicher sein. Daher würde ich in jedem Fall empfehlen 150mg i.v. zusätzlich zu geben. Damit garantiert man eine ausreichende ASS Dosierung. Die niedrigere ASS Dosierung in der aktuellen Guideline wird damit nicht relevant überzogen. Die Dosierungsempfehlungen der aktuellen STEMI Guideline sind ein Kompromiss aus ausreichender Thrombozytenhemmung und geringerem Blutungsrisiko. Allerdings ist das Blutungsrisiko bei 500mg ASS i.v. einmalig immernoch sehr überschaubar – das ist zumindest meine Einschätzung.
Auch die Guideline gibt hier ja genug Spielraum um dieses Vorgehen zu rechtfertigen:
“A recent randomized study showed that a single dose of 250 or 500 mg acetylsalicylic acid i.v. compared to 300 mg orally was associated with a faster and more complete inhibition of thromboxane generation and platelet aggregation at 5 min, with comparable rates of bleeding complications.”
P2Y12:
Auch hier ist die Datenlage zur präklinischen Gabe gering und ich habe dir die entsprechende Textstelle rausgesucht. Meine persönliche Meinung ist, dass die präklinische Gabe verzichtbar ist. Ticagrelor ist bei Patienten unter Antikoagulation kontraindiziert und Clopidogrel ist Mittel der Wahl. Gleichzeitig ist Ticagrelor (oder Prasugrel) abseits seiner Kontraindikationen Clopidogrel überlegen. So ist auch bei uns das Vorgehen – geloaded wird im Herzkatheterlabor und der Patient möglichst schnell dorthin gebracht.
Nicht vergessen darf man auch, dass manche wenige Patienten einen bypasspflichtigen Befund haben und die folgende OP unter P2Y12 blutiger wird.
Aber das Wichtigste ist die regionale Abstimmung zwischen Rettungsdienst und PCI Zentrum um einen gemeinsamen Weg zu gehen.
Hier nochmal die Meinung der Guideline dazu:
There is limited evidence with respect to when the P2Y12 inhibitor should be initiated in STEMI patients. The Administration of Ticagrelor in the Cath Lab or in the Ambulance for New ST Elevation Myocardial Infarction to Open the Coronary Artery (ATLANTIC) trial182 is the only randomized study testing the safety and efficacy of different timings of P2Y12 inhibitor initiation in STEMI. In this trial, patients were randomized to receive ticagrelor either during transfer to a primary PCI centre or immediately before angiography.182 The median difference between the two tested loading treatment strategies was only 31 min. This study failed to meet the pre-specified primary endpoint in terms of improved ST-segment elevation resolution or TIMI flow before intervention. Rates of major and minor bleeding events were identical in both treatment arms. While the evidence of a clinical benefit of P2Y12 inhibitor pre-treatment in this setting is lacking, early initiation of a P2Y12 inhibitor while the patient is being transported to a primary PCI centre is common practice in Europe and is consistent with the pharmacokinetic data. Furthermore, early treatment with high-dose clopidogrel was superior to in-catheterization laboratory treatment in observational studies and one small randomized trial. In all, the data suggest that the earliest administration may be preferable to achieve early efficacy, particularly for long delays. However, in cases in which the STEMI diagnosis is not clear, delaying P2Y12 inhibitor loading until the anatomy is known should be considered.
Und nun zur schwierigsten Frage bezüglich der kombinierten Gabe von Rapilysin und ASS – da kann ich nichts (validiert/evidentes) beitragen. Ich werde Klaus mal fragen, ob er dazu etwas sagen kann und melde mich nochmal 🙂
Hoffentlich konnte ich etwas weiterhelfen.
Hallo Micha,
also das übliche Procedere wäre: erstmal ASS (250 mg) und Heparin iv (hier in den aktuellen Guidelines 60 E/kg KG empfohlen mit Maximum 4000 E, abweichend von der Fachinfo Reteplase max 5000 E)., danach Reteplase Lyse-Bolus 1 und 2. Macht auch von der Logistik Sinn, da man ASS und Heparin als ersten Schwung mit Analgesie gibt, vor Lyse dann aber doch noch die Checkliste mit Kontraindikationen abfragt und den Patienten kurz aufklärt.
Bei uns im Raum Nürnberg schon lange keine präklinische oder innerklinische Lyse bei STEMI mehr gesehen, weiß aber noch aus eigener Erfahrung, dass v.a. in den ersten 3 h die Lyse durchaus effektiv sein kann.
In Irland z.B. ist die Lyse durchaus noch der Primärstandard, da das Zeitintervall zur Akut-PCI (max 120 min nach STEMI Diagnose) vor allem nachts in großen Landesteilen eingehalten werden kann!
Wenn du noch mehr Fragen hast, gerne!